"Peak-oil" ist Geschichte

Thema meines jüngsten Szenario-Projektes war das künftige Umfeld unserer Energieversorgung. Mit sieben anderen Experten saß ich in einer Reihe von Workshops zusammen, um über die Welt in vierzig Jahren nachzudenken. Wie könnten sich gesellschaftliche, ökonomische, politische und technologische Faktoren entwickeln und welche Projektionen wären daraus abzuleiten?

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Da es bei der Szenarioerstellung um theoretisch denkbare Zukünfte geht, und nicht nur um solche, die man als wahrscheinlich oder gar wünschenswert erachtet, wird eine entsprechende Bewertung der Projektionen traditionell erst am Ende des Prozesses vorgenommen. Und es ergab sich ein eindeutiges Ergebnis: Acht Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen mit unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten und auch unterschiedlichen politischen Haltungen schätzten alle Szenarien, in denen Erdöl aufgrund einer Verknappung stetig teurer und weniger verfügbar wird, als sehr unrealistisch ein. Das nun wieder überraschte einen der Moderatoren sehr. Er begann gar, an der Kompetenz der Teilnehmer zu zweifeln, denn für ihn stand zweifelsfrei fest: Erdöl wird bald zur Neige gehen.

So etwas erlebt man ja oft. Seit der Club of Rome in den 1970er Jahren begann, von den „Grenzen des Wachstums“ zu sprechen, ist das Ende des Ölzeitalters im kollektiven Bewusstsein zumindest der westlichen Industrieländer eine feste Größe. Zahlreiche darauf beruhende Endzeitvisionen wurden durch Sachbücher, durch Erzählungen und Romane und sogar durch Hollywood-Blockbuster („Mad Max“) tief genug im kulturellen Gedächtnis verankert, um für viele Menschen eine gefühlte Realität zu werden. Und das, obwohl noch nie jemand in Deutschland an einer Tankstelle mit den Worten abgewiesen wurde: „Tja, die Ölquellen sind versiegt und wir haben kein Benzin mehr. Nur noch Brötchen.“

Wenn man sich fragt, wie angesichts dessen eine in Wahrheit nur kleine Gruppe an Wissenschaftlern (verglichen mit allein hunderttausenden an Wissenschaftlern und Technikern in der Ölindustrie selbst) in einer derart wichtigen Frage eine solche Deutungshoheit gewinnen konnte, dann ist die Antwort offensichtlich: Katastrophenszenarien und auf diesen beruhende Ängste können nur in einer Umgebung der Unwissenheit gedeihen. Da unterscheiden sich mittelalterliche Vorstellungen von Kometen als Vorboten der Apokalypse nicht von modernen Ideen, wie dem Ozonloch, dem Waldsterben, der Klimakatastrophe oder eben „Peak Oil“. Obwohl wir von Erdöl umgeben sind (es ist nicht nur Quelle für alle möglichen Treib- und Schmierstoffe, es steckt in nahezu allen Produkten der chemischen Industrie und liegt gar in Form von Asphalt auf der Straße); wissen die Menschen fast alle fast nichts über diesen Rohstoff. Die Energiewende hat zwar jede Menge Solar- und Windexperten hervorgebracht (gut, hauptsächlich selbsternannte); nach „Ölexperten“ kann man jedoch weiterhin mit der Lupe suchen (auch nach selbsternannten). Man glaubt und repetiert daher unkritisch und unreflektiert lieber das, was einem die Nachhaltigkeitsapostel aus ideologischen Motiven vorbeten. Tatsächlich aber ist Erdöl nicht knapp. Es wird auch nicht knapp werden.

Aber der Reihe nach…

In Meeren und Seen sinken die Reste abgestorbener Lebewesen (Plankton und Algen, aber auch Fische und von Flüssen transportierte Biomasse) auf den Grund und werden Bestandteil der dort entstehenden Sedimentgesteine. Unter sauerstoffarmen Bedingungen entstehen in dieser Umgebung aus Kohlenhydraten wie Zellulose, Stärke oder Glucose langkettige Moleküle, die sogenannten Kerogene. Hohe Drücke und Temperaturen in der Erdkruste transformieren die Kerogene dann zu einem komplexen Gemisch aus tausenden verschiedenen Kohlenwasserstoffen, dem Erdöl.

Erdöl ist also nicht eine definierte chemische Verbindung, sondern ein in marinen Sedimentgesteinen fein verteiltes vielfältiges Stoffgemisch. Es ist in der Erdkruste mobil. Falls das Muttergestein porös genug ist, migriert es vom Ort seiner Entstehung aus in andere Gesteinsschichten. Nun sind aufgrund tektonischer Prozesse die Formationen in der Erdkruste nicht schön parallel zur Erdoberfläche ausgerichtet, es gibt zahlreiche Krümmungen, Verwerfungen und Stauchungen. Erdöl sammelt sich daher in porösen Gesteinen an, die von ölundurchlässigen Schichten abgeschlossen werden (siehe Grafik).

