Lebensrecht: Der moralische Zeigefinger

Diejenigen, die Abtreibung als Mord bezeichnen, haben ja Recht. Diejenigen, die darauf hinweisen, dass auch ungeborene Kinder eine schützenswerte Menschenwürde haben, haben Recht. Aber nutzt diese Kulisse dem ungeborenen Kind? Nutzt es der werdenden Mutter?

Veröffentlicht:
von

Der moralische Zeigefinger, der in einem Kommentar zu einem Blogbeitrag thematisiert wurde, hat mich dazu gebracht, mir Gedanken über ein etwas unangenehmes Thema zu machen. Bewusst nutze ich dazu keine Kirchelehrtexte, sondern nur meinen Kopf als Utensil – und hoffe, dass das ausreicht.

Was der moralische Zeigefinger bedeuten kann, möchte ich gerne an einem Beispiel verdeutlichen. Auslöser des Themas war die Frage eines Kommentators in diesem Blog, ob und in welchem Umfang ein Verein, der sich gegen die Tötung ungeborener Kinder einsetzt, den moralischen Zeigefinger erheben muss oder inwieweit das sogar kontraproduktiv sein könnte. Wenn es um die Frage der Rechtfertigung des moralischen Zeigefingers geht, wird es sehr schnell grundsätzlich. So schreibt der Kommentator meines Beitrags dazu:

Auch fällt mir auf, dass der “moralische Zeigefinger” im christlichen Bereich häufig dann angesprochen wird, wenn man den Eindruck hat, da möchte sich jemand abgrenzen und im akzeptablen Bereich halten. Kann es sein, dass es sich manchmal um einen “reziproken moralischen Zeigefinger” handelt, der bisweilen tatsächlich von jenen erhoben wird, die ihn aus Gründen der Selbstrechtfertigung (ihrer Meinung, Position oder ihres (Nicht-)Verhaltens) anderen, vermeintlich schwärzeren, Schafen vorwerfen, damit man sich selbst aus der Schusslinie bringt?

Damit ist in etwa das Spannungsfeld umschrieben – der Begriff des moralischen Zeigefingers ist einigermaßen diskreditiert, niemand möchte sich vorwerfen lassen, ihn zu benutzen, umso besser eignet er sich als Argument gegen diejenigen, die ihn vermeintlich erheben. Das hat sicher etwas mit einem abnehmenden Verständnis davon zu tun, was wir denn als “moralisch” oder besser “moralisch gut” betrachten wollen. Es gibt eine noch einigermaßen bestehenden Konsens, dass Mord und Diebstahl nicht in Ordnung und unmoralisch sind (es sei denn staatlich legitimiert, muss man leider immer dazu sagen), dazu gesellt sich noch so etwas wie eine “Umweltmoral”, die alles das als unmoralisch brandmarkt, was der Natur nachhaltig schadet. Bei derlei Argumentationen käme aber auch niemand auf die Idee, Aufrufe zum “richtigen” Verhalten als moralischen Zeigefinger zu bezeichnen.

Dieser Begriff wird dagegen immer dann verwendet, wenn sich der Hinweis auf die Moral gegen das richtet, was sich in der Gesellschaft weithin als “unbedenklich” durchgesetzt hat – was im Rahmen der katholischen Morallehre meist bei Themen der Ehe- und Sexualmoral der Fall ist. Sex vor der Ehe, künstliche Verhütung, gelebte Homosexualität, oder eben Abtreibung – alles Dinge, die der “Mainstream” für normal hält, die wir als Katholiken aber aus dem Glauben ablehnen müssen. Diese Ablehnung an sich wird – jedenfalls bislang – nicht kritisiert, wird die Ablehnung aber im öffentlichen Diskurs vertreten, ist schnell vom Fundamentalismus und vom moralischen Zeigefinger die Rede.

