Polidings: Machbarkeitswahn und Sozialismus im Gesundheitswesen

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Haben Sie sich auch schon mal über Wartezeiten geärgert, wenn Sie einen Facharzttermin benötigen, sagen wir beim Augenarzt oder Hautarzt? Meist geht es ja dabei um ein konkretes Anliegen, irgendwas, was einem Sorgen bereitet und wofür der Hausarzt keine besondere Expertise ausweist: Wenn der einen erst mal auf ein Muttermal hingewiesen hat, dass ihm „Sorgen bereitet“, dann will man keine Ewigkeit warten, bis ein Spezialist Aufklärung verspricht.

Wenn man davon ausginge, dass solche Fachärzte ihre Abrechnung einfach nach Komplexität des Falles, annähernd analog zur Behandlungsdauer (also der einzusetzenden Arbeitszeit), und der notwendigen in Ansatz zu bringenden Technik ansetzen könnte, wäre eine Gleichverteilung des Verdienstes über die Arbeitszeit gesichert. Der Arzt berechnet also einen Stundenlohn und da ist es ihm im Zweifel egal, ob er einen Fußnagelpilz oder den Verdacht auf ein bösartiges Melanom bearbeitet. Insbesondere wäre es ihm aber egal, ob er jemanden behandelt, der besonders reich oder zumindest wohlhabend wäre oder jemanden, der in finanziellen Schwierigkeiten steckt oder auch nur ein etwas beschränktes Budget zur Verfügung hat.

Nimmt man weiter an, dass man sich gegen ausufernde, weil langwierige Behandlungskosten auch noch versichern könnte, wäre eine entsprechende Versorgung weitgehend versichert; soziale Härtefälle benötigten eine spezielle Betrachtung, aber der allergrößte Teil der notwendigen Behandlungen wäre so gesichert – und das Angebot an ärztlicher Unterstützung würde sich anhand der Nachfrage regulieren. Spezialisten für die Beulenpest bekäme man in Westeuropa eher selten zu Gesicht, Spezialisten für Augenleiden deutlich mehr.

So ein System funktioniert allerdings nur, wenn entweder jeder selbst höchstpersönlich für die für ihn aufkommenden Gesundheitskosten verantwortlich ist oder sich einer Solidargemeinschaft (Versicherung) anschließt, die den Namen verdient, in der also niemand (oder zumindest nur in vernachlässigbarer Größenordnung) unnötige Leistungen auf Kosten der anderen in Anspruch nimmt.

In der oben skizzierten Form könnte ein Gesundheitswesen funktionieren – zusammen mit ein bisschen gutem Willen der Ärzte, den ich durchaus mal gutwillig voraussetzen möchte, kämen dann bei entsprechender Knappheit auch dringende Fälle schneller zu einem Termin als solche, die auch noch mal ein oder zwei Wochen warten können. Man erkennt aber leicht: Zumindest mit der deutschen Realität hat das alles überhaupt nichts zu tun!

Was wir habe ist ein weitreichendes Zwangsversicherungssystem, dem man sich nur qua Gehalt oder Beamtenschaft entziehen kann. Innerhalb des Systems regiert eine Kostensteuerung nach Kontingenten, Pauschalen und gedeckelten Budgets – wohlgemerkt staatlich gesteuert! Schon vor Jahren wies mich ein Hautarzt darauf hin, dass er bei einer notwendigen modernen und teuren Ausstattung seiner Behandlungsräume bei der Behandlung lediglich von „Kassenpatienten“ seinen Laden dicht machen müsse – es gibt wohl keinen Anlass anzunehmen, dass sich diese Situation verbessert hat.

Umgekehrt ist das Eigeninteresse eines Zwangsversicherten, die persönlichen Kosten möglichst gering zu halten, als nicht gegeben anzunehmen. Wer heute, gesetzlich versichert aber gut verdienend, wegen eines triefenden Auges, das zu viel Wind abbekommen hat zum Arzt geht, bekommt Medikamente verschrieben, deren Kosten sich in einem Rahmen bewegen, den er durchaus selbst finanzieren könnte. Muss er aber nicht, er ist berechtigt, diese Kosten der „Solidargemeinschaft“ in Rechnung zu stellen. Eine Versicherung für den Notfall wird so pervertiert und es braucht wohl eine gehörige Portion Altruismus, das Geld, das einem vom Gehalt abgezogen wurde, nicht wieder zurück zu fordern – zur Entlastung der Gemeinschaft. Es besteht also überhaupt kein Anreiz, Kosten zu sparen, weder in Bezug auf Arztbesuche noch im Hinblick auf die Finanzierung der Mittelchen, die sich oft in überschaubarem Rahmen bewegen.

Etwas mehr Freiheit haben die Ärzte bei den oben bereits genannten Privatpatienten: die haben die Versicherungsprämien zumindest mal persönlich ausgehandelt, gehaltsunabhängig aber risikoorientiert – da zahlt ein starker Raucher eben mehr als ein Nichtraucher, hat dafür aber auch Anspruch auf Behandlung, selbst wenn seine Erkrankungen seinem Verhalten zuzurechnen sind. Im großen und ganzen zahlt man monatlich bei einer privaten Krankenversicherung weniger, muss allerdings bei Kindern für die einen nicht unerklecklichen Beitrag berappen und die Versicherung ist auch im Alter weiter zu bezahlen. Nicht wenige versuchen in dem einen oder anderen Falle, diese Versicherungsform wieder zu verlassen, die ansonsten aber in bestimmten Bereichen für eine Vorzugsbehandlung führt: die Ärzte verdienen nämlich an privat versicherten Patienten mehr, können eine Bezahlung verlangen und privat abrechnen, die eher den tatsächlich anfallenden Kosten entspricht.

Wenn also heute von einer Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland gesprochen wird, dann ist das nicht ganz von der Hand zu weisen, allerdings nicht als Folge eines außer Kontrolle geratenen Kapitalismus oder der Raffgier der Ärzte sondern des Eingriffs des Staates in das Gesundheitswesens. Eigentlich gibt es dafür nur zwei Lösungen: Erstens die Aufhebung der Versicherungspflicht und Übergang in einen Markt wie eingangs erläutert … oder zweitens die Vervollständigung des Versicherungszwangs auf alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.

Letzteres ist die Lieblingsalternative allerlei linker Politiker, denen der Sozialismus in unserem Land noch lange nicht weit genug geht. Glücklicherweise gibt es in den meisten deutschen Parteien aber noch so viel wirtschaftlichen Sachverstand, dass man nicht versucht, ein Problem dadurch zu lösen, dass man seinen Auslöser allgemein verbindlich erklärt. Die Versicherungspflicht funktioniert schließlich nur mit den ebenfalls erläuterten Pauschalen, weshalb eine ausnahmslose derartige Verpflichtung einer Preisobergrenze entspräche, die den Gesundheitsmarkt in Deutschland vollständig zum Erliegen brächte: Welcher Arzt will noch – und das auch noch mit hohem Qualitätsanspruch – unter solchen Bedingungen arbeiten?

Stattdessen wird das offensichtlichste Problem dieses staatlichen Eingriffs in die Vertragsfreiheit von Ärzten, die lange Wartefrist bei Terminen für Fachärzten, nun durch ein Regierungsprogramm zu lösen versucht. Das verspricht jedenfalls unser neuer Gesundheitsminister (und ich werde den Namen jetzt an dieser Stelle nicht nennen, vielleicht fällt Ihnen als Leser der Name direkt ein, oder sie überlegen einfach, welcher Politiker dafür am kompetentsten sein könnte und schließen den als erstes aus …) der im Focus lautstark verkündete „Monatelange Wartezeiten sind nicht akzeptabel“ und versprach, „Wir verbessern die Versorgung und den Service für gesetzlich Versicherte.“ Ich hatte mich bei Durchsicht des Koalitionsvertrages schon mal über das Thema amüsiert, aber den entsprechenden Herrschaften ist das todernst.

So wird Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion ebenfalls im Focus zitiert…

… es bestehe „Handlungsdruck“ bei den Wartezeiten. Die SPD dringe auf eine schnelle Umsetzung des Koalitionsvertrags. Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen Servicestellen einrichten sollen, über die Kassenpatienten binnen vier Wochen einen Termin beim Facharzt bekommen sollen. Lauterbach sagte: „Wir brauchen einfache Strukturen.“ Die Einrichtung der Stellen sei „unbürokratisch“ möglich.

Praktischerweise können solche Servicestellen, insbesondere wenn durch sie kein bürokratischer Popanz aufgebaut werden soll, nur als „Clearingstellen“ fungieren, was dazu führt, dass man als Patient einen Facharzttermin bekommt, aber nicht den, den man gerne möchte sondern den, der am ehesten einen Termin frei hat. Freie Arztwahl? Existiert nicht mehr. Oder die Serviceeinrichtung geht mit einer Verpflichtung der Ärzte einher, die Patienten anzunehmen, die ihnen angedient werden – also Zwang, der auf die Ärzte ausgeübt wird und deren Handlungsspielraum weiter einschränkt. Das und nichts anderes ist die vorgeschlagene Lösung, die am Ende weder den Ärzten noch den Patienten dienen wird, eventuell aber der Mehrheitsbeschaffung bei kommenden Wahlen.

Achja, das die von mir genannte zweite Variante von niemandem im Regierungsumfeld vorgebracht wird, muss ich wohl nicht speziell erwähnen?

Beitrag erschien auch auf: papsttreuer.blog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Hans Jakob

Vielen Dank für den ausgezeichneten Artikel.
Ich bin selbst Privatarzt und behandle alle meine Patienten (darunter viele GKV- Selbstzahler) gleich. Nur: nicht jeder hat eine Versicherung, die die Kosten erstattet.
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass die Höhe der Ärztehonorare seit 30 Jahren praktisch eingefroren ist. Ein Arztgespräch bis ca. 10 Minuten kostet seit damals bis heute +/- 10 Euro. Damit hat jeder die Möglichkeit, die Abklärung in dringenden Fällen zu beschleunigen.

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