Leben auf einer Insel materiellen Wohlstands und geistlicher Armut

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Ich gehe davon aus, dass wir Westeuropäer auf einer Insel des (zurückgehenden) materiellen Wohlstands begleitet von geistlicher Armut leben. Die nächste Generation ist schlecht vorbereitet auf die gesellschaftlichen Umbrüche. Sie wächst in einer Umgebung auf, die nicht nur jeder Ahnung von der Bibel entbehrt, sondern sich von wesentlichen Errungenschaften einer christlich geprägten Kultur verabschiedet hat. Manche von ihnen wurden schon als Kleinkind in einer „professionellen“ Betreuungseinrichtung abgegeben. Ihnen wurde ohne Worte deutlich gemacht, dass sie nur ein Projekt im Rahmen der Selbstverwirklichung der Eltern darstellten. Sie mussten sich schon früh an einer Gruppe von Gleichaltrigen ausrichten und sich deren Regeln unterordnen. (Es gibt keinen Menschen ohne Gesetz, wie der Theologe Eduard Böhl einmal gesagt hat.)

Bis sie ins Erwachsenenalter gekommen sind, sahen die meisten von ihnen über den Bildschirm Tausende von Gewaltakten. Sie sind zudem mit sexuell freizügigen Bildern bombardiert worden. In ihren Kleinfamilien war ihnen parallel eingeredet und gezeigt worden, dass es sich im Leben hauptsächlich um sie drehen würde. Sie wurden zu Veranstaltungen gefahren. Sie konnten essen, wann und was sie immer wollten. Freizeitvergnügen und Ausgang stand Woche für Woche an. Lernen wurde als lästiges Übel angesehen. So stehen sie plötzlich am Anfang des Erwachsenenlebens: Mit perfektionistischen Ansprüchen an die eigene Selbstverwirklichung, viel Verwirrung und Unsicherheit zum Thema Beziehung und Sexualität, einer hohen Abhängigkeit von sozialen Medien. Erstmals plagen sie Sorgen vor einer unsicheren beruflichen Zukunft.

Du magst an dieser Stelle einwenden, dass die Beschreibung zu einseitig ausfalle. Ich habe bewusst die Schattenseiten unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft hervorgehoben. Damit will ich nicht sagen, dass früher alles besser gