Miszelle zu Marx

Vielleicht sollte man heute schweigen, einfach einen leeren Eintrag auf dieser Seite hinterlassen, trotzig erklären, dass es nichts gäbe, was es heute zu erwähnen lohne. Ein Zeichen, ein schönes fürwahr; aber so wie man das Jubiläum Luthers aus katholischen und historischen Gründen behandeln sollte, muss zugunsten des gesunden Menschenverstandes Marxens Geburtstag erwähnt werden.

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Der Unterschied zwischen Luther und Marx wird deutlich, sieht man auf die gesellschaftlichen Wellen, welche die jeweiligen Gedenkfeiern evozierten. Die evangelische Kirche wirkt selbstkritisch und tut sich schwer mit ihrem kantigen Gründer; ähnliches kann man von den Kommunisten und ihrem Vordenker nicht sagen. Gewissermaßen fuhren Bischöfe und Botschafter des Reformationsjahres dem einen Propheten mit dem Dolch in den Rücken, indes niemand auf Seite der linken Ideologen ein kritisches Wort über den anderen Propheten verlor. Es zeigt sich, dass letztere ein religiöseres Verhältnis zum Vorbild pflegen als manch Lutheraner zu ihrem. Der kommunistische Kult ist lebendiger als der evangelische; ob das eher gegen den Kommunismus oder gegen den Protestantismus spricht, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Dass Luther in der Öffentlichkeit heute immer noch mehr polarisiert als Marx, kann daher verschiedentlich interpretiert werden. Keine Anti-Marx-Sticker, keine Selbstkritik, kein Gegenwind. Stattdessen eine riesige Marx-Statue als chinesisches Geschenk. Die Linke feiert, die Mitte erkennt den Urheber von „Manifest“ und „Kapital“ als Denker an, die Libertären und Rechten bleiben in ihren Refugien. Dass dieses Land seinen Frieden mit Marx gemacht hat, sollte verwundern und erschüttern. Es unterstreicht den Zeitgeist. Höhepunkt ist die Aussage eines Kardinals gleichen Namens, der behauptet, ohne Marx hätte es keine katholische Soziallehre gegeben.

Natürlich: da gibt es Zwischenrufe bei der Welt und n-tv, die man so gar nicht erwartet hätte. Aber die Untaten, die im Namen des Kommunismus auf deutschem Boden geschahen, sind uns zeitlich deutlich näher als der Dreißigjährige Krieg. Die DDR hat lebende Zeitzeugen hinterlassen. Während aber niemand den Anteil des Protestantismus an den religiösen Auseinandersetzungen des 16. und 17. Jahrhunderts bestreiten würden, hält sich bis heute die Mär, man müsse Marx von dem politischen Ergebnis trennen. Eine enervierende Angelegenheit, die immer in der Argumentation mündet, dass es ja nie einen wahren Kommunismus gegeben hätte, man Marx und die Lehre also nicht verantwortlich machen könnte.

Kein Faschist könnte sich dagegen auf das Feld zurückziehen, dass es niemals einen wahrhaft faschistischen Staat gegeben hätte, weshalb der Faschismus bisher nur noch nicht richtig umgesetzt worden sei. Diese Apologien sind auch deshalb lächerlich, da die Epigonen des real-existierenden Sozialismus sich natürlich als Wegbereiter des Kommunismus interpretierten, dass nur sie den wahren Weg ins Arbeiterparadies kannten, und das natürlich ihre Gesellschaften die einzigen waren, die sich in die Nähe des Kommunismus rücken durften. Die Idee, man habe Marx gewissermaßen instrumentalisiert, kann nur von Leuten stammen, die den Islam von den Taliban, vom IS oder auch vom Mullah-Regime in Teheran missbraucht sehen und zu diesen Organisationen keinerlei Fundament im Koran erkennen.

Das Besondere an Marx bleibt sein Aktivismus. Er ist daher auch im Grunde kein Philosoph, und er ist beileibe nicht nur ein „Ökonom“. Marx hat von Anfang an ein Sendungsbewusstsein, das politische Agitateure auszeichnet. Als Journalist wird diese Agenda besonders deutlich. Und als Beobachter der Zustände im Frankreich der revolutionären Kommune bricht sein Weltbild durch. Zugunsten der Revolution sind Opfer unvermeidlich; aber Marx applaudiert dem Mob und dem Mord von Anfang an. Die Geschehnisse von Paris sind das Vorwort zu Moskau und Sankt Petersburg. Sie ernten seine Bewunderung und seine Unterstützung. Was 1917 passiert, ist bereits 1871 gewollt.

