Lügenpresse? Ignoranzpresse!

Die Ursache für das Scheitern der Sonde Philae auf dem Kometen Tschurjomow-Gerrasimenko könnte politischer Natur sein. Moment. Scheitern?

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Überschlugen sich nicht die Medien vor Begeisterung, war nicht allüberall von einem großen Erfolg die Rede?

Fassen wir mal zusammen: Nachdem nahezu jedes der für einen sicheren Stand Philaes auf der Kometenoberfläche vorgesehenen Systeme versagte, hüpfte die Sonde unkontrolliert hin und her, nur um schließlich im Schatten eines Felsen zum Stehen zu kommen. Wodurch ihre Solarzellen nicht mehr in der Lage waren, ausreichend Energie zur Erfüllung der Missionsziele zu generieren.

Erfolg oder Mißerfolg sind mitunter eine Frage der Perspektive. Eine sichere Energieversorgung ist eine Frage der Technik. Warum also verfügt Philae nicht über eine Radionuklidbatterie?

Ein hochrangiges Mitglied des DLR gab mir im direkten Gespräch die Antwort: Aus politischen Erwägungen. Wer da genau in welcher Form Einfluß genommen hat, wollte oder konnte er mir nicht sagen. Aber es ging tatsächlich darum, der bösen Kerntechnik keine positiven Schlagzeilen zu verschaffen. Während die NASA mit dem “atomgetriebenen” Opportunity auf dem Mars herumfuhr und Dawn und New Horizons auf dem Weg zur Ceres beziehungsweise zum Pluto ununterbrochen Daten lieferten, war Rosetta für Jahre im Standby zu betreiben und konnte Philae die Erwartungen nicht erfüllen. Weil unsere heimischen Wissenschaftler und Techniker zu einem Kniefall vor dem Ökologismus gedrängt wurden.

Nein, ich werde meine Quelle nicht nennen (sonst erzählt der Mann mir nie wieder etwas). Und nein, ich werde auch nicht weiter recherchieren. Ich habe nicht die Zeit dafür und nicht die Ressourcen. Ich bin kein investigativer Journalist. Es gab sicher andere Erwägungen, insbesondere technischer Natur, die ebenfalls in die Entscheidung über Rosettas und Philaes Energiesysteme eingeflossen sind. Wichtig ist aus meiner Sicht ein anderer Punkt. Denn Sie, liebe Leser, sind durch die mediale Berichterstattung in keiner Weise auf diese Frage hingewiesen worden. Warum hat Philae keine Radionuklidbatterie an Bord? Amerikanische Blogger haben sich dieser Frage gewidmet. Deutsche Medien nicht. Manch ein Journalist wird sich, wenn er das hier liest, womöglich erst einmal fortbilden müssen: Was genau ist denn eigentlich eine Radionuklidbatterie?

Dahinter steckt noch nicht einmal böse Absicht. “Lügenpresse” ist mein Wort nicht. Die Medien können nicht lügen. Denn dazu werden sie zu scharf beobachtet. Vor allem von sich selbst. Gleich ob Print, Radio, TV oder Online, jede Lüge würde irgendwann durchschaut und durch einen Wettbewerber auch publik gemacht. Und wenn wirklich mal etwas nicht sofort auffällt, stehen immer noch zahlreiche Blogger bereit. Nein, die Krise des Wissenschafts- und Technikjournalismus in Deutschland hat andere Ursachen. Ignoranz ist der treffende Begriff. Ignoranten lügen nicht. Sondern irren.

Das IPCC macht seit Jahrzehnten einen guten Job. Weil es seinen Auftrag erfüllt. Der da lautet: Durch geeignete Argumente den Boden für eine alarmistische Politik zu bereiten. Das wichtigste Werkzeug hierfür stellen die “Zusammenfassungen für Politiker” dar. Die mitunter durchaus ausgewogenen und vielschichtigen Ausführungen auf den vielen tausend Seiten der Hauptberichte liest niemand. Zusammenfassungen und zugespitzte Presseinformationen hingegen vermag die Zielgruppe zu verarbeiten. In diesen aber fehlen fast alle Hinweise auf Unsicherheiten, die in den Hauptberichten häufig anzutreffen sind. Was keinem Fachjournalisten jemals auffiel.  Statt zu hinterfragen pflegen die Medien einen Verlautbarungsjournalismus, der ungeprüft alles verbreitet, was ihm das IPCC anbietet. Bis Axel Bojanowski die Unterschiede zwischen Hauptbericht und Zusammenfassung schließlich thematisierte. Die Motivation seines vielbeachteten und diskutierten Artikels bringt er in der Klimazwiebel auf den Punkt: Ich fand es wichtig, dass wenigstens ein Medium die Diskrepanzen berichtet. Wenigstens eines. Ein einziges. Nach fünfundzwanzig Jahren.

