Doch Ulla Schmidt macht vor, wie man auch mit Urlaub Politik machen kann. Sie ließ ihren Fahrer samt dessen Sohn ins sonnige Alicante kommen, da ihrer Meinung nach der Dienstwagen für die Besichtigung eines Kinderheims und die Begegnung mit deutschen Rentnern unverzichtbar gewesen ist. Eine folgenreiche Entscheidung. Wäre ihr Dienstwagen nicht gestohlen worden, wäre sie vielleicht doch ins Kompetenzteam ihres SPD-Kanzlerkandidaten Walter Steinmeier aufgenommen worden. Drei Banditen im südspanischen Alicante haben damit also vielleicht entschieden, wer in Deutschland Gesundheitsminister wird – zumindest, wer ganz sicher nicht. Rücktrittsgedanken hat man der verhältnismäßig jungen Aachenerin jedenfalls nicht nachgesagt.
Das nun präsentierte Schattenkabinett von Steinmeier stellt in fast jedem Fall mehr Schatten als Kabinett dar. Dass einige bislang völlig unbekannte Namen dabei sind, spricht entweder für die Talent-Nase des Außenministers oder für ein zur Neige gehendes Personalreservoir der deutschen Sozialdemokratie. Die nicht nur dort, sondern selbst in ihrer eigenen Partei unbeliebt gewordene Familienministerin von der Leyen versucht man durch eine direkte Gegenkandidatin zu ersetzen, die noch mehr „von der Leyen“ ist. Kreativer Wahlkampf sieht anders aus. Jedoch ist damit nicht der von SPD-General initiierte Einsatz der Super-Nanny gemeint. Man hat den Eindruck, dass die stolze, alte SPD nach der Tricksilanti-Affäre aus Hessen eines jedenfalls nicht mehr fürchtet: Den Verlust ihrer Glaubwürdigkeit. Frei nach dem Motto: Was man nicht hat, kann man auch nicht verlieren.
Verloren hat die andere große Volkspartei nicht weniger als ihre eigene Kernklientel im wertkonservativen Lager. Auch die protestantische Kanzlerin scheint das mittlerweile gemerkt zu haben und sucht gleich mehrfach katholische Akademien im ganzen Land auf. Doch die Berliner Multiplikatoren-Denke verkennt, dass die Besucher solch schöngeistiger Institute und Veranstaltungen nicht repräsentativ für das katholische Deutschland sind. Wie wenig das der Fall ist, hat Merkel wohl selbst gespürt, als sie nach einem unangenehm reibungslos verlaufenen Abend in der katholischen Akademie Berlin in die erstaunlich stumme Runde fragte: „Haben wir denn nicht noch ein, zwei Fragen?“ Man sollte meinen, dass es auch in Zeiten der Krise zumindest davon nach Krippen-Debatte, Stammzell-Streit und Papst-Schelte genügend geben sollte. Doch die Regie solcher Abende sieht Dissonanzen nicht vor. Und wer sich wie eine ältere, tapfere Dame in München doch aus der Deckung wagt, bekommt die ganze Großherzigkeit des beflissenen Akademie-Publikums zu spüren: Ihre Frage nach dem Beweggrund für Merkels Papstkritik ging unter in Buh-Rufen, Grummeln und der mehrmaligen Aufforderung, sich wieder hinzusetzen. So steht es um den zwischenmenschlichen Umgang und wissenschaftlichen Diskurs in der Akademie-Gesellschaft.
Das Ganze hat ähnlich kabaretthafte Züge wie sie die totalitären kommunistischen Regime der jüngsten Vergangenheit jedoch nur in der (n)ostalgischen Rückschau annehmen. Der BILD-Kolumnist Hugo Müller-Vogg beschreibt in seinem jüngsten Buch die „Volksrepublik Deutschland“ zwar noch als Fiktion, doch warnt er gleichzeitig davor, den Gedanken an einen von Rot-Rot-Grün gestützten Kanzler gleich zu verwerfen. Die prekäre Lage vieler Menschen in unserem Land scheint sich jedenfalls (noch) nicht in politisches Kapital für die Rattenfänger um Gysi und Lafontaine zu verwandeln. Doch das kann sich bekanntlich ändern, was unangenehm werden könnte. Wehmütig wird man sich dann an den lustigen Sommerpausenwahlkampf 2009 erinnern. Und Ulla Schmidt doch noch eine Chance geben.
Sommerpausenwahlkampf
Von einer politischen „Sommerpause“ kann in diesem Jahr nicht wirklich die Rede sein. Die Wirtschaft ächzt unter den Folgen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise, die Politik befindet sich im Dauerwahlkampf – keine Zeit für Erholung möchte man meinen.
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