Mit Keynes in die nächste Krise

John Maynard Keynes wirtschaftspolitische Rezepte erlebten während der Wirtschaftskrise vor allem in ihrer vulgären Form ungeahnte Popularität. Ihre fundamentalen Schwächen ebnen jedoch den Weg in die nächste Krise.

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John Maynard Keynes ist wieder modern. Vor allem in Politik und Medien beruft man sich gern auf den den britischen Ökonomen, der sich vor fast achtzig Jahren anschickte die bis dato gültige Wirtschaftstheorie auf den Kopf zu stellen. In einem Beitrag in der Zeitschrift "Independent Review" diskutiert Robert Higgs, Experte für Politische Ökonomie am Independent Institute in Oakland, Kalifornien, die Fallstricke vulgärkeynesianischer Methoden der Krisenbekämpfung und staatlichen Konjunktursteuerung. Seiner Ansicht nach ist eine Politik, die bereits auf falschen bzw. unzulässig vereinfachten Prämissen aufbaut, von vorn herein zum Scheitern verurteilt. Der Wissenschaftler macht dabei sechs der wichtigsten Fehler der derzeitigen Debatte aus:

Die Aggregation makroökonomischer Daten

Die vorherrschende Makroökonomik denkt in Aggregaten. Hierbei wird ein extrem komplexes Wirtschaftsystem als Zusammenspiel einer Handvoll ökonomischer Parameter dargestellt: Das Volkseinkommen (Y) oder auch volkswirtschaftliche Gütermenge (Q) mal Preis (P); der gesamtwirtschaftliche Konsum (C); die gesamtwirtschaftlichen Investitionen (I); die Staatsausgaben (G) und der Außenbeitrag einer Volkswirtschaft als Differenz von Exporten (X) und Importen (M).

Y = Q x P = C + I + G + (X - M)

Die Idee hinter dieser Identität ist ein Gleichnis von gesamtwirtschaftlicher Nachfrage und gesamtwirtschaftlichem Angebot. Unter dieser Prämisse ist es gleichgültig für welchen Zweck in einer Volkswirtschaft Ausgaben getätigt werden. Jede Nachfrage schafft sich ihr Angebot, egal ob Krankenausstattungen oder Handgranaten gekauft werden. In der Realität wird jedoch nicht einfach ein aggregiertes Produkt, sondern eine Vielzahl von unterschiedlichen Gütern und Dienstleistungen angeboten. Zudem produzieren nicht alle Anbieter Güter für den Endverbrauch der Konsumenten, sondern stellen Rohstoffe und Produktionsmittel für die unterschiedlichsten Produktionsprozesse her. Da diese Anbieter in einem extrem verzweigten Produktionsnetzwerk untereinander eng verwoben sind, ist es von immenser Bedeutung, welche Güter wann, wo und in welcher Menge nachgefragt werden. Nicht das bloße Auseinanderfallen rechnerischer Nachfrage- und Angebotsaggregate ist die Ursachen von wirtschaftlichen Krisen, sondern die Inkompatibilität der Struktur von Angebot und Nachfrage. Mit anderen Worten, es werden Dinge produziert, für die auf unterschiedlichen Stufen der Produktion und des Konsums keine Nachfrage besteht. Konjunkturpolitische Makrosteuerung ist blind für derartige Feinheiten, die wirtschaftlichen Wahlentscheidungen von Millionen von Konsumenten und Produzenten werden in einem Aggregat zusammen gekleistert.

Die Ignoranz relativer Preise

In der keynesianischen Wirtschaftswelt gibt es nur einen Preis, ein gewichteter Durchschnitt aller Güter und Dienstleistungen, dessen Multiplikation mit der Menge produzierter Güter den gesamtwirtschaftlichen Produktionswert ergibt. Wenn die Preise einzelner Güter und Dienstleistungen sich relativ zueinander verändern, dann gehen diese Preisveränderungen in einem Durchschnitt unter. Diese für die Allokation der Güter essentiellen Preisveränderungen gehen in dem groben Modell unter oder üben eine für analytische Zwecke unbrauchbaren Einfluss auf die volkswirtschaftlichen Aggregate aus. Veränderungen der Parameter des Modells durch Veränderungen in einzelnen Sektoren und damit verbundene relative Preisänderungen zeigen zwar Schwankungen in den Angebots- und Nachfrageaggregaten an, erlauben keine Rückschlüsse auf die sektorale Struktur der Veränderung, ganz zu schweigen von einem noch feineren Blick auf einzelne oder Gruppen von Unternehmen oder Konsumenten. Keynesianische Konjunkturpolitik begnügt sich mit der Ankurbelung der aggregierten Nachfrage. Strukturelle Aspekte von Produktion und Konsum finden keine Berücksichtigung, so dass selbst die Nachfragestimulierung in Bereichen in denen die Produktion bereits ausgelastet ist als wünschenswert angesehen wird. Derartige Nachfrageschübe nützen jedoch nichts, wenn Arbeiter und Produktionskapazitäten in ganz anderen Bereichen unterausgelastet sind. Arbeit ist für den vulgären Keynesianismus einfach Arbeit, Unterschiede in der Qualifikation, den Präferenzen oder dem Wohn- und Arbeitsort spielen keine Rolle. Es gilt schlichtweg mehr Menschen zu beschäftigen, damit diese wieder in der Lage sind die aggregierte Nachfrage zu erhöhen. Dementsprechend ist das aggregierte Angebot aus Keynes Perspektive auch nur von der Menge der eingesetzten Arbeit abhängig. Produktionskapital bleibt, weil kurzfristig als wenig variabel betrachtet, unberücksichtigt. Keynes legendäre Aussage, das langfristig alle tot seien, hat jedoch einen Pferdefuß. Die lange Frist ist eine Konsequenz vieler kurzfristigen Entscheidungen, deren negative Konsequenzen sich mit Sicherheit noch vor dem freiwilligen Abgang der meisten von uns zeigen dürften.

Der fehlinterpretierte Zinssatz

Für Keynesianer ist der Zinssatz der Preis des Geldes, die Entschädigung des Gläubigers für geborgtes Geld. Schulden sind gut, denn sie werden konsumiert, was Arbeitsplätze schafft, das heilige Ziel der Vertreter von Keynes Lehren. Also kann der Zinssatz gar nicht niedrig genug sein, damit ordentlich Schulden gemacht, konsumiert und gearbeitet wird. Jeder Versuch der Zentralbanken die nominalen Zinsen niedrig zu halten, etwa durch den Ankauf von Offenmarktpapieren, wird daher begrüßt. Dabei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass der Zinssatz nicht der Preis des Geldes, sondern der Preis heutigen Konsums relativ zu zukünftigem Konsum ist, sich daher aus den Präferenzen der Menschen zwischen heutigem und zukünftigem Konsum, ihrer Zeitpräferenz, herleitet. Menschen mit hoher Zeitpräferenz leben eher in den Tag hinein und wollen heute aus dem Vollen schöpfen, wohingegen Menschen mit niedriger Zeitpräferenz geneigt sind mehr zu sparen, um später mehr zu konsumieren. Je nach Zeitpräferenz der Leute müssen die Zinsen unterschiedlich hoch ausfallen, damit sich die Menschen zu einem Aufschub ihres Konsums in die Zukunft und zum Verborgen ihres Geldes motivieren lassen. Eine künstliche Manipulation des Zinses verfälscht diese Lenkungsfunktion des Zinses und motiviert Unternehmen zur Investition von Produktionskapazitäten, deren kein echter Bedarf gegenüber steht. Keynesianer negieren diesen Effekt im Rückgriff auf die Irrationalität der Unternehmer, die mit "tierischen Instinkten" ("animal spirits") handeln und sich daher kaum von Zinssatzänderungen in ihren Investitionsentscheidungen leiten ließen. Konsumenten dagegen würden durch schuldenfinanzierten Verbrauch die volkswirtschaftliche Nachfrage stärken und damit der Wirtschaft Auftrieb verleihen. Auch hier wird die Struktur von Angebot und Nachfrage stiefmütterlich behandelt.