Der große Trick Marxens lag darin, seine Ideologie als wissenschaftlich darzustellen, obwohl sie im Grunde heilsgeschichtlich-religiös ist und sich aus Hegels Gedankenwelt speist. Es gibt im Grunde nichts Originelles bei Marx, bis auf die simple These, dass die Geschichte nur eine Geschichte von Klassenkämpfen sei. Diese absolute Vereinfachung der Geschichte auf einen einzelnen Gesichtspunkt ist der Ausgangspunkt jener Wissenschaft, die Marx begründet haben will – obwohl die Prämisse falsch ist. Mit der falschen Prämisse wankt das ganze Gebäude, doch Marx und Apologeten fanden immer wieder neuerliche Ausreden, warum Geschichte in eine bestimmte Richtung zu interpretieren sei und weshalb es mit der Arbeiterrevolution immer noch nicht klappte.

Dabei sind einige Analysen durchaus treffend. Doch Marx macht immer wieder den Fehler, die falschen Schlüsse zu ziehen. So begreift Marx, dass die Menschen von ihren historischen und ökonomischen Umständen geprägt sind; dass er allerdings selbst Kind seiner Zeit war, Geschichte und Gegenwart nur unter dem Brennglas der Veränderungen der Industriellen Revolution erfasste, das konnte er nicht sehen. Seine Welt baut auf den Zuständen des 19. Jahrhunderts auf, schaut und bewertet die Vergangenheit nur aus dieser Warte. Die Fehleinschätzung gilt auch für die Zukunft. Marxens Welt ist jene von Produktion, Erzeugnissen, Fabriken; von Kruppstahl, Standard Oil und Eisenbahnen.

Die einflussreichsten Konzerne der Gegenwart haben nichts damit gemein. Google, Facebook und Amazon produzieren nichts. Die Industriegesellschaft wurde bereits vor Jahrzehnten von der Dienstleistungsgesellschaft abgelöst. Statt der Verelendung der Arbeiter begann der Sieg der Sozialdemokratie und des Sozialstaats. Die Linksintellektuellen haben der Unterschicht diesen Verrat niemals verziehen und sich mittlerweile ein neues Proletariat gesucht.

Eine andere Analyse, die durchaus Wert hat, ist jene, dass die Geschichte Gesetzmäßigkeiten aufweist. Aber dies ist keine marx’sche Erfindung, sie geht zurück bis in die Antike. Sie allein auf ökonomische Umstände zurückzuführen, die Ökonomie zur Königin aller anderen menschlichen Lebensteile zu krönen – über Kultur, über Religion, über Ethnie – ist in veränderter Form bis heute Marxens Erbe, sowohl bei Linken als auch angeblichen Liberalen. Und sie ist eine Beschneidung der Komplexität, da sie menschliche Triebfedern zugunsten bloßer Umstände ausblendet. Da waren Thukydides und Machiavelli weiter. Dennoch werden heute selbst die Kreuzzüge in der Wissenschaft mit Wirtschaftsinteressen der italienischen Seerepubliken begründet, so als ob die Bedrohung Ostroms und der christliche Gedanke der brüderlichen Hilfe und Pilgerschaft nur eine nachgeordnete Rolle spielte. Die Überhöhung der Wirtschaft über Kultur, Politik und Religion ist ein linkes Erbe das von den Liberalen bereitwillig übernommen wurde, obwohl selbst für Adam Smith die Ursachen nicht so sehr in Systemen, sondern in der menschlichen Natur begründet liegen.

Die historische Phantasterei marx’scher Prägung deutet Spartakus und den Ciompi-Aufstand als Auswuchtungen des Klassenkampfes, der angeblich allesbeherrschend ist, obwohl das gesamte Mittelalter vor allem eine Geschichte von Familienfehden und Glaubensstreitigkeiten darstellt. Eine Handelsrepublik wie Venedig, die eigentlich als Paradebeispiel kapitalistischer Kritik dienen müsste, kennt in ihrer gesamten Geschichte keine sozialen Unruhen. Die angebliche wissenschaftliche Methode ist im Grunde nur Teleologie, um genau das zu beweisen, was man schon vorher wusste.

In seiner dogmatischen Herangehensweise verweigert sich der Marxismus jeder Philosophie und muss sich der Theologie bedienen. Die eschatologischen Elemente, gezeichnet vom letzten Kampf und dem neuen, säkularen Jerusalem der klassenlosen Gesellschaft, sind offenkundig. Der Marxismus ist die Vollendung der Französischen Revolution, die christliche Freiheit und christliche Brüderlichkeit um das merkwürdige Versatzstück der Gleichheit ergänzte; im Marxismus bleibt vor allem letzteres, selbst die Nation ist entleert, die Brüderlichkeit weicht der Solidarität.

