Scheidungsrecht, Frauenerwerbstätigkeit und Geburtenrate

In unserem Beitrag „Wenn der rechtliche Schutz der Ehe schwindet“ wurde zunächst die Frage hergeleitet, ob die aus den Änderungen des Scheidungsrechts resultierende erhöhte Unsicherheit der Institution der Ehe erklärt, warum Frauen es vorziehen, in die eigene Ausbildung und Karriere zu investieren, anstatt Kinder zu gebären und zu erziehen.

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Daraus haben wir abgeleitet, dass das unsichere Recht die Anforderungen an die Auswahl eines Ehepartners erhöht, jedenfalls, wenn man sich eine lebenslange Partnerschaft wünscht. Dies wiederum führt dazu, dass immer mehr Menschen ledig und einsam bleiben.

Im Jahre 2007 haben Thorsten Kneip und Gerrit Bauer vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung ein Arbeitspapier veröffentlicht, das bei der Beantwortung der oben gestellten Frage hilfreiche Hinweise gibt. Gegenstand und Ergebnisse der Analyse von Kneip und Bauer sollen im Folgenden beschrieben und diskutiert werden.

Ausgangspunkt der Analyse ist die Beobachtung, dass seit den 60er Jahren in ganz Europa die Scheidungsraten und die Frauenerwerbstätigkeit angestiegen sind, während die Geburtenhäufigkeit abgesunken ist. Außerdem haben in diesem Zeitraum nahezu alle Länder ihr Scheidungsrecht in der Weise geändert, das fortan die Schuldfrage bei Scheidungen ausgeklammert und die Möglichkeit, eine Scheidung einseitig zu beantragen, eingeführt wurde. Mit anderen Worten, das Scheidungsrecht, das zuvor ein zweiseitiges/bilaterales Recht war, in dem Scheidungen im Prinzip nur möglich waren, wenn beide Ehepartner einwilligten, wurde umgestellt auf ein einseitiges/unilaterales Recht, in dem eine Scheidung auch einseitig, also gegen den erklärten Willen des Ehepartners, durchgesetzt werden konnte.

Waren die Reformen des Scheidungsrechts nun ursächlich für die zunehmenden Scheidungsraten, die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit und die sinkenden Geburtenzahlen?

Basierend auf spieltheoretischen Überlegungen, die modellhaft die Verhandlungspositionen von Ehepartnern in verschieden potentiellen Scheidungssituationen abbilden, haben die Wissenschaftler zunächst ein plausibles Entscheidungsverhalten unter veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen diskutiert.

Dabei gehen die Wissenschaftler davon aus, dass verheiratete Frauen vor der Frage stehen, ob sie Ihre Glück darin suchen sollen, viele Kinder zu haben und sich auf die Haushaltsführung zu spezialisieren, oder ob sie, quasi um sich gegen eine drohende Scheidung zu versichern, auf (weitere) Kinder verzichten und stattdessen mehr Zeit und Mühe in Aufbau und Erhalt ihres auf dem Arbeitsmarkt nutzbaren Humankapitals und die Aufnahme einer externen Erwerbstätigkeit investieren sollen.

Dieses Entscheidungsverhalten wurde anschließend in verschiedene Hypothesen übersetzt. Diese sagen z.b. aus, dass Änderungen im Scheidungsrecht in Europa einen Einfluss auf die Scheidungsraten hatten oder dass ein höheres Scheidungsrisiko den Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Frauen erklärt oder dass der Anstieg von Scheidungswahrscheinlichkeiten den Rückgang der Geburtenhäufigkeit in Europa teilweise erklärt.

Die Signifikanz der Hypothesen ist dann von den Wissenschaftlern anhand umfangreichen Datenmaterials aus verschiedenen europäischen Ländern (auf Makroebene) und aus Deutschland (auf Mikroebene) statistisch getestet worden.

Kneip und Bauer kommen zu folgenden Ergebnissen:

     