Die weit verbreitete Vorstellung, es gäbe große unterirdische Hohlräume mit Seen oder Blasen aus Erdöl, hat möglicherweise entscheidend zur Verbreitung der Peak-Oil-Hypothese beigetragen. Es scheint ja offensichtlich: Solche Vorkommen müssen selten sein und in ihrer Anzahl begrenzt. In der Tat sind solche Lagerstätten sehr selten. Sie existieren nämlich nicht. Eine Erdöllagerstätte ist immer ein Fels, in dessen winzigen Spalten und Rissen sich das Erdöl angesammelt hat. Der Fels ist porös genug, um durch mehrere senkrechte Bohrungen einer großen Menge des in ihm gespeicherten Öls einen Weg nach oben eröffnen zu können. Den es dann auch nimmt, zunächst getrieben vom Druck des Gesteins und später vielleicht unterstützt durch Gase oder Flüssigkeiten, die man in den Felsen hineintreibt. Auf diese Weise – und das ist ebenfalls der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt – kann man eine solche „konventionelle“ Lagerstätte, nur zu etwa 20% ausbeuten. Mit modernster Technologie, die in vielen Ölförderländern des Nahen Ostens aber gar nicht zum Einsatz kommt, sind sogar 30% und mehr möglich. In jedem Fall aber bleibt bislang der größte Teil des Erdöls unter der Erde, im Sediment verteilt wie Wasser in einem Schwamm. Das ist auch der Grund dafür, warum konventionelle Felder immer durch viele, hunderte, manchmal gar tausende Bohrlöcher erschlossen werden. Es gilt, soviel Wege wie möglich an die Erdoberfläche zu eröffnen.

Nach den geologischen Erkenntnissen der vergangenen Jahrzehnte sammelt sich das meiste Öl aber gar nicht in solchen tektonischen Fallen an. Es verbleibt im Muttergestein, am Ort seiner Entstehung weil dieses einfach nicht porös genug ist, um ein Fließen zu ermöglichen. Es bringt daher auch nichts, in diese Schichten senkrechte Löcher zu bohren. Erdöl ist hier über ein zu großes Volumen zu fein verteilt, um wirtschaftlich gefördert werden zu können. Solche Formationen standen daher bislang nicht im Fokus der Exploration. Es gibt nur wenige Schätzungen, welche Menge an konventionellem Öl tatsächlich in diesen unkonventionellen Lagerstätten vorhanden ist. In den offiziellen Statistiken über Ölressourcen und -reserven sind diese Vorkommen entsprechend (noch) nicht enthalten. Man wird diese also bald sehr, sehr deutlich korrigieren müssen.

Denn seit einigen Jahren ist dieses konventionelle Erdöl aus unkonventionellen Lagerstätten tatsächlich ökonomisch in Reichweite. Der Grund dafür ist eine Technologiekonvergenz, die seit den 1990er Jahren bereits die Erdgasförderung revolutioniert hat und nun beginnt, sich auch auf die Erdölförderung auszuwirken:

Fracking: Seit den 1940er Jahren betreibt man das sogenannte „Hydraulic Fracturing“ oder auch einfach „Fracking“. Hier wird über ein Bohrloch Wasser, versetzt mit einigen Chemikalien, in den Fels gepumpt, um Poren und Risse zu schaffen und zu erweitern, durch die entsprechend mehr Öl gewonnen werden kann.

Horizontales Bohren: Seit den 1970er Jahren kann man auch Bohrungen über weite Strecken horizontal vorantreiben, das heißt parallel zur Erdoberfläche bzw. zur Orientierung der ölführenden Gesteinsschicht.

Seismische Exploration: Fortschritte in der Sensortechnik, der Daten- und Bildverarbeitung ermöglichen seit etwa 10 Jahren hochgenaue, dreidimensionale Rekonstruktionen unterirdischer Gesteinsschichten. Dadurch wird nicht nur das Auffinden von Lagerstätten einfacher, sondern auch das Erschließen, da Ablauf und Ausmaß der erforderlichen Bohrungen besser planbar werden.

Das Zusammenwirken dieser drei Technologien ermöglicht heute die wirtschaftliche Gewinnung des Erdöls direkt aus den Muttergesteinen. Hat man sie mit den modernen Explorationsmethoden identifiziert, kann durch eine horizontale Bohrung mittels Fracking das dichte Gestein aufgeschlossen werden, um einer großen Menge Öl den Weg an die Erdoberfläche zu bahnen.

Und das ändert alles.