Das Problem des Marxismus liegt daher für den Historiker gerade in seiner Simplifizierung und Monokausalisierung. Dass die gesamte Anhängerschaft des Trierer Agitateurs auf einer geschichtswissenschaftlichen Prämisse aufbaut, die es im Grunde gar nicht gibt, ähnelt einer Weltreligion, deren Glaubensdogma auf einer Lüge gründet. Es reichte allein, einen Marxisten davon überzeugen, dass die Geschichte genügend historische Beweise liefert, dass die marxistische Annahme nicht zutrifft; allein, der Marxist ist glaubensstärker als mancher Salafist oder Kreuzritter.
Dagegen war selbst Luther ein Zweifler.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Konrad Kugler

Marx und Darwin, zwei Männer mit katastrophaler Wirkung: Marx der Satanist und Darwin mit einem teuflischen Einfall. Entwickeln kann sich nur, was komplett vorgegeben ist.
Ludek Pachmann, tschechischer Schachgroßmeister sagte schon 1972, als er zur Besinnung gekommen war: "Der Marxismus ist Opium für das Volk." Ich rechne National- und Internationalsozialismus ebenso zu den Opiaten wie Genderismus, Feminismus, Darwinismus und Evolutionismus. Die Aufzählung ist nicht vollständig.

Gravatar: Hans-Peter Klein

Marx fällt, so wie auch Charles Darwin, in die Zeit der Frühindustrialisierung im Dampfmaschinenzeitalter und damit auch des Frühkapitalismus mit all seinen Exzessen.

Sie, Marx und Darwin, sind eben "Kinder ihrer Zeit", ihre Analysen sind aus Beobachtungen zur Mitte des 19. Jhdts. entstanden und ich glaube auch nur so zu verstehen.

Die Evolutionstheorie hat mit ihren gesellschaftlichen Auswirkungen Verwerfungen hervorgerufen, die bis heute nachwirken, wie der Marxismus eben so.

Und trotzdem zählt Ch. Darwin berechtigterweise zu den Ikonen der Naturwissenschaft und europäischen Aufklärung.
Man kann Ihn ja wohl schwerlich dafür verantwortlich machen, wenn aus seinem "survival of the fittest" hinterher ein Kampf "Jeder gegen Jeden" oder sogar Rassenwahn konstruiert wird, oder, wie bei Marx eben, der entindividualisierte sozialistische Einheitsmensch als das erdachte Gegen-Ideal.

Lassen wir den beiden doch ihre Bedeutung und Relevanz in der Geschichte, ich gestehe beiden zu, authentische Sucher nach Erkenntnis und Wahrheit sowie einer besseren Gesellschaft gewesen zu sein.

Eine Rechtfertigung, geschweige Glorifizierung, für das was andere aus ihren Werken gemacht haben, ist es allemal nicht.
Sie stehen für zwei Originale Ihrer Zeit, an denen wir, 150-200 Jahre später, die notwendigen Schlussfolgerungen zu Beginn des 21. Jhdts. ziehen können, inkl. der Möglichkeit Ihre Theoriegebäude in der Museumsbibliothek Rubrik " Gut gemeinte Ansätze" einzusortieren.
Denn nach dem Dampfmaschinenzeitalter kamen die Epochen von Eisenbahn, Elektrifizierung, Motorisierung, Telekommunikation mit mindestens so gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen auf dem ganzen Planeten.
Rein spekulativ tippe ich auf die nächste globale Veränderung:
Das Solarzeitalter zu Beginn der Wasserstoffepoche.
MfG, HPK

Gravatar: karlheinz gampe

@Freigeist
Das kommunistische marxistische System ist Krisen anfälliger. Der Kapitalismus ist meines Erachtens Natur gegebener als der Marxismus. Welche kranken Geister Marxismus hervor bringt, konnte man an der roten Stasi DDR und anderen Oststaaten studieren, Nun haben sich totalitäre , irre Stasileute in westlichen Demokratien festgesetzt. Jedes System hat seine Grenzen und Krisen. und zu dieser Erkenntnis braucht es keinen Marx. Die viel zitierte Finanzkrise wurde durch diese Linken befördert. Wer hat mit den Boni Bankstern, die nach Freiheit der Märkte schrien im Bundestag gefeiert ? Der Markt hat diese Auswüchse schließlich selbst bereinigt, dann jedoch haben Kommunisten z. Bsp. Merkel den Schaden jenen aufgebürdet, die diese Verlogenen angeblich vertreten. Die verantwortlichen Bankster bekamen Millionen. Bsp. Ackermann bekam mit Merkels Hilfe 6,5 Mio vom Steuerzahler. .Rote, Kriminelle und Lobbyisten regieren Deutschland. Alles im Sinne eines Grünen Fischers das deutsche Steuergeld muss weg. Wie krank sind diese Galgenvögel ?