Die vernachlässigte Struktur des Kapitals

Für viele Keynesianer spielt der Kapitalstock der Unternehmen und dessen mögliche Veränderungen in der kurzen Frist keine Rolle. Noch weniger interessant ist die Struktur des Kapitals, so dass die feinen Interdependenzen der Kapitalausstattung einzelner Firmen und Wirtschaftszweige und ihre Bedeutung für einen reibungslosen Produktionsablauf unberücksichtigt bleiben. Es spielt kaum eine Rolle, ob in Straßen, Häuser, Werkzeugmaschinen oder Kindergärten investiert wird. Dabei wird der große Einfluss schwankender Zinssätze auf die Struktur des Produktionskapitals nahezu außer acht gelassen. Künstlich reduzierte Zinssätze vermitteln den Unternehmen den Eindruck, dass besonders langfristige Investitionsobjekte lohnenswert sind, was wie in den Jahren 2002 bis 2005 zu dem künstlich induzierten Bauboom beitrug. Doch entsprechen diese Investitionen nicht den tatsächlichen Nachfragepräferenzen der Menschen, weder in ihrer sachlichen, noch in ihrer zeitlichen Dimension. Früher oder später musste die Blase daher platzen und damit Überkapazitäten und notwendigen Beschäftigungsabbau offenbaren. Keynesianer, blind für diese strukturellen Fehlentwicklungen, wollen Pleiten und Arbeitslosigkeiten vermeiden, indem der Staat die entstandene Nachfragelücke stopft, ohne dabei jedoch das Strukturproblem der Wirtschaft zu beseitigen. Die Krise wird ähnlich wie eine nicht ausgeheilte Erkältung verschleppt und der Katzenjammer kommt später.

Fehlinvestitionen und billiges Geld

Keynesianer denken in Aggregaten und greifen daher ohne Rücksicht auf eventuelle Fehlinvestitionen gern in das große konjunkturpolitische Steuerrad. Mittel der Wahl ist dabei die Politik des "billigen Geldes" durch die Notenbank. Zum einen senkt eine Ausdehnung der Geldmenge und die damit verbundene Inflation die Kosten der Staatsverschuldung, sind doch spätere Tilgungen inflationsbedingt weniger wert, zum anderen hofft man auf die schuldenfinanzierte Konsumlaune der Verbraucher. Deflation meiden Keynesianer dagegen wie der Teufel das Weihwasser, obgleich dem Großteil der Konsumenten gerade in Krisenzeiten sinkende Verbraucherpreise nicht unrecht sein dürften. Zudem sind sinkende Preise in Wirtschaftssektoren mit Überkapazitäten aus Boomzeiten das richtige Signal, das Angebot und Nachfrage sich wieder auf gesunde Weise annähern.

Ökonomische Unsicherheit durch staatliches "Krisenmanagement"

Die derzeitigen Versuche der Krisenbewältigung ähneln sich in erschreckender Weise dem erratischen Krisenmanagement des New Deals unter Theodore Roosewelt in den USA der dreißiger Jahre. Auch damals wurden allerlei nicht aufeinander abgestimmte Maßnahmen zur Krisenbewältigung in Angriff genommen und falls sie die gewünschte Wirkung verfehlten, verstärkt und durch weitere Aktivitäten ergänzt. Öffentliche Investitionen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Steuern, Protektionismus sowie Lohn- und Preisregulierungen ähneln in verblüffender Weise den heutigen Vorschlägen und Maßnahmen, die in Form von expansiver Geldpolitik, Unternehmenssubventionen, Abwrackprämien, Kurzarbeitergeld und Abgaben auf Kapitaltransfers unter so schillernden Bezeichnungen wie Wachstumsbeschleunigungsgesetz oder Green New Deal daherkommen. Dieser Aktionismus zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er für die Unternehmen als Rahmenbedingung ihres Handels kaum berechenbar ist und damit negativen Einfluss insbesondere auf langfristige Investitionen ausübt. Als Ausweg aus der Krise dürfte sich ein derartiges Krisenmanagement kaum eigenen. Kurzfristig implementiert verursachen diese Maßnahmen sogenannte Regimeunsicherheiten, bleiben sie langfristig bestehen, manifestieren sich die Fehlinvestitionen und Strukturprobleme in der Wirtschaft. Der Staat kann sich derwei schon mal neue Maßnahmen gegen die nächste Krise überlegen.

Dieser Beitrag erschien auch auf "Denken für die Freiheit", dem Weblog des Liberalen Instituts der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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Hallo,
was halten Sie davon, wenn die EZB für den Bau von Schulen und Universitäten die notwendigen Finanzmittel ohne Zinsen langfristig zur Verfügung stellt. Rückzahlung sollte langfristig erfolgen.
Grüße
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