Liberalisieren, Legalisieren, Lizenzieren, Kontrollieren

Deutschland gerät ins internationale Hintertreffen: der noch aktuelle Glücksspielstaatsvertrag schädigt die eigenen fiskalischen Interessen. Seit dem Verbot von deutschen Internet-Glücksspielen und gewerblichen Spielvermittlern sind die Einnahmen der staatlichen Lotterien dramatisch eingebrochen, zudem schöpfen ausländische Online-Wettanbieter den deutschen Markt ab.

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 Die schleswig-holsteinische Landesregierung bereitet für die anstehende Neuregulierung eine zeitgemäße und dem Internet-Zeitalter angepasste Umsetzung vor, die in anderen europäischen Ländern schon erfolgreich praktiziert wird. Vorbild ist das dänische Modell. Um allen - auch pekuniären - Ansprüchen gerecht zu werden, strebt die Kieler Regierungskoalition eine teilweise Öffnung des Marktes für Glücksspiele an. Sportwetten, Poker und Casino-Spiele werden liberalisiert, Werbe- und Vertriebsbeschränkungen werden aufgehoben. Ob der attraktive Lotto-Jackpot in Italien oder Online-Pokerrunden um echtes Geld, mit der aktuellen restriktiven Regelung fließen derzeit Hunderte Millionen Euro an den deutschen Steuerkassen vorbei ins Ausland. Bei Sportwetten werden geschätzt 95 Prozent der Umsätze auf dem Schwarzmarkt getätigt. Wolfgang Kubicki, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion, für den die geltende Regelung „antiquiert und technisch überholt“ ist, spricht offen aus, was das Gebot der Stunde ist: „Liberalisieren, Legalisieren, Lizenzieren, Kontrollieren und Abkassieren!“ Den Gesetzesentwurf wird Schleswig-Holstein am 9. Juni in Berlin vorstellen. Am eingeschlagenen Weg wird das Land laut Kubicki unabhängig von der Entscheidung der anderen Bundesländer festhalten. Er rechnet mindestens mit einer Verdreifachung der Staatseinnahmen.

 

Vertreter aus Politik, Recht und Wirtschaft haben sich auf einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Kiel der hochkomplexen Thematik und deren Problemstellungen angenommen. Allein die Tatsache, dass gerade die Soziallotterien, die das geringste Suchtpotenzial bergen, massiv unter dem unter der Flagge der Spielsuchtprävention segelnden Glücksspielstaatsvertrag zu leiden haben, zeigt die Inkonsistenz der Regulierung. Wie Christian Kipper, der Geschäftsführer der Deutschen Fernsehlotterie, darlegte, „trocknen die klassischen Vertriebswege von Lottolosen langsam aus.“ Zum Nachteil der geförderten karitativen Initiativen und zum Nachteil der Staatskasse. Die Mindereinnahmen nähmen mehr als signifikante Ausmaße an.

 

Nicht nur angesichts leerer Staatskassen steht dringender Handlungsbedarf an. Da sich weder Internet-Provider noch Zahlungsvermittler vor den Karren spannen lassen wollen und auch der Zugriff auf im Ausland ansässige Firmen an den Realitäten scheitert, kann eine Spielsuchtprävention auf diesem Wege nicht umgesetzt werden. In seiner vorgeblichen Begründung ist der Glücksspielstaatsvertrag also obsolet und damit nur ein Hindernis, Erträge aus der Spielleidenschaft deutscher Bürger auch in Deutschland zu behalten. „Der  dänische Entwurf stattet die klassische Lotterie mit offenen Werbe- und Vertriebsmöglichkeiten unter staatlichem Monopol aus, Online-Glücksspiele von privaten Anbietern werden durch Lizenzierungen kontrolliert legalisiert“, erläuterte Dr. Wulf Hambach, Gründungspartner der Hambach & Hambach Rechtsanwälte in München und Spezialist für EU-weites Glücksspiel- und Wettrecht. Er hat die glücksspielrechtlichen Regelungssysteme in Deutschland und Europa unter die Lupe genommen. So betreibe Italien schon seit 2006 eine Legalisierung von Glücksspielplattformen. „Der Effekt einer Steigerung der Steuereinnahmen durch das Vertrauen der Spieler auf lizenzierte und kontrollierte Portale ist wie auch in vielen anderen europäischen Ländern bereits eingetreten“, so sein Resümee.

 

Zwar bezeichnete Hambach die Einrichtung eines auch noch EU-konformen

Glücksspielgesetzes als Slalomfahrt. Die Gesetzgebung bedarf daher großer Sorgfalt und sollte gerade mit dem Blick über den nationalen Tellerrand von den Erfahrungen anderer EU-Staaten wie beispielsweise Italien und Frankreich oder Dänemark profitieren. Auch bei einer Öffnung des Glücksspielmarktes bleibt der Staat als Lizenzgeber und Kontrolleur bestehen. „Die Herausforderungen technischer, rechtlicher und finanzpolitischer Couleur sind zwar erheblich. Wie der EU-Vergleich aber zeigt, profitieren alle Beteiligten von der Änderung“, so Hambach.

 

Online-Spiele wie Poker und Sportwetten nicht zu verdammen, sondern die Chancen bewusst zu nutzen, ist die Perspektive für Deutschland, ein EU-konformes und die Steuerkassen füllendes Gesetz zu schaffen. Der politische Vorstoß aus Kiel verleitet auch Victoria Coxon, PR-Chefin von Pokerstars Frankreich, zur Hoffnung auf eine Etablierung von Online-Echtgeld-Pokerspielen in Deutschland. Hierzulande ist pokerstars.de bisher ausschließlich als kostenlose Pokerschule vertreten. Zum Thema Suchtprävention und Spielerschutz verweist sie im Interview auf die ebenso simple wie wirkungsvolle Tatsache, dass seriöse Anbieter aus ureigenem Interesse ein scharfes Auge auf die Problematik haben. Der eigene gute Ruf und damit die Grundlage für ein erfolgreiches Geschäft seien schnell ruiniert, wenn Spieler sich übernehmen. Beschränkungen bei der Höhe des Einsatzes, der Spielerfahrung entsprechende Levels und gegebenenfalls der Hinweis, doch lieber nichts mehr zu setzen, gelten dabei als effektive Maßnahmen. Die Schuldenfalle droht hier auch deshalb nicht, weil im Gegensatz zum echten Casino bei Online-Spielen nicht gleich das Hinweisschild zur nächsten Pfandleihe in der Tiefgarage hänge. Nachdem auch nicht die Armbanduhr oder das Sparbuch auf den Tisch gelegt werden können, ist es online unmöglich, spontan Haus und Hof zu verspielen.

 

Die Förderung von Breiten- und Spitzensport sowie gemeinnützigen Einrichtungen aus Lottomitteln, eine Gleichberechtigung von Steuersätzen und Werbe- und Vertriebsformen für Soziallotterien und Online-Glücksspiele sowie der grundsätzliche Umgang mit den Chancen und Risiken von Online-Angeboten aller Art sind nur einige Aspekte, die auf allen politischen Ebenen noch für hitzige Debatten über den Glücksspielstaatsvertrag sorgen werden. Denn es geht um viel Geld.

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