  1. Die Ergebnisse der statistischen Analyse bestätigen die Hypothesen des Ausgangsmodells.
  2. Die Änderung des Scheidungsrechts auf ein unilaterales Recht, das mit der Streichung des Schuldprinzips und der Eröffnung der Möglichkeit, die Scheidung auch einseitig, gegen den Willen des Ehepartners durchzusetzen, einhergeht, hat die Anzahl der Scheidungen signifikant erhöht.
  3. Höher noch als der Einfluss der grundlegenden Änderung des Scheidungsrechts auf die Scheidungshäufigkeit ist aber der Einfluss der sich ändernden Scheidungskultur gewesen. Diese „Scheidungskultur“ meint die gesellschaftlichen und kulturellen Einflüsse und Kräfte, die zur Änderung des Scheidungsrechts geführt haben und dieser Änderung deshalb auch vorausgegangen sind und nachwirken. Die „Scheidungskultur“ ist in dem Modell jedoch nur indirekt, und zwar als Anzahl der europäischen Länder, die das Scheidungsrecht bereits auf ein unilaterales System umgestellt haben, gemessen worden.
  4. Aufgrund des hohen Einflusses der Scheidungskultur wäre nicht damit zu rechnen, dass eine alleinige Änderung des Scheidungsrechtes zurück zu einem bilateralen System, vergleichbar z.B. dem deutschen Scheidungsrecht der 50er Jahre, zu einem bedeutenden Rückgang der Scheidungsraten führen würde.
  5. Und schließlich ist festzuhalten, dass die in den 60er und 70er Jahren vorgenommenen grundlegenden Änderungen im Scheidungsrecht zudem einen signifikanten Einfluss auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen und die Anzahl der in der Ehe geborenen Kinder ausgeübt haben, und zwar in der Weise, dass die Erwerbsbeteiligung der Frauen angestiegen und die Anzahl der Geburten gesunken ist.
  6.  

Zwei Anmerkungen sollen an dieser Stelle ergänzt werden:

Zunächst einmal fällt auf, dass die Wissenschaftler ihrer Analyse ein Entscheidungsmodell zugrunde legen, in dem die Erwerbstätigkeit von Frauen nicht als per se positiver Wert behandelt wird. Die Erwerbstätigkeit von Frauen wäre danach kein eigenes Ziel, das z.B. im Zusammenhang mit der Selbstverwirklichung der Frau stehen würde, wie üblicherweise von feministischen Politikern behauptet. Nein, die Erwerbsbeteiligung von Frauen wäre in erster Linie ein Mittel zum Zweck, d.h. Aufwand, um der Frau eine eigene, vom Mann unabhängige wirtschaftliche Basis zu verschaffen.

Und schließlich wäre Inhalt und Wirkung der von Kneip und Bauer so genannten Scheidungskultur zu diskutieren. Hier wäre insbesondere auf Hartmut Esser zu verweisen, der bereits im Jahre 2002 die Aussage machte, dass ursächlich für die Zunahme der Scheidungen, und zwar mit weitem Abstand, die seit der „sexuellen Revolution“ der 60er Jahre massiv gestiegene Untreue sei.

Es wird heute nicht gern gehört, dass der Verfall der Sitten, insbesondere die Untreue und der Verfall der Sexualmoral, die wesentliche Ursache für den Zusammenbruch von Familien ist. Trotzdem ist es so.

Andererseits: Wer das Ehesakrament ernst nimmt, wie es die katholische Kirche lehrt, der hat die besten Chancen, seine Ehe und seine Familie langfristig intakt und gesund zu erhalten, der hat guten Grund, sich auf Kinder zu freuen, und insgesamt sein Leben glücklicher zu leben.

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(1) Thorsten Kneip und Gerrit Bauer. Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, Arbeitspapiere, Nr. 102, 2007: „Effects of Different Divorce Probabilities on Female Labor Force Participation and Fertility.“
2) Hartmut Esser: "In guten wie in schlechten Tagen? Das Framing der Ehe und und das Risiko zur Scheidung. Eine Anwendung und ein Test des Modells der Frame-Selektion." In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 2002: 54, Heft 1, S. 27-64; Es sei hier darauf hingewiesen, dass der Zusammenhang zwischen der Scheidung der Eltern und der Scheidung eines Ehepaares ein indirekter ist, d.h. er ist nicht der eigentliche Grund für die Scheidung. Ursächlich für die Zunahme der Scheidungen ist an erster Stelle und mit weitem Abstand die seit der "sexuellen Revolution" zum Ende der 60er Jahre massiv gestiegene Untreue. Waren nun aber bereits die Eltern geschieden oder hat ein Ehepartner gar eine Trennung oder Scheidung hinter sich, steigt die Neigung zur Untreue. Eine kurze Zusammenfassung von Ergebnissen dieser Studie ist unter Eheseelsorge.Net. Hartmut Esser: "In guten wie in schlechten Tagen. Ehekrisen, Untreue und der Anstieg der Scheidungsraten - Eine Ursachenanalyse."zu finden.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Gladstone

Danke! Sehr interessanter Beitrag.

Gravatar: Hedwig Beverfoerde

Danke für diese sehr erhellende Analyse!

Was die Erwerbsbeteiligung von Frauen angeht, wird aktuell sehr gezielt an dieser Schraube weitergedreht: Hauptzweck des neuen Unterhaltsrechts der Großen Koalition ist es, das Scheidungsrisiko und darin liegendes Verarmungsrisiko für Frauen nochmals zu erhöhen und damit den Druck zur ununterbrochenen Ganztagserwerbstätigkeit. Für die nette Nebenbeschäftigung Kind bauen wir Krippen. Dort sind die Kleinen ohnehin in den besseren, da professionellen Händen und werden frühkindlich gebildet!

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