Man muss nicht mehr selbst nach Nord Dakota reisen, um ein Gefühl für diese Zeitenwende zu entwickeln. Man kann auch bei Google Earth die kleine Stadt Parshall aufsuchen. Man zoome ein Stück heraus und fliege langsam in nordwestliche Richtung. Es fallen die kleinen braunen Flecken auf, die das schachbrettartige Muster der Felder und Weiden übersäen. Es sind hunderte solcher Stellen, sie ziehen sich von Parshall ausgehend bis an die kanadische Grenze heran. Ein näherer Blick verrät, was dort vor sich geht. Man erblickt technisches Equipment. Lastwagen, Container, allerlei Maschinen und Bohrtürme. Hier, am südlichen Ende des Bakken-Feldes, findet hydraulic fracturing für die Erdölgewinnung bereits in großem Maßstab statt.

Für das Jahr 2011 weist der BP Statistical Review einen weltweiten Ölverbrauch von etwa 32 Milliarden Barrel aus. Die nachgewiesenen Ölreserven (wirtschaftlich förderbare konventionelle und unkonventionelle (Ölsande) Ressourcen) werden auf etwa 1.600 Milliarden Barrel beziffert. Die statische Reichweite von Erdöl liegt damit bei etwa 50 Jahren.

Allein Bakken kann nach den Angaben einer Studie von Leonardo Maugeri („Oil: The Next Revolution“) vom Belfer Center for Science and International Affairs der Harvard Universität bis zu 500 Milliarden Barrel an zusätzlichen Rohölressourcen enthalten, von denen wahrscheinlich bereits heute 10% wirtschaftlich förderbar sind. Und Bakken ist nur eines von zwanzig großen Schieferölfeldern allein in den USA. Für den Rest der Welt existieren noch keine Abschätzungen.

Letztendlich ist die Gesamtmenge an verfügbarem Öl auch nicht der entscheidende Parameter. Wichtig ist die Elastizität im Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Kann das Angebot mit der Nachfrage schritthalten, sollte diese wie in den letzten Jahren konstant bleiben oder gar weiter steigen? „Peak Oil“ ist die Vorstellung, der Zeitpunkt, zu dem das nicht mehr möglich wäre, stünde kurz bevor. Schieferöl ist der Tod dieser Idee. Bakken zeigt: „Peak Oil“ ist Geschichte. Zumal mit den neuen Technologien auch die bereits betriebenen konventionellen Quellen noch besser genutzt werden können. Es sind weit höhere Abbauraten als nur 20-40% möglich. Maugeri schätzt recht zurückhaltend eine mögliche Steigerung der weltweiten Ölförderung um etwa 20% schon in den kommenden sieben Jahren als durchaus realistisch ein. Und der potentielle Beitrag weiterer unkonventioneller Ressourcen wie Ölschiefer (wohl zu unterscheiden von Schieferöl) und Ölsand ist hier noch nicht einmal berücksichtigt. Letztendlich gescheitert ist die Peak-Oil-Hypothese am falschen Blickwinkel. Es genügt nicht, das Angebot einer Ressource allein als Reaktion auf die Nachfrage zu betrachten. Das Angebot hängt eben auch von der zur Verfügung stehenden Technologie ab und von den Investitionen der Ölindustrie in Forschung und Entwicklung, in Exploration und Erschließung.

Was den Ölpreis betrifft, kann ich aber keine Hoffnungen machen. Dieser ist kein guter Indikator hinsichtlich der Fragestellung, ob Rohöl nun knapp wird oder nicht. In dem Szenario-Workshop waren wir uns daher auch nur in einem Punkt einig: Wenn der Ölpreis steigt, dann sicher nicht, weil die Ressource selbst zur Neige geht. Es spielen sehr viele Faktoren eine Rolle, vom Zustand und der Kapazität der Transportmöglichkeiten bis hin zu Kartellabsprachen, von politischen Rahmenbedingungen bis hin zu psychologischen Faktoren des Marktgeschehens. Es kommt der Ölindustrie ja nicht ungelegen, wenn viele Menschen an das Ende des Ölzeitalters glauben. Das ermöglicht es, höhere Preise durchzusetzen und gleichzeitig gelangen immer mehr unkonventionelle Vorkommen in Reichweite, technisch wie ökonomisch. So bedeutet ein hoher Ölpreis immer auch einen Anstieg der Reserven. Dieser Zusammenhang sichert die Verfügbarkeit von Erdöl noch für Zeiträume ab, die den Planungshorizont der deutschen Energiewende bei weitem übersteigen.

Hinweis: Viele Stammleser sind Anhänger von Theorien, die einen abiotischen Ursprung von Erdöl postulieren. Nach meiner Auffassung ist die Beweislage eindeutig: Erdöl kann durchaus abiotisch entstehen, aber kaum in den Mengen, in denen es gefunden wird. Alle Indizien weisen darauf hin, dass unser Öl nahezu vollständig biogenen Ursprungs ist. Letztendlich spielt dies aber hinsichtlich der Frage, ob die Peak-Oil-Hypothese relevant ist oder nicht, keine Rolle.

 

Zuerst erschienen auf science-skeptical.de

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