Gravatar: AlbertNola

@Freigeist - Marx war kein Philosoph, kein Ökonom, Marx war nur sehr gefährlich und verbrecherisch (100 Millionen Tote gehen auf sein Konto). John Maynard Keynes hat Marx gehasst! Das sagt schon alles!!

Gravatar: Freigeist

Große Missverständnisse!!!!Das epochale Werk "Das Kapital" muss man intensiv gelesen, sonst versteht man den Text nicht. Es geht dabei hauptsächlich um Markro-Ökonomie. Marx Erkenntnisse über Volkswirtschaftslehre sind aktueller denn je. Die Beschreibung der Krisenanfälligkeit des Kapitalismus ist brilliant. Marx war Philosoph, d.h. er hat klar gedacht. In diesem Werkt kommt kein Satz vor von Enteignung oder kommunistischem Manifest. Das sollte man wissen, will man sich nicht blamieren. Will man Marx beschädigen, sollte man sich mit anderen Texten beschäftigen. "Das Kapital" taugt nicht dazu , den Marxismus zu beschädigen, man muss dazu andere Quellen bemühen.

Gravatar: Thomas Rießler

Marxismus als Wissenschaft ist ungefähr so seriös wie die Gender-Studies der Neomarxisten. Das wissenschaftliche Etikett ist zwar nützlich bei der Verbreitung der Lehre, aber letztlich werden im Marxismus eher die Emotionen als der Verstand angesprochen.

Der Marxismus bedient die materiellen Bedürfnisse der Menschen (ob real oder nur dem Anschein nach ist hier nicht entscheidend) durch Schüren von Sozialneid, der Neomarxismus eher die sexuellen Triebe. Beides ist an die jeweiligen Zielgruppen angepasst. Letztlich sind beide Arten der Triebbefriedigung zivilisatorische Rückschritte.

Da Marxismus wie ein Rauschmittel zur Bedürfnisbefriedigung wirkt, ist es auch wenig zielführend, seinen Anhängern mit logischen oder moralischen Argumenten zu begegnen. Irgendwann wird die marxistische Party zwar vorbei sein, wenn die Gesellschaft ausgetrocknet und in Katerstimmung ist. Der angerichtete Schaden ist dabei jedoch beträchtlich, zumal man sich dann üblicherweise in einer Diktatur wiederfindet, aus der man nicht so ohne weiteres wieder herauskommt. Durch einen Streik der Leistungsträger mag dieser Prozess der Austrocknung beschleunigt werden können, ob dies aber funktioniert, kann angesichts der zu erwartenden repressiven staatlichen Gegenmaßnahmen bezweifelt werden. Die Marxisten träumen schon seit jeher von der vollautomatisierten Gesellschaft, in der alle alltäglichen Arbeiten von Robotern erledigt werden, so dass man sich als Mensch schön faul zurücklehnen oder mit seinen Hobbies beschäftigen kann und von menschlichen Leistungsträgern unabhängig ist.

Gravatar: R. Avis

1957 publizierte Ayn Rand ihr Buch "Atlas shrugged", in deutscher Übersetzung: "Der Streik". Darin beschreibt sie, wie der größte Teil der Menschheit dumm, faul und gefräßig vom Genie, dem Fleiß und der Tatkraft von Wenigen leben. Diese sollen deshalb doch einfach einmal Pause machen und dann warten, was passiert.

Im Marxismus wird die Existenz dieser "Macher" entweder negiert oder sie werden zum Feind erklärt. Die Welt wäre gut, wenn es nur noch vertrottelte Konsumenten gäbe. In der Praxis wollen sie uns gerade alles nehmen, was unsere früheren Generationen mühsam aufgebaut haben, von der intakten Familie über die Grundrechte des Einzelnen, den Schutz gegen Gewalt und Willkür, das Recht auf Eigentum, jede Art von Ehrgeiz (wenn man den Sport einmal ausnimmt). Selberdenken unerwünscht, Selbstbestimmung erst recht.

Aber da muß man sich keine Sorgen machen: in dem Augenblick, wo jemandem große Denkmale gebaut werden, ist sein Einfluß so gut wie vorbei (nach dem Peter's Principle).

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