Mut zur Polarisierung, Mut zum politischen Kompass

Entdeckt die Welt. Mit dem Kompass. Meinetwegen auch mit Navi. Aber schaltet von "Richtungsweisend" - da zeigt der Pfeil immer in die gleiche Richtung - auf "Normale Kartenansicht" - da wandert der Pfeil vom Kompass gesteuert.

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Was ist eine Politische "Kompassaussage"? Zunächst einmal ist es ein Arbeitsbegriff, der erleichtern soll, zu verstehen, um was es hier geht: Um die Schwierigkeit sich heute politisch zu orientieren.

So lange es den schönen "kalten Krieg" gab, war das noch nicht so schwer wie heute. Bis zur "Auflösung des Ostblocks" und der Wiedervereinigung, war es guter Brauch, im innenpolitischen Schlagabtausch Linke als Sozialisten, schlimmer als Kommunisten, ganz schlimm als Moskauhörig zu verdächtigen. Und das wahrscheinlich meist zu Recht.

Diese links/rechts Unterscheidung führten zu dem, was die gelehrten Politologen als "Polarisierung" bezeichneten.

Alle Medienaussagen, Politikerworte und Parteiprogramme wurden darauf abgeklopft ob sie "rechts" oder "links" waren. Das ist es, was ich mit "politischem Kompass" meine. Jeder Wahlbürger hatte diese Orientierungshilfe sozusagen mental eingebaut. So ging die CDU 1976 mit der von Kohls Generalsekretär Biedenkopf formulierten Kompass-Aussage: FREIHEIT STATT SOZIALISMUS - AUS LIEBE ZU DEUTSCHLAND in den Bundestagswahlkampf - wie der  WDR noch dreißig Jahre später beklagt.

Aber nach der Wende 1989 wurde es schwieriger linke Parolen und Versprechungen mit dem Hinweis auf den "real existierenden Sozialismus" zu entlarven. Erschwerend kam hinzu, dass das wieder vereinigte Deutschland sich schwer damit tat, ein einig Volk von Brüdern (und Schwestern, natürlich!) zu werden. Die Deutsche Einheit drohte nicht nur wirtschaftlich sondern auch emotional zu scheitern.

Und das zur keineswegs nur "klammheimlichen" Freude vieler Genossen bei SED/PDS und SPD. Es ist heute fast "in Vergessenheit geraten, wie DIE WELT bemerkt, dass Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine, die heute als Sachwalter der Ostdeutschen auftreten, einmal mit deren Selbstbestimmungsrecht oder gar mit der Einheit der Nation wenig anzufangen wussten. Sie standen damit in der SPD nicht allein, sondern verkörperten die dort geltende Mehrheitsmeinung. Danach war die deutsche Zweistaatlichkeit fast Dogma - nicht nur weil ein Zusammenbruch des Sowjetimperiums die Vorstellungskraft der Genossen sprengte, sondern weil viele in der SPD im Sozialismus das letztendlich bessere Gesellschaftsmodell sahen. Die Zweistaatlichkeit wurde zudem - wie etwa von Lafontaine - als Ausdruck historischer Gerechtigkeit empfunden, als Buße für die singulären Verbrechen während der Hitler-Diktatur.

Als sich im Herbst 1989 im Zuge von Gorbatschows Perestroika die Dinge in der DDR zu verändern begannen, waren die Reaktionen in der SPD entsprechend: Gerhard Schröder, der niedersächsische Oppositionsführer, erklärte im September 1989: Eine auf Wiedervereinigung gerichtete Politik sei "reaktionär und hochgradig gefährlich". Kurz darauf wurde er durch SPD-Vorstand und Bundestagsfraktion bestätigt, lehnten diese doch ebenfalls das "leichtfertige und illusionäre Wiedervereinigungsgerede" ab." Soweit DIE WELT.

Als es aber darum ging, die Stimmen "aus den neuen Ländern" bei Wahlen einzusammeln, waren SPD und CDU schneller noch als die vielzitierten "Wendehälse" in den "neuen Ländern" bereit ihre politischen Grundüberzeugungen zu ändern. Ja man konnte sogar als SPD gemeinsam mit den SED- Nachfolgen regieren. Obwohl die SED nach der Zwangsvereinigung (1946) SPD-Abweichler einkerkern und ermorden ließ.

So passte bald nach 1989 das "links/rechts Schema" nicht mehr in die politische Landschaft - oder anders gesagt, es hatte als Wahlkampfmunition ausgedient. Der Wohlfühlwahlkampf (ohne jeden politischen Kompass) war geboren. Zunächst ging es darum den ostdeutschen Wählern ihren Abstieg in die Massenarbeitslosigkeit schönzureden. Und heute sollen die Wahlbürger, die sich Sorgen um ihr Geld machen großformatig eingelullt werden. Die Erfahrungen, die man beim Schönreden der Einheit gemacht hatte, bedeuteten das Ende der Polarisierung, das Ende der Kontroverse in der politischen Debatte über Grundsatzfragen.

Polarisierung wurde zum Tabu. Annährung durch Wandel oder Wandel durch Annährung: Egel! Am Ende gibt es eine große Koalition

Polarisierung bedeutete: Du kannst dich entscheiden - im Zweifel für einen rechten, konservativen oder einen linken, sozialistischen Kurs. Oder einen mitten durch. Tempi passati. Es gibt keine Alternative. Es darf keine Alternative geben.