Es gibt aber noch eine andere Interpretation dieses Körperteils, die ich in meinem Beitrag genutzt habe, die ebenfalls negativ konnotiert ist, aber die moralische Fragwürdigkeit des Themas gar nicht in Frage stellen will. Wenn ich also bei Kampagnen gegen die Abtreibungspraxis in Deutschland von einem moralischen Zeigefinger spreche, dann nicht um Abtreibungen zu legitimieren. Abtreibungen töten immer einen Menschen, sind moralisch absolut verwerflich und wie die absichtliche Tötung jedes anderen Menschen nicht zu rechtfertigen. Neben dieser moralischen Wertung tritt hier aber nun etwas, dass ich als Verständnis für diejenigen bezeichnen möchte, die sich amoralisch verhalten. Dabei geht es nicht darum, dass sie ihrem Gewissen gemäß sich möglicherweise gar nicht bewusst sind, dass sie unmoralisch handeln (zur Gewissensnutzung gehört auch die Verpflichtung zur Gewissensbildung), sondern dass sie die Tragweite nicht überschauen, sich vielleicht sogar in Notlagen – subjektive oder objektive – befinden, in denen sie keinen anderen Ausweg als das unmoralische Handeln sehen.

In dem Fall wird es für uns darum gehen, eben nicht den richtigen “moralischen Zeigefinger” zu erheben, sondern die Situation zu klären, einen Beitrag zu leisten, die Notlage abzuwenden, zu mildern, alles legitime zu tun – zusätzlich zur Aufklärung über die Moral, oft sogar im Vordergrund stehend – das unmoralische Handeln abzuwenden. Diejenigen, die Abtreibung als Mord bezeichnen, haben ja Recht. Diejenigen, die darauf hinweisen, dass auch ungeborene Kinder eine schützenswerte Menschenwürde haben, haben Recht. Diejenigen, die darauf bestehen, dass die Teilnahme an einer Abtreibung zur Exkommunikation führt – auch sie haben Recht! Das alles ist richtig, und bei jedem Bericht über Abtreibungen überkommt mich neben einem Kloß im Hals auch Wut, wenn ich bedenke, dass man diesen Kindern – aus welchen Gründen auch immer – das Lebensrecht abgesprochen hat.

Aber nutzt diese Kulisse dem ungeborenen Kind? Nutzt es der werdenden Mutter? Wird sich eine Frau, die “mit Kirche” wenig am Hut hat, gegen eine Abtreibung entscheiden, wenn man ihr vom Lebensrecht jedes Menschen berichtet? Kann man einen Menschen, der eine Entschuldigung für eine Abtreibung darin gefunden zu haben meint, ein Embryo sei doch nur ein Zellhaufen, mit katholischer Morallehre überzeugen? Kann man einer Frau, die kurz vor dem Ende ihrer Ausbildung steht und in der Schwangerschaft ihre gesamte Lebensplanung über den Haufen geworfen sieht, mit der Aussicht auf Höllenqualen von einer Abtreibung abbringen?

Ich bin davon überzeugt: Recht hat in dem Fall der, der das Leben des ungeborenen Kindes rettet. Und – darin unterscheide ich mich vielleicht von anderen – wer mit dem “moralischen Zeigefinger” dazu beiträgt, dass eine schwangere Frau “dicht macht”, Argumenten und Hilfsangeboten nicht mehr zuhören will, der trägt einen Anteil an der Abtreibung dieses Kindes. Das bedeutet für den einen oder anderen durchaus ein Dilemma: In der moralischen Bewertung ist man im Recht, im Durchsetzen setzt man sich moralisch ins Unrecht. Da ist derjenige, der die Notlage der Frau zu erkennen in der Lage und bemüht ist, ihr zu helfen, klar auf der “besseren” Seite. Das ist etwas, was mich an Hilfsangeboten wie der von Profemina bzw. 1000plus so anzieht. Hier wird nicht in erster Linie auf die moralische Bewertung der Abtreibung, auf das Lebensrecht des Kindes abgehoben, sondern die Lage der Frau ins Auge gefasst – und wenn man den Verlautbarungen glauben mag auch noch mit Erfolg!

