Liebe oder Geschwätz?

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Es gibt einige Themen, die unserem Papst ganz offensichtlich am Herzen liegen. Mein erster Eindruck von ihm war und ist, dass er es ernst meint mit der Evangelisierung und damit auf dem aufbaut, was ihm seine Vorgänger als Fundament hinterlassen haben, insbesondere auf dem von Papst Benedikt XVI. initiierten Jahr des Glaubens. Ganz sicher liegt ihm das Thema Armut und Ungerechtigkeit am Herzen, die Schwerpunktsetzungen in seinen Predigten und auch in seinem apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium sind da deutlich.

Aber es sind auch vermeintlich kleine Themen, die immer wieder Eingang in seinen Predigten und Ansprachen finden, sodass man annehmen darf, dass sie ihn umtreiben. Ein Beispiel hierfür hat Papst Franziskus wieder am vergangenen Sonntag in seiner Betrachtung zum Angelus geliefert. Er bezieht sich dabei auf das Tagesevangelium (Matthäus 5,17-37) in dem es um die Frage geht, wie die Gesetze und Gebote Gottes zu erfüllen sind, wie zum Beispiel „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten … Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein“.

Ich hatte das bislang meist so interpretiert, dass es schon die negative Einstellung gegenüber einem Menschen ist, die einen dazu führt, gegen ihn und Gott zu sündigen: die Wurzel des Mordes liegt im Zorn, so wie – im weiteren Text – die Wurzel des Ehebruchs in den lüsternen Blicken liegt. Papst Franziskus führt diesen Gedanken aber noch konkreter aus, und weist darauf hin, dass auch Worte, ohne böse Taten, tödlich sein können, vielleicht nicht im physischen aber doch im übertragenen, geistlichen Sinn. Der Papst führt dazu aus:

Damit ruft Jesus uns in Erinnerung, dass auch Worte töten können! Wenn man von jemandem sagt, er habe eine scharfe Zunge, was soll das heißen? Dass seine Worte töten! Man darf also nicht nur das Leben seines Nächsten nicht gefährden, sondern auch nicht das Gift des Zorns über ihn ausschütten und ihn mit übler Nachrede treffen. Nicht einmal schlecht über ihn reden. Da sind wir beim Geschwätz angelangt: Auch das Geschwätz kann töten, denn es tötet den guten Ruf eines Menschen! Geschwätz ist wirklich etwas Hässliches! Am Anfang kann es vielleicht ganz unterhaltsam oder angenehm sein, als würde man ein Bonbon lutschen. Doch am Ende erfüllt es das Herz mit Bitterkeit und vergiftet auch uns. Ich sage Euch die Wahrheit: Ich bin überzeugt, dass, wenn jeder von uns sich vornähme, nicht über andere zu schwätzen, er am Ende heilig würde! Es wäre ein guter Weg dorthin!

Diese Betrachtung baut in gewisser Weise auf dem ersten Gedankengang auf – es sind die schlechten Gedanken, die ich über einen Menschen hege, ob es nun echter Zorn oder anderer böser Wille ist. Und diese Gedanken brechen sich Bahn in die Sprache: man fängt an, über einen anderen Menschen zu reden, über seine Absichten, über Dinge, die er möglicherweise getan hat oder tun wird. Und mit diesen Worten schadet man dem anderen, doch die Gedanken und Worte erfüllen auch uns mit Bitterkeit: wer kennt nicht das Gefühl, sich über einen Mensche in Rage geredet zu haben. Liebe ist das jedenfalls nicht!

Mir scheint, dieser Gedanke trifft einerseits auf jede üble Nachrede zu, hat aber noch besondere Bedeutung in einem medialen Umfeld wie dem unseren, in dem alles öffentlich gemacht werden kann, was nur unsere Gedanken verlässt. Vorwürfe oder Anklagen werden als Wahrheit angenommen, in sie werden Beweggründe hineininterpretiert, es wird ein Bild von Menschen in einer Art gezeichnet, die unsere niederen Beweggründe ansprechen.

Nehmen wir den aktuellen Fall des Ex-Bundestagsmitglieds Sebastian Edathy: Die Vorwürfe wiegen schwer, und es ist nach allem, was man in den Medien hört, vermutlich nicht angebracht, für ihn in die Bresche zu springen. Aber bislang – und unser Rechtsstaat fußt auf solchen Annahmen, ist Edathy noch unschuldig, ihm werden bestimmte Handlungen (deren Strafbewehrtheit noch nicht klar ist) nur vorgeworfen, bewiesen sind sie noch nicht.

Ich gebe zu, in diesem Fall bilden sich auch vor meinem Auge Bilder, die eine Entlastung Herrn Edathys kaum zulassen. Als Vater zweier Kinder ist es mir herzlich egal, ob es strafrechtlich relevante kinderpornographische Bilder sind, die er gekauft hat oder „nur“ Nacktbilder von Kindern ab neun Jahren – es ist nur ein Unterschied im Grad der Widerlichkeit.

Aber der aufmerksame Leser wird merken: mit diesen Gedanken, lässt man sie zu, gibt man ihnen Raum, kommuniziert man sie nach außen, möglicherweise noch mit der Möglichkeit der flächendeckenden Verbreitung, bildet sich nicht nur im eigenen Kopf sondern auch in den Gedanken der anderen ein Schuldspruch, der so (noch) nicht gerechtfertigt ist. Ich hoffe, das gleichzeitig klar geworden ist, dass ich Herrn Edathy, sollten die Vorwürfe gegen ihn richtig sein, mit diesen Worten nicht entlasten will, aber bislang, und damit schließt sich wieder der Kreis, ist der Großteil dessen, was über ihn, und mit ihm über sein Umfeld und seine politischen Freunde und Widersacher, verbreitet wird lediglich Geschwätz!

Und neben diesem aktuellen Thema sind es auch viele kirchliche Themen, die einer Prüfung der eigenen Gedanken und Worte, wie sie Papst Franziskus anmahnt, nicht standhalten. So zum Beispiel die Vorwürfe gegen Bischof Tebartz-van Elst: Unbewiesen, und doch hat jeder von uns ein Bild, sei es gegen ihn oder für ihn (und damit gegen seine Gegner). Auch hier werden Bilder erzeugt, und erzeugen wir mit unserem Reden Bilder bei anderen, die mit der Wahrheit zumindest nicht identisch sein werden – und wir wissen nicht, wo die Abweichungen sind. Auch hier also Geschwätz, dass nicht nur den handelnden Personen sondern sogar der ganzen Kirche schadet.

Stellt sich die Frage, ob mit einer solchen Forderung nicht eigentlich jede Berichterstattung, selbst jedes Gespräch über einen anderen, zum Erliegen kommen muss. Aber auch hierzu liefert der Papst einen guten Selbsttest:

Aus all dem wird verständlich, dass Jesus dem einfachen Beachten des Gesetzes und dem äußeren Verhalten keine Bedeutung beimisst. Er geht an die Wurzel der Gesetze, indem er die Aufmerksamkeit vor allem auf die Absicht und folglich das Herz des Menschen richtet, wo unsere guten oder schlechten Handlungen ihren Ursprung haben. Für ein gutes und ehrliches Verhalten sind rechtliche Normen nicht ausreichend, sondern es bedarf tiefer Beweggründe, die Ausdruck einer verborgenen Weisheit sind, der Weisheit Gottes, die dank des Heiligen Geistes angenommen werden kann. Und durch den Glauben an Christus können wir uns dem Wirken des Geistes öffnen, der uns befähigt, die göttliche Liebe zu leben.

Im Licht dieser Lehre offenbart jede Regel ihre volle Bedeutung als Erfordernis der Liebe und alle vereinigen sich im größten Gebot: liebe Gott mit ganzem Herzen und liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.

Es sind also die inneren Beweggründe, die wir prüfen müssen, bevor wir uns zu einem Thema äußern: ist es die Liebe zu den betreffenden Menschen, die Liebe zu den Menschen mit denen wir da reden, die Liebe zur Kirche, die uns umtreibt? Können wir das bejahen, dann werden wir sicher anders formulieren als wir das manchmal pauschalierend, mit ironischem oder zynischem Unterton, tun.

Ich gebe zu, das ist herausfordernd, und ich bin sehr sicher, dass viele meiner Beiträge dem nicht gerecht werden; ich fürchte, auch in Zukunft werden mich Themen so packen, dass meine Beiträge dem Anspruch nicht genügen. Und trotzdem muss uns, muss mir der Aufruf des Papstes beim Angelus in Ohren und Herzen klingeln:

Wollen wir heilig werden? Ja oder nein? [Rufe vom Platz „Ja“.] Wollen wir es uns zur Gewohnheit machen, über andere zu schwätzen? [Rufe vom Platz „Nein“.] Dann sind wir uns also einig: kein Geschwätz über andere!

Beitrag erschien auch auf: papsttreuer.blog.de

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