Lücken im System

Wie können wir unsere Freiheitsräume erweitern?

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Systeme, sei es politische, wirtschaftliche, mediale oder wissenschaftliche, können von Machthabern nicht vollständig geschlossen und kontrolliert werden. Zum Beispiel konnte bis jetzt das mediale System, auch Informationssystem genannt, von den Machthabern nicht vollständig dicht gemacht werden. Das Internet hat eine große Lücke in diesem System geschaffen. Hier können Meinungsäußerungen trotz vieler Versuche der Reglementierung noch relativ ungehindert ausgetauscht werden.

Woanders sieht es nicht so gut aus. In der Wissenschaft z.B. herrscht ein zentralistisches System, dem sich die Akteure, die Wissenschaftler, kaum entziehen können. Um wissenschaftliche Forschung zu betreiben, braucht man Organisation und Geld. Hier ist man in Deutschland auf den Staat angewiesen. Er kontrolliert fast alles. Hier können Lücken kaum gefunden werden. Die Säulen dieses Systems sind: die Bildungsministerien, die DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft); der Wissenschaftsrat und der Deutsche Ethikrat.

Es würde den Rahmen des Beitrags sprengen, das ganze System der Wissenschaft zu analysieren. Nur einige Beispiele für seinen zentralistischen und staatsmonopolistischen Charakter mögen hier genügen. Die Ministerien sind für die Organisation, die Finanzierung und die Stellenbesetzung zuständig. Die Berufung auf eine Professur muss vom Ministerium genehmigt werden. Mit anderen Worten: Die Ministerien entscheiden darüber, welche Personen lehren und forschen dürfen. Die DFG - Europas größte Forschungsförderungsorganisation – ist für weitere Finanzierung zuständig. Sie finanziert im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich nur staats- und systemkonforme Forschung. Ein Blick in die Berichte dieser Organisation zeigt, dass politisch nicht korrekte Forschungsvorhaben dort keinen Platz finden. Der vom Staat getragene und finanzierte Wissenschaftsrat legt die Richtlinien der Wissenschaftspolitik fest und der von der Regierung eingesetzte Deutsche Ethikrat wacht über die ethische Reinheit der Forschung, legt also Normen fest, die die Forscher befolgen müssen.

Welche Möglichkeiten gibt es, sich von einem System, sei es politischer, wirtschaftlicher, medialer oder wissenschaftlicher Art, zu emanzipieren und sich selbständig zu machen? Einen Ausweg bieten drei Vorgehensweisen: Dezentralisierung, Entmonopolisierung und Pluralisierung. Alle drei Vorgehensweisen greifen ineinander über. Dezentralisierung meint die Entmachtung einer zentralen Steuerungsmacht, Entmonopolisierung bedeutet die Aufhebung des Alleinanspruchs, Pluralisierung meint die Schaffung einer Vielfalt von Möglichkeiten. Je mehr Möglichkeiten entstehen, umso größer die Konkurrenz, umso größer die Chance, eine Lücke im System zu schaffen und somit die Freiheitsräume zu erweitern.

Das klingt alles abstrakt, ist es aber nicht. Jeder Einzelne, unabhängig von der Funktion, die er in der Gesellschaft hat, kann zu diesen drei Prozessen einen Beitrag leisten. Es ist der eigentliche Sinn einer Bürgergesellschaft, dem Zentralismus und Monopolismus in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens entgegen zu arbeiten und eine Vielfalt von Möglichkeiten „von unten“ zu schaffen. Vorbildhaft ist hier die schon erwähnte Entwicklung im Internet, wo jeder Einzelne im Prinzip ein eigenes, unabhängiges Informationsmedium aufbauen und sich mit Gleichgesinnten vernetzen kann.

In der Wissenschaft kann das US-amerikanische Bildungs- und Wissenschaftssystem als Vorbild dienen. Es funktioniert weitgehend ohne staatliche Steuerungszentralen. Eine Hochschule kann ohne staatliche Genehmigung ihren Studienbetrieb aufnehmen – in Deutschland völlig undenkbar. Universitäten verwalten und finanzieren sich selbst. Eine wichtige Rolle spielen hier private Spenden (endowments); meist von den Ehemaligen (Alumni).

Das große Segment privater Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist in den USA ein staatsfreier Raum. Aber auch die staatlichen Hochschulen müssen den Staat nicht fürchten. Die Aufgabe des Staates beschränkt sich meist darauf, allgemeine Rahmenbedingungen zu schaffen.

Leitmotive der amerikanischen Hochschulen sind: Selbständigkeit, Selbstverantwortung und Wettbewerb. Das Wissenschaftssystem entwickelt sich im freien Konkurrenzkampf zwischen den Hochschulen.

Natürlich sind amerikanische Hochschulen nicht gänzlich frei von externen Einflüssen, Moden und Ideologien, z.B. von der Ideologie der Politischen Korrektheit, die in den USA entstanden ist und dort die größte Ausbreitung findet. Doch entscheidend sind der Charakter des Bildungs- und Wissenschaftssystems, der sich durch Selbständigkeit, Selbstverantwortung und Wettbewerb auszeichnet, und die Vielfalt von Möglichkeiten, die mehr Freiheitsräume gewährleistet.

In Deutschland könnten private Organisationen (z.B. Stiftungen) Abhilfe schaffen. Obwohl ihre finanziellen und organisatorischen Mittel begrenzt sind, könnten sie mehr Initiative in der Förderung von wissenschaftlichen Projekten zeigen (dies gilt insbesondere für Projekte im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich). Nur auf diese Weise könnte in der Wissenschaft ein vom Staat unabhängiger Raum entstehen, in dem man das Ideal der Freiheit der Forschung wieder ernst nehmen würde.

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