Ich verstehe durchaus Menschen, die angesichts von mehr als 100.000 Abtreibungen in Deutschland pro Jahr nicht mehr in der Stille des persönlichen Gesprächs argumentieren wollen, die das Unrecht, das den Kindern geschieht anprangern, es heraus schreien wollen. Wer Bilder abgetriebener Embryos sieht, ist um den Schlaf gebracht und es ist mehr als verständlich, dieses Unrecht als solches zu benennen. In der politischen Arbei kann ein solches Vorgehen auch gerechtfertigt sein, da ist das “Lautsprechen” eben notwendig, will man mit seinem Anliegen nicht untergehen. Darum haben solche Arten des Kampfes gegen das himmelschreiende Unrecht der Abtreibung ebenfalls ihre Berechtigung. Im Kontakt mit betroffenen Frauen sind aber – egal ob vor oder gar nach einer Abtreibung – die leisen Töne notwendig, und meist nur die hilfreich, nicht der erhobene “moralische Zeigefinger”.

Nachtrag: Ich hoffe, damit ist deutlich geworden, dass ich die beiden Vereine Profemina und die Aktion Lebensrecht für Alle im zugrundeliegenden Beitrag nicht gegeneinander ausspielen wollte. Sie vertreten auf unterschiedliche Arten ein richtiges und wichtiges Thema. Beide Vereine sind notwendig, und wenn ein Politiker aufgrund der Mitgliedschaft in einem der Vereine abserviert wird, ist das eine Katastrophe und für eine sich christlich nennende Partei eine Bankrotterklärung.

Zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Elmar Oberdörffer

Das stimmt nicht! Morden kann man nur einen Menschen. Weder eine Samenzelle noch eine unbfruchtete Eizelle ist ein Mensch, ein Mensch entsteht erst, wenn eine Eizelle und eine Samenzelle sich vereinigen. Nach Ihrer Logik wäre es auch ein Mord, wenn eine Frau sich nicht in jedem Ihrer Zyklen befruchten ließe, weil dann ja eine immer Eizelle verloren ginge.

Gravatar: MicroHirn

Und bezeichnen eine derartige Vergnügungssteuer einfach mit
FUCK ----- Finanz-Umlage-Contrazeptiver Koitusse

;-)

Gravatar: D.Eppendorfer

Generell ist jedes menschliche Leben, also auch das im Mutterleib, zu schützen.

Problematisch aber wird es, wenn dieses Leben nach seiner Geburt dann ein Dasein vor sich hat, das nur noch als vegetieren zu bezeichnen ist. Das passiert täglich in vielen europäischen sozialen Brennpunkten und massiv in vielen Hunger-Regionen, wo Hunderttausende oder gar Millionen alljährlich langsam und elend sterben, weil sie aufgrund ihrer großen Anzahl verhungern müssen. Wäre es da also nicht humaner, das noch ganz junge Leben im quasi noch Zellteilungsstadium von den aller Wahrscheinlichkeit zu erwartenden schmerzhaften Qualen zu erlösen?

Die Welt ist wegen der vielen empathielosen Egoisten nun mal nicht das Paradies für alle, und darum wird es immer mehr Verlierer geben ja stärker der Geburtenzuwachs ist. Solange archaische Traditionen und religiöse Befehle jede Kontrolle durch moderne Wissenschaft ablehnen, wird die Leidensspirale permanent fortgesetzt. Und die Opfer dieser dummen Verblendung sind vor allem Kinder.

Es ist also nicht damit getan, einmal im Jahr kurz vor Weihnachten zu spenden, um sein Schlaraffenland-Gewissen zu beruhigen. Man muss auch den unwissenden Fanatismus, der das große Sterben bewirkt, bekämpfen. Besonders dann, wenn der bei uns einwandern will und laufend mehr Forderungen stellt, die ihn zur Flucht animierende heimatliche katastrophale Lebensart hier dann jedoch sturheil beibehalten zu wollen. Der Gast hat sich dem ihn versorgenden Gastgeber anzupassen und nicht umgekehrt ! Basta!

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang