Preußische Toleranz

Kaiser Wilhelm II. mochte die Kompositionen Richard Straußens nicht. „Det is keene Musik für mich“, sagte er. Dennoch beließ er ihren Schöpfer in seiner Stellung am Hof und gewährte ihm sogar großzügigen Urlaub, damit er Zeit zum Komponieren hat.

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Strauss-Jahr, Fortsetzung. Des vorerst letzten deutschen Kaisers Bemerkung: „Die janze Richtung paßt mir nicht“ galt der sogenannten künstlerischen Moderne und schloss seinen Hofkapellmeister Strauss fest mit ein. Die erste Begegnung mit Wilhelm II. verlief Strauss zufolge so:

Der Kaiser betrachtet ihn stirnrunzelnd: „Sie sind auch einer dieser modernen Musiker?“ Strauss salutiert. „Ich habe Ingwelde von Schillings gehört, das ist abscheulich, es gibt da keine Melodie.“ – „Verzeihung, Majestät, es gibt Melodien, aber sie werden von der Polyphonie überdeckt.“ – Der Kaiser sieht ihn streng an: „Sie sind einer der Schlimmsten.“ Er salutiert wieder. – „Die ganze moderne Musik taugt nichts, es gibt darin keine Melodie.“ – Dieselbe Geste. – „Ich ziehe den Freischütz vor.“ – „Majestät, auch ich höre lieber den Freischütz.“ – „Der Falstaff von Verdi ist etwas Scheußliches.“ – „Majestät, man darf nicht vergessen, daß Verdi achtzig Jahre alt ist und daß es eine schöne Sache ist, wenn man sich in diesem Alter – nach Troubadour und Aida – schöpferisch noch so erneuern kann, daß man einen so genialen Wurf wie Falstaff fertigbringt.“ – „Ich hoffe, daß Sie mit achtzig eine bessere Musik schreiben werden.“ Darauf, schließt Strauss, gab es nichts mehr zu erwidern.

Nur einmal besuchte der Kaiser auf Zureden des Kronprinzen eine Strauss-Oper, den Rosenkavalier, den er mit den Worten verließ: „Det is keene Musik für mich.“ Bekannt wurde Wilhelms Satz: „Es tut mir leid, daß Strauss diese Salome komponiert hat, ich habe ihn sonst sehr gern, aber er wird sich damit furchtbar schaden.“ Strauss, als er davon erfuhr, konterte mit den Worten, von diesem Schaden habe er sich seine Villa in Garmisch gekauft. Während die Salome in London und Wien von der Zensur verboten und in New York aufgrund der sittlichen Entrüstung eines der Hauptsponsoren der Metropolitan Opera wieder abgesetzt wurde, ging sie in Berlin komplikationslos über die Bühne, nachdem am Ende über der Szenerie der Stern von Bethlehem aufging; außerdem hatte Strauss dem Kaiser einen neuen Militärmarsch komponiert und eine Sondervorstellung des Freischütz dirigiert. Einzig die bizarre Feuersnot – dort entspringt strafhalber dem Gesäß einer nackten Maid eine Flamme, an welcher eine ganzen Stadt ihre erloschenen Lichter wiederentzündet – wurde nach der Berliner Erstaufführung 1902 kurzzeitig verboten, wenige Tage später aber wieder freigegeben.

„Da habe ich eine schöne Schlange an meinem Busen genährt“, sagte der Kaiser gegenüber dem Dirigenten Ernst von Schuch über Strauss (woraus unter den Berlinern prompt der Ausdruck „Hofbusenschlange“ die Runde machte). Max Steinitzer, der diese Worte überlieferte, fügte ein bezeichnendes Detail hinzu: Wilhelm habe sie „gutgelaunt“ ausgesprochen. Strauss arbeitete trotz der offenbaren ästhetischen Differenzen länger am Berliner Hof als irgendwo sonst. Der Kaiser mochte ihn, zahlte ihm ein gutes Honorar und gewährte seinem Kapellmeister schließlich das halbe Jahr über Urlaub, bei gleichbleibenden Bezügen, auf dass er komponieren und in aller Welt Gastdirigate absolvieren konnte. Das ist die preußische Toleranz. Eine andere gibt es nicht.

Zuerst erschienen auf michael-klonovsky.de/acta-diurna

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