Politik: Warum Wahrheit und Relevanz regieren sollten

Dass die Wahrheit im politischen Diskurs die Oberhand gewinnen kann, dafür müssen wir schon selbst sorgen.

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Ohne unterschiedliche Meinungen wäre Politik nur noch das reine Spiel um Macht. Dieser Satz ist mir in den vergangenen Tagen in den Sinn geraren, denn es kann einem schon so vorkommen, als ob Politik tatsächlich nur noch eine Machtfrage wäre. „Opposition ist Mist“ wusste schon der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering. Opposition ist deshalb Mist, weil man als solche die Gestaltungshoheit an die Regierung abgegen muss und – auch in der Außenwirkung – nur mehr der Kritiker und nicht der Macher ist. Opposition wäre aber für den Überzeugungstäter – und hoffen wir mal, dass es sich bei der Mehrzahl der Politiker darum handelt – wesentlich einfacher zu ertragen, wenn die Regierung täte, was man selbst auch tun würde. In einem solchen theoretischen Fall würde dann der Wunsch, selbst zu regieren eben zu einer reinen Machtfrage.

In den meisten politischen Themen gibt es aber unterschiedliche Überzeugungen, für deren Anerkennung man in einem demokratisch gestalteten Staat werben muss. Der Kampf zwischen Sozialismus und freier Marktwirtschaft, zwischen Freiheit und Führung (um einen neutraleres Wort als Zwang zu verwenden), zwischen Konservatismus und Progressismus, dieser Kampf ist einer um die Überzeugungen, was für einen selbst und für die Gesellschaft richtig sein könnte. So kann ein Marktwirtschaftler nicht schweigen, wenn er von sozialstaatlichen „Wohltaten“ hört und ein Sozialist kann nicht schweigen, wenn er von sozialen „Grausamkeiten“ hört. Wer überzeugt ist, dass man mit einer bestimmten Art der Politik der Gesellschaft schadet, dem schreibt schon sein Gewissen vor, sich dagegen zu wehren. Das ist dann kein Spiel um Macht sondern der Kampf um das Wohl der Gesellschaft (inwieweit „die Gesellschaft“ eine solche Bemutterung und Bevormundung braucht, lassen ich hier mal außen vor; dass Fass möchte ich jetzt nicht aufmachen, aber darauf hinweisen, dass es ein ziemlich großes Fass ist).

Vermutlich, und das hat mich bei dem Eingangssatz so nachdenklich gemacht, liegt man aber richtig, wenn man Politik als eine Mischung aus beidem begreift: Aus dem Spiel um Macht und dem Kampf um Überzeugungen. Mindestens der erste Aspekt ist der unangenehme, denn er verführt dazu, mit unsauberen Mitteln zu kämpfen: Die Sozialpolitik einer Partei damit zu bekämpfen, den persönlichen Ruf eines Parteivertreters zu ruinieren, kann erfolgreich sein, hat aber mit fairem politischen Kampf wenig zu tun. Kommt so etwas ans Tageslicht wendet sich der interessierte Bürger angwidert ab, und die politische Diskussion und die Demokratie an sich nehmen Schaden, gerade wenn ein solches Verhalten von allen Parteien praktiziert wird. Verleumdungen, persönliche Angriffe auf sachfremde Themen, gar der Aufruf zu körperlichen Angriffen, das alles hat im „Idealbild“ der Politik nichts zu suchen, kommt aber wie wir alle wissen vor – vorzugsweise bei den Anderen!

An der Stelle stellt sich dann die Frage, woran man sich als Wähler, als „Nicht-Politiker“, orientieren kann, um zu beurteilen, welcher Politikstil ihm – unabhängig von der inhaltlichen Position, richtig erscheint. Als Christ hätte ich da zwei Kriterien: Wahrheit und Relevanz.

Das erste Kriterium sollte unmittelbar einsichtig sein: Lügt jemand, verbreitet – bewusst – die Unwahrheit, sei es sachlich oder sei es über sich, den politischen Gegner oder das Umfeld? Wenn ein Minister bestimme Informationen unterschlägt, weil die dem eigenen politischen Kalkül ins Gehege kommen könnten, dann ist das nicht wahrhaftig. Wenn die Opposition die Verhältnisse schlecht rechnet oder Gerüchte und Halbwahrheiten verbreitet, gilt das gleiche. Als Beobachter muss man sich dann versuchen, in die Lage zu versetzen, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Gerade bei der Frage der Flüchtlingsproblematik – Zahlen, Familienstände, Geschlechterverteilungen, Kriminalität – muss man feststellen, dass das gar nicht so einfach ist. Jede politische Stoßrichtung findet ihre Statistik, mit der sie an den Start gehen kann. Aber nur eines kann die Wahrheit sein: Wir schaffen das oder wir können das nicht schaffen – dazwischen gibt es nichts.

Und die Wahrhaftigkeit ist schon per se nicht so leicht einzuschätzen. Als Liberaler oder Libertärer erscheinen mir die Vorstellungen des Sozialismus derartig abwegig, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, dass das jemand ernsthaft für eine richtige, für eine wahre Lösung gesellschaftlicher Probleme halten könnte. Sozialisten wird es aber vermutlich umgekehrt mit mir auch nicht anders gehen. So bleibt eigentlich nichts, als die Frage, ob derjenige authentisch erscheint, man ihm abnimmt, dass er das, was er sagt auch meint und – im Falle dass er gewählt wird – auch umsetzen wird. Auch dabei kann man – FDP-Wähler können ein Lied davon singen – auf die Nase fallen, wenn politische Überzeugungen dem Kompromiss und/oder der Machtbeteiligung geopfert werden. Erfahrung macht klug … und misstrauisch. Und ein Großteil der Politikverdrossenheit ist sicher darauf zurückzuführen, dass sich der Eindruck verbreitet, politische Überzeugungen würden nur als Wahlkampfmaterial verwandt und dienten lediglich dem Machterhalt – Politik als reines Spiel um Macht!

Das zweite Kriterium in der politischen Diskussion ist sogar noch komplizierter einzuschätzen, die der Relevanz einer Information. Nehmen wir wieder einen Fall aus der Migrationsproblematik: Ist es wichtig zu wissen, ob ein mutmaßlicher Straftäter einen Migrationshintergrund hat oder ist das unwichtig? Ist es wichtig, einen „Ehrenmord“ als solchen zu klassifizieren, wenn es diesen Straftatbestand in sich gar nicht gibt? Und kann man eine solche Frage überhaupt pauschal beantworten oder kommt es darauf an, welche Rückschlüsse man meint, ziehen zu können? Oder – anderes Beispiel – ist es wichtig zu wissen, dass Großeltern einer Politikerin Nationalsozialisten waren oder hat das mit der Einschätzung der aktuellen politischen Arbeit nichts zu tun? Klar ist: Die Versuchung, sachfremde Themen zu instrumentalisieren liegt nahe, egal von welcher politischen Seite.

Ganze Heerscharen von Politberatern suchen nach Leichen im Keller der eigenen Klientel oder deren Gegner, um Diskreditierungsversuchen zuvorzukommen oder selbst zu diskreditieren. Irgendwas wird schon hängen bleiben, bis zu dem Schluss, ob man denn einem Menschen mit einer zerrütteten Familie oder einer schillernden Vergangenheit ein wichtiges politisches Amt zutrauen kann. Und wieder sind wir als Bürger und Wähler gefordert, uns zu fragen, ob wir das Spiel mitmachen: Gerade solche unwichtige Themen sind oft eher Teil des Boulevard und der lebt von Kunden bzw. Lesern – und der Markt scheint vorhanden zu sein. Man kann sich dem auch kaum entziehen, und ich selbst kann mich angesichts der Vergangenheit einiger Politiker nicht davon lossprechen, so etwas mindestens im Hinterkopf zu bewegen oder es sogar als Argument zu benutzen. Das heißt aber nicht, dass man nicht auch irgendwann einen Schritt zurücktreten kann, sich selbst vorstellt, man würde alleine nach den dunklen Flecken der eigenen Vergangenheit beurteilt oder nach fachfremden Kriterien.

Im Epheserbrief heißt es in diesem Sinne deutlich (Epheser 4, 29;31-32):

Über eure Lippen komme kein böses Wort, sondern nur ein gutes, das den, der es braucht, stärkt und dem, der es hört, Nutzen bringt. […] Jede Art von Bitterkeit, Wut, Zorn, Geschrei und Lästerung und alles Böse verbannt aus eurer Mitte! Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat.

Herrjeh, da lag ich in der Vergangenheit aber auch heftig daneben. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass man mir diesen Satz auch in Zukunft mit einer gewissen Berechtigung wird unter die Nase reiben können. Als Vorsatz wäre das aber erstens für einen selbst nicht schlecht und auch hilfreich in der Beurteilung der politischen Argumentationen: Wer argumentiert mit „Bitterkeit, Wut, Zorn, Geschrei und Lästerung“ und wer benutzt im Wesentlichen nur Argumente, die dem, der sie „hört, Nutzen bringt“? Man kann auch mit „bösen Worten“ und sogar mit Lügen versuchen, der selbst als richtig erkannten Position zum Durchbruch verhelfen. Christlich ist das aber nicht, und vielleicht sollte das ja auch ein Argument bei politischen Positionierungen und Wahlentscheidungen sein.

Beitrag zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

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