 

Übrigens hat auch die "Alternative" für Deutschland verbal auf klare Kante verzichtet und will sich nicht "links" oder "rechts" einordnen. Dabei verkennt die Partei, dass der politische Diskurs weiterhin von linken Ideologen bestimmt wird.

Nahezu alle politischen Entscheidungen lassen sich in das klassische Raster einordnen: Hier mehr Freiheit für den Einzelnen dort mehr fürsorgender (umverteilender) Staat. Und diese (linke) Fürsorge reicht weit über das Materielle hinaus. Sie beginnt bei ideologisch geprägten Lehrplänen, die alle bürgerlichen Werte in Frage stellen und endet bei der Fürsorge für alle auf der Welt, die mühselig und beladen sind. Lasset die Kindlein Flüchtlinge zu uns kommen (je mehr, desto bunter und gerechter). Es gibt keine Kompass mehr, der Orientierung schafft sondern nur noch einen Tugend-Tunnel ohne Ausweg. Niemand darf einen anderen Weg erkennen. "Scheitert der Euro - scheitert Europa".  Alle Wege führten nach Rom, als es noch eine "allein selig machende" Kirche gab. Heute müssen alle Wege nach Brüssel führen.

2003 auf dem Leipziger CDU-Parteitag, als "Mutti" noch nicht "Mutti" war, sondern Oppositionsführerin, wagte Angela Merkel noch Kompass-Aussagen gegen die rot/grüne "Verlogenheit":

"Manche unserer Gegner können es sich nicht verkneifen, uns in der Zuwanderungsdiskussion in die rechtsextreme Ecke zu rücken, nur weil wir im Zusammenhang mit der Zuwanderung auf die Gefahr von Parallelgesellschaften aufmerksam machen. Das, liebe Freunde, ist der Gipfel der Verlogenheit, und eine solche Scheinheiligkeit wird vor den Menschen wir ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Deshalb werden wir auch weiter eine geregelte Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung fordern.

Und ein weiteres Beispiel: Beim Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hätte ich mir mehr gewünscht als das Zurückziehen auf die Neutralität gegenüber den Religionen.

Ich wende mich gegen solche Beliebigkeit. Wir sagen: Es kann doch nicht sein, dass die christlichen Symbole bei uns keinen Platz in den Schulen haben und das Tragen eines Kopftuches durch Gesetz verboten werden muss. Das werden wir ändern." Soweit Angela Merkel at her best.

Kaum zu glauben: Damals verteidigte sie Positionen, obwohl sie sich dafür von den üblichen Verdächtigen in die rechtsextreme Ecke gedrängt sah. Das müsste doch einem Bernd Lucke zu denken geben, der sich heute nicht rechts und nicht links sondern im "gesunden Menschenverstand" verorten will.

Aber den Verdacht, rechtsextreme Ziele zu verfolgen, werden Bernd Lucke und die AfD beim politischen Mainstream sowieso nicht ausräumen können.

Es gab sogar eine Zeit, da war Angela Merkel mutiger als die CSU. Die CSU hatte im Wahlkampf plakatiert: "Sozial ist was Arbeit schafft". Wie bitte?!! Die TAZ zeterte das sei ein Slogan aus der Nazizeit  und die CSU überklebte brav ihre Plakate. Trotzdem machte sich Angela Merkel die Kompass-Aussage zur Arbeit zu eigen.Die wütende Antwort aus sozialistischer Sicht kam promt.

An dem "Arbeits"- Programm wird deutlich, was eine Kompassaussage auszeichnet: Sie gibt eine Richtung an, an der zukünftige politische Entscheidungen zu messen sind. Genau das Gegenteil von kleinteiligen Wahlversprechen, von denen jeder erfahrene Wahlbürger weiß, dass sie nicht eingehalten - oder schlimmer noch - doch verwirklicht werden (Nahles-Rente, Mütter-Rente, Mindestlohn usw.). "Polarisierung" war, seit es Wahlen gibt die Folie, auf der sich die Kompass-Nadel bewegte, die Grundvorausetzung für den politischen Diskurs. Natürlich blieb es jedem frei, seinen Weg und seine Richtung fein abgestimmt zu wählen. Heute gibt es öffentliche Knete für Projekte gegen Polarisierung (z.B. von der Islamkonferenz).

Mit von der Partie sind die Mainstream-Medien, die in ihrer Berichterstattung selten die linke Botschaft, die in vielen politischen Entscheidungen steckt, thematisieren. Allenfalls wenn es um die extreme Rechte geht oder etwa um die AfD, wird die politische Grundorientierung zum Thema.

Schade eigentlich, dass sich zum Clown machen muss, wer im Fernsehen demonstrieren darf, dass es in Deutschland grundverschiedene Ansichten gibt (Augstein und Blome). Leute! Entdeckt die Welt. Mit dem Kompass. Meinetwegen auch mit Navi. Aber schaltet von "Richtungsweisend" - da zeigt der Pfeil immer in die gleiche Richtung - auf "Normale Kartenansicht" - da wandert der Pfeil vom Kompass gesteuert. Von Nord nach Süd. Von West nach Ost oder eben irgendwie. Aber leider haben viele schon verlernt, sich so zu orientieren.

Zuerst erschienen auf lyrikheute.com

 

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