Wie soll man als Journalist dem IPCC auch kritische Fragen stellen, wenn man sich noch nicht einmal bemüht herauszufinden, wie diese denn lauten könnten?

Es ist bezeichnend wie sehr die Medien auf die “wissenschaftliche Autorität” eines politisch agierenden UN-Gremiums vertrauen, in vielen anderen Fällen aber die Wissenschaft ignorieren. Nach der Havarie des Kernkraftwerkes im japanischen Fukushima ließ man in Deutschland nur Kernkraftgegner von Greenpeace und Co. als “Experten” zu Wort kommen. Deutsche Professoren für Reaktortechnik aber nicht. Kein Text über die Grüne Gentechnik erscheint mehr ohne den Hinweis, das Risiko eines Risikos könne ja nicht ausgeschlossen werden. Obwohl ganze Generationen an Forschern bislang daran scheiterten, auch nur das geringste Indiz für eine Gesundheitsgefährdung durch gentechnisch optimierte Pflanzen zu finden. Die hierzulande grassierende Ablehnung wichtiger Zukunftstechnologien ist auch die Folge einer medialen Potenzierung ökologistisch motivierter Schreckensszenarien.

Man denke nur an die häufige Ausstrahlung des Propagandastreifens „Gasland“ durch die öffentlich-rechtlichen Sender. Der Film ist, so sehen es viele Kommentatoren, entscheidend verantwortlich für die unvermittelt aufflammenden Proteste gegen eine seit Jahrzehnten etablierte und millionenfach durchgeführte Bergbau-Technologie. Von Hydraulic Fracturing oder kurz Fracking werden wohl die meisten Wutbürger noch nie etwas gehört haben, bevor sie mit der Dokumentation konfrontiert wurden. Gasland ist ein wunderbares Beispiel für den DHMO-Effekt. Man mag die unbedarften Menschen belächeln, die sich von einem forsch auftretenden Kamerateam auf der Straße zu einer Unterschrift gegen DiHydrogenMOnoxid (alltagssprachlich auch als “Wasser” bezeichnet) verleiten lassen. Doch das ist nicht angebracht. Denn auf diese Weise manipulierbar sind wir alle. Auch die Medien selbst. Obwohl gewarnt, sind sie sind mit Gasland einer verfälschenden Darstellung aufgesessen, die sie unkritisch und ungeprüft weiterverbreitet haben. Vier lange Jahre hat es gedauert, den Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Aber der Schaden ist angerichtet.

Man kann es sich natürlich einfach machen und die Schuld dem Publikum zuschieben. Niemand ist schließlich gezwungen, an das zu glauben, was gesendet oder gedruckt wird. In gewisser Weise jedoch haben sich die Medien ein manipulierbares Publikum selbst geschaffen.

Eine verhängnisvolle Abwärtsspirale wurde mit dem Wunsch der Verlage und Sender eingeleitet, Auflagen und Reichweiten auch auf Kosten der Qualität zu steigern. Das Buhlen um die Aufmerksamkeit von immer mehr Lesern, Hörern und Zuschauern erfordert, es diesen so leicht wie möglich zu machen. Das Rezept dazu lautet: reduzierte Textmengen, kurze Sätze und grobe Vereinfachungen – gepaart mit einer dramatisierenden oder zumindest aufregenden Bildsprache. Vor allem soll  sich nach dem Konsum einer Veröffentlichung beim Publikum das wohlige Gefühl einstellen, nun ganz genau Bescheid zu wissen. Denn dann schalten sie auch beim nächsten Mal wieder ein oder kaufen das nächste Heft. Gasland hat auf diese Weise sehr viele Fracking-Experten produziert, und das IPCC viele Klima- und Energiefachleute. Merkwürdigerweise vor allem in den gesellschafts- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Und einige von denen, da bin ich sicher, werden mir auch ganz genau darlegen können, warum Rosetta und Philae ohne Radionuklidbatterien auskommen. Wenn eben wissenschaftliche und technische Themen in den Bereich des Banalen herabgewürdigt werden, öffnet dies einen Kommunikationskanal zwischen fachlich ungeeigneten Journalisten auf der einen und erregbaren Laien auf der anderen Seite, die sich gegenseitig in ihrem Tun bestärken. Am Ende steht (durchaus gegenseitige) Erziehung statt Aufklärung.

Im Spiegel  wurde jüngst (Ausgabe 7/2015) ein erhellendes Interview mit dem Reporter Christoph Maria Fröhder veröffentlicht, der seit Jahrzehnten für die ARD aus allerlei Krisen- und Kriegsgebieten berichtet. Er geht darin mit der journalistischen Qualität und dem Anspruch von Tagesschau und Tagesthemen hart ins Gericht und kündigt öffentlich die Zusammenarbeit mit den zuständigen Redaktionen auf. Seine Kritik gipfelt in der Aussage, das Überprüfen wäre der eigentliche Beginn der Arbeit eines Journalisten. Mit Warum hat sich etwas so entwickelt? und Kann es auch anders sein? formuliert er zwei Leitfragen zur Verdeutlichung dieses Credos, die aus seiner Sicht in der politischen Berichterstattung zu kurz kommen.

Nicht nur dort, möchte ich ergänzen. Sondern bei wissenschaftlich/technischen Themen auch. Die Frage ist ja immer, wie gelingt die Komplexitätsreduktion ohne zu verfälschen?, meint Axel Bojanowski und zeigt damit das Problem. Es gibt keine Komplexitätsreduktion ohne Verfälschung und deswegen sollten Journalisten eine solche auch nicht versuchen. Sie sollten den Leser anregen, sich die Frage nach dem Warum auch selbst zu stellen. Und sie sollten sein Interesse daran wecken und ihn dazu befähigen, nach der Antwort durch einen Wechsel der Perspektive auch selbst zu suchen. Warum also fürchten sich so viele Menschen vor einem Klimawandel? Unter welchen Umständen wäre diese Angst unbegründet? Warum begrüßen so viele Menschen die Energiewende? Kann es sein, daß diese sich als eine wirklich dämliche Idee herausstellt? Diese Fragen sind nicht simpel. Sie  auf eine den gegenteiligen Eindruck erweckende Weise zu besprechen, öffnet den Pfad für Trickser und Täuscher. Wer Komplexität leugnet, verdeckt oder verschweigt, setzt sich sogar dem Verdacht aus, selbst als Gaukler agieren zu wollen.

ESA und DLR feiern eine Sonde, der nach wenigen Minuten der Strom ausgeht. Berechtigt? Die merkwürdig knappe Stellungnahme auf der Missionswebseite der ESA “weil wir das eine nicht entwickelt haben, haben wir das andere entwickelt” (wörtlich: ESA has not developed RTG (i.e. nuclear) technology, so the agency decided to develop solar cells that could fill the same function.) hat mich aufmerksam werden lassen. Ich bin ja auch kein Journalist. Warum haben Rosetta und Philae keine Nuklearbatterien an Bord?  Diese Frage mag am Ende tatsächlich nicht zu tieferen Einsichten führen. Aber dessen kann man nur sicher sein, wenn man sie auch stellt.

Beitrag erschien auch auf: science-skeptical.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: M.Steuber

Während die NASA mit dem “atomgetriebenen” Opportunity auf dem Mars herumfuhr.........

Schlampig recherchiert ! Opportunity fährt mit Solarenergie. Wikip.

Gravatar: S.Hader

“Nein, ich werde meine Quelle nicht nennen (sonst erzählt der Mann mir nie wieder etwas). Und nein, ich werde auch nicht weiter recherchieren. Ich habe nicht die Zeit dafür und nicht die Ressourcen. Ich bin kein investigativer Journalist. Es gab sicher andere Erwägungen, insbesondere technischer Natur, die ebenfalls in die Entscheidung über Rosettas und Philaes Energiesysteme eingeflossen sind. Wichtig ist aus meiner Sicht ein anderer Punkt. Denn Sie, liebe Leser, sind durch die mediale Berichterstattung in keiner Weise auf diese Frage hingewiesen worden. Warum hat Philae keine Radionuklidbatterie an Bord?”

Aha. Also die Kritik gegenüber den Medien besteht darin, dass diese nicht alle möglichen und denkbaren Spekulationen zum Nicht-Einsatz der Radionuklidbatterie dem Leser präsentiert hat. Und das alles fällt dann unter den Begriff: Ignoranzpresse! Das ist also die neue Form der Medienkritik, sobald etwas nicht von den Hauptmedien berichtet wird, wirft man ihr Ignoranz vor, egal wie unbedeutend die Meldung war. Das funktioniert immer.

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