Notwehr ist ein Grundrecht

Der seit eineinhalb Jahren in Haft sitzende Informatik-Student Sven G. bekommt eine neue Verhandlung.  Das einzige Urteil, das einem Rechtsstaat würdig wäre, wäre ein vollumfänglicher Freispruch.

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Zurzeit sitzt er wegen versuchten Totschlags drei Jahre und neun Monate ab.  Wie es dazu kam, fasst die Zeitung „tz“ folgendermaßen zusammen:  „Sven G. feierte den Geburtstag seines jüngeren Bruders in Garching. Gegen Mitternacht brachen er und drei Freunde zur U-Bahn auf, stark angetrunken. Sie wollten in einem Wirtshaus weiter zechen – da stellten sich ihnen fünf junge Serben in den Weg. Besoffen und aggressiv bauten sie sich auf. Sie waren eben aus einem Freizeitheim geflogen, weil sie geschlägert hatten. „Was schaust du so?“, fragte Mergim S., damals 17 Jahre alt, und hieb einem der Freunde von Sven G. die Faust ins Gesicht, dass der zu Boden ging. Als nächsten schubste er Sven G., Mergim holte aus.

Der Fall der Münchner U-Bahn-Schläger war damals wenige Wochen alt. Sven G. sagte später vor Gericht: „Ich habe in meinem Leben noch nie so viel Angst gehabt.“ Also ergriff er ein kleines Messer, das er an einem Riemen um den Hals trug, und stach seinem Schläger in den Hals. Die Ärzte mussten Mergim S. in einer Not-OP das Leben retten.“


Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden (vgl. § 227 Abs. 2 BGB, § 32 Abs. 2 Strafgesetzbuch, § 15 Abs. 2 OwiG).   Die Wikipedia erläutert außerdem ausführlich:

„Mit Notwehrhandlung bezeichnet man die Handlung, die der Verteidiger zur Abwehr des Angriffs vornimmt. Notwehr berechtigt nur zur erforderlichen Verteidigung (Erforderlichkeit). Erforderlich ist eine Verteidigung dann, wenn sie geeignet ist, den Angriff sicher und endgültig zu beenden. Der Notwehrübende hat dabei das relativ mildeste Mittel zu wählen, allerdings muss er sich auf Risiken bei der Verteidigung nicht einlassen. Ebenso wenig kommt eine schimpfliche Flucht in Betracht, da das Recht dem Unrecht nicht weichen muss. Eine Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter findet - anders als bei § 34 StGB - nicht statt. Das heißt, dass der in Notwehr Handelnde keine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen muss.[1] So muss beispielsweise niemand eine Körperverletzung hinnehmen, falls diese nur durch eine tödliche Abwehrhandlung zu verhindern ist. Eine Ausnahme hiervon gilt nur bei dem sogenannten krassen Missverhältnis. So darf beispielsweise ein Obstdiebstahl (jedenfalls durch deliktunfähige Kinder) nicht mit tödlichem Schusswaffengebrauch vereitelt werden. Bereits der Diebstahl mittelwertiger Gegenstände darf nach herrschender Meinung jedoch mit einer tödlichen Abwehrhandlung vereitelt werden, sollten mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen.[1] „

Das Gesetz ist also nicht das Problem.  Das Problem liegt vielmehr bei der völligen Weltfremdheit (und juristischen Inkompetenz) des Gerichts, das Sven G. des versuchten Totschlags für schuldig befunden hat und bei der Staatsanwaltschaft, die sogar eine noch höhere Strafe gefordert hatte.  Wer sagt, dass Sven G. den Angriff überlebt hätte, wenn er nicht zugestochen hätte?  Wer von einem Fremden angegriffen wird, dem liegt zum Zeitpunkt des Angriffs nur eine einzige Information vor:  der Angreifer will ihm Schaden zufügen.  Er muss mit dem Schlimmsten rechnen und darf alles tun, was erforderlich ist, um sein Leben und seinen Leib zu verteidigen.  Persönlich halte ich den Einsatz von tödlicher Gewalt zur Verhinderung eines Diebstahls für nicht angebracht, aber wenn es um die Abwehr eines Angriffs eines Angriffs auf Leib oder Leben geht, frage ich mich:  Was geht eigentlich im Kopf eines Richters vor, der einem anderen Menschen das Recht absprechen will, sich zu verteidigen?

Dass Sven G. eine Waffe bei sich getragen hat, darf bei der Bewertung ebenfalls keine Rolle spielen.  Die Einschränkungen des Rechts auf privaten Waffenbesitz werden schließlich damit begründet, dass man damit Straftaten verhindern will und nicht damit, dass Schläger ein Recht auf wehrlose und unbewaffnete Opfer hätten.   

Dominik Brunner, der kürzlich an einem Bahnsteig tot geschlagen wurde, weil er versucht hatte, eine Gruppe von Kindern gegen zwei Angreifer zu verteidigen, gilt zu Recht als Held.  Es ist jedoch nicht sein Tod, sondern sein mutiges Eintreten zum Schutz von Schwächeren, das ihn zu einem Helden macht.  Hätte er seine Angreifer getötet (wie am tragischen Ausgang des Vorfalls zu sehen, wäre dies keineswegs unverhältnismäßig gewesen) und nicht umgekehrt, wäre sein Handeln deshalb nicht weniger heldenhaft.

Auch der Strafbefehl gegen Carsten H., der sich in der Straßenbahn gegen acht Jugendliche, die ihn bespuckten und bepöbelten mit Pfefferspray zur Wehr setzte, wird hoffentlich vor Gericht aufgehoben.  

Für Richter (und Gesetze erlassende Politiker) habe ich als kleine Hilfe zur Entscheidungsfindung folgenden Tipp:  Überprüfen Sie stets, ob Sie ein Gesetz auch dann für gerecht halten würden, wenn es bei Ihnen selbst zur Anwendung kommen würde. So wird wohl kaum jemand für sich selbst ernsthaft ein Recht auf Diebstahl einfordern.  Aber fänden Sie es wirklich in Ordnung, wenn Sie bestraft würden, weil sie sich gegen einen unprovozierten Angriff gewehrt haben?  

Es ist menschlich verständlich, dass Sven G. in der Zwischenzeit an Mergim S. 12.500 Euro gezahlt und sich entschuldigt hat, weil er durch einen sogenannten „Täter-Opfer-Ausgleich“ auf ein milderes Urteil hofft.  Dass jemand in ihm einen Täter sieht, ist jedoch ein Skandal.    

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Eugen

Mich wundert ja nur, dass sie Sven G. und seine Begleiter nicht des rassistischen, versuchten Totschlages angeklagt haben. Kann ja wohl nicht sein, dass ein paar pöbelnde Deutsche die armen Serben angreifen...

Leute wacht endlich auf!

Gravatar: Slyder

Hoffentlich kommt der Richter mal in eine solche Situation, er kann das dann ja ausdiskutieren...Viel Glück!!

Gravatar: Andreas Dmytrowicz

Es gibt das sogenannte "Richterprivileg"!! Dadurch sind diese quasi unangreifbar. Zudem schützt der Bundesgerichtshof, in steter Wiederholung, vor Verfahren wegen Rechtsbeugung - in höchst eigenartiger Definition und - Auslegung - der Gesetze (vergl. Rechtssprechung).

Gravatar: Gladstone

Aus meiner Sicht besitzen die Richter zu viel Handlungsfreiheit bei der Interpretation der Gesetze. Insoweit sollte sich die Kritik vielleicht tatsächlich eher an die Rechtsprechung als an die Richter wenden. Man sollte da eine Justizreform in Angriff nehmen, die klare Vorgaben für die Bestrafung von Tätern (Stichwort: Mindeststrafen) und die Behandlung der Opfer macht. Die Möglichkeit Bewährung zu verhängen sollte eingeschränkt und das Recht des Opfers auf Selbstverteidigung ausgeweitet werden.
Es ist immer falsch einer bestimmten Personengruppe zu viel Macht zu geben und die Richter haben aus meiner Perspektive durch die Freiheit bei der Interpretation der Gesetze zu viel Macht.

Gravatar: Theodor

Die Hauptschuldigen für die Zunahme der Gewaltkriminalität sind die Richter. Das ist eine statistische Tatsache. Man konnte in den USA sehr gut belegen, dass der Anstieg der Gewaltkriminalität seit der Mitte der sechziger Jahre mit der "liberaleren" Rechtssprechung einer neuen Richtergeneration zusammen hing. Solange sich der Steuerzahler sich solche Richter leistet, brauchen wir uns über die Zunahme der Kriminalität nicht zu wundern.

Gravatar: Fabian Heinzel

Sehr geehrter Herr Windhöfel,

darf ich Ihre Äußerung dahin gehend interpretieren, dass Sie es für rechtsstaatliches Handeln halten, einen Menschen mehrere Jahre einzusperren, weil er sich gegen einen gewalttätigen Angriff gewehrt hat und dass Sie nicht etwa das Einsperren, sondern die Kritik daran als eine schlimme moralische Entgleisung einschätzen?

Dass Sie sich stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Deutschland wünschen, finde ich im Übrigen ausgesprochen bedenklich.

Gravatar: Thomas Windhöfel

Sehr verehrte Frau von Beverfoerde,
in der Tat sollte Kritik nicht anmaßend und nicht herabsetzend sein. Anmaßend ist es aber, ob als Jurist oder Nichtjurist, als Betroffener oder als Dritter, ein Gericht der juristischen Inkompetenz zu zeihen, sein Urteil als eines Rechtsstaats nicht würdig zu bezeichnen und den Richtern einen "kleinen Tipp" für die Zukunft zu geben. Das nenne ich Anmaßung, das nenne ich herabsetzende Kritik. In den Ländern des angelsächsischen Rechts ist so etwas, gegenüber einem Gericht, mit Recht strafbar; in Deutschland ist es eine schlimme moralische Entgleisung.

Ich weiß das, was Sie tun, zu schätzen, soweit ich es aus der Ferne beurteilen kann. Wenn Sie sich aber nun als Verteidigerin einer derart schmierigen Hetzpropaganda gegen das (richtige oder von mir aus falsche) Urteil eines deutschen Gerichtes exponieren, dann haben Sie in der Tat Maßstäbe von Gerechtigkeit, Gesittung und Geschmack, die nicht die meinen sind. Im Unterschied zu Ihnen, sehr verherte Frau von Beverfoerde, verzichte ich insoweit auf Ursachenforschung.
Hochachtungsvoll
Thomas Windhöfel

Gravatar: Hedwig Beverfoerde

@ Herrn Windhöfel:
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn man Ihnen in Ihrer Kindheit ein paar vorlaute Worte hätte durchgehen lassen. Sie hätten es möglicherweise dann heute weniger nötig, Kritik in einer so anmaßend herabsetzenden Weise zu äußern, wie Sie es sich hier herausgenommen haben.

Gravatar: Fabian Heinzel

Sehr geehrter Herr Windhöfel,

1. Die Darstellung der Rechtslage in der Wikipedia ist korrekt. Das Internet-Lexikon ist zwar nicht in jedem Fall eine zuverlässige Quelle, aber es würde mich sehr wundern, wenn Ihnen in diesem Fall ein anderes Gesetz bekannt wäre.

2. Niemand bestreitet, dass Sven G. und seine Begleiter von der anderen Gruppe angegriffen worden sind und dass Mergim S. einen von ihnen niedergeschlagen hat. Damit war eine Notwehrsituation gegeben. Es ist keineswegs "vorlaut" dies so zu sehen, auch wenn ich nicht Jura studiert habe, bin ich des Lesens von Gesetzestexten durchaus mächtig. Zum Glück sind unsere Gesetze ja nicht nur Juristen zugänglich und Kompetenz in einem bestimmten Bereich hat oft sehr viel mehr mit der Beschäftigung mit einer Materie zu tun als mit einem akademischen Abschluss. Mir sind Fälle bekannt, in denen Rechtsanwälte es nicht geschafft haben, im Vorfeld eines Verfahrens aus Eigentumsanteilen resultierende Zahlungsverpflichtungen auszurechnen, obwohl dafür eine Formel existierte, auch gibt es Anwälte, die mit alten Gesetzestexten arbeiten, die schon lange keine Gültigkeit mehr haben.

3. Selbstverständlich handelt es sich bei meinem Beitrag um eine Meinung, es ist ja ein Blog. Diese Meinung ist aber nicht nur durch mein persönliches Rechtsempfinden, sondern auch durch Gesetze untermauert. Im Übrigen würde ich auch unter Juristen mit dieser Meinung keineswegs alleine dastehen - das Verfahren wird ja nicht umsonst neu aufgerollt und auch die Verteidigung hat damals einen Freispruch gefordert.

4. Sie machen mir sehr wohl einen persönlichen Vorwurf und versuchen, meine Meinung zu entwerten, in dem sie sie als "vorlaut" verunglimpfen. Das ist Ihr gutes Recht, aber bitte stehen Sie auch dazu. Ich bin selbst dafür verantwortlich, was ich sage und tue und berufe mich nicht darauf, dass mir Ihre Generation (um den Spieß mal umzudrehen) mir dieses oder jenes falsch beigebracht hätte. Ich kritisiere das Urteil gegen Sven G., weil ich es für falsch halte und nicht weil ich vielleicht ein paar Lehrer hatte, die zu Meinungsäußerungen aufgerufen haben.

Mit freundlichen Grüßen

Fabian Heinzel

Gravatar: Insider

Fortsetzung...“Jahrelang spielten die Gerichte diese Art von Motivpingpong:
Entweder einem Nazirichter fehlte das Unrechtsbewusstsein, dann war er freizusprechen, oder er urteilte aus tiefer Überzeugung und also ohne rechtsbeugerischen Vorsatz, dann war er auch freizusprechen.
Einer der wenigen demokratischen Juristen in einer Spitzenposition, der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, kommentierte die Bewusstseinspaltung der Nazirichter höchst zutreffen:
In den Entnazifizierungsakten lesen wir, dass sie samt und sonders dagegen waren. Sollen aber Staatsanwälte und Richter etwa wegen exzessiver Todesurteile zur Rechenschaft gezogen werden, so beteuern sie, damals in ungetrübter Übereinstimmung mit ihrem Gewissen verfolgt und hingerichtet zu haben, womit nach herrschendem Justizrecht Rechtsbeugung und Todschlag entfallen“.

Gravatar: Elmar Oberdörffer

Dieser fall zeigt, daß die Rechtsprechung in Deutschland völlig verkommen ist. Wer sich gegen einen Agressor verteidigt, ist plötzlich der "Täter" und wird verurteilt. Das führt dann zu der Perversion, das sich der Angegriffene beim Agressor dafür entschuldigt, daß er sich verteidigt hat, und ihm auch noch Geld zahlt, alles in der Hoffnung, die verkommene Justiz für sich günstiger zu stimmen. Was ist nur aus Deutschland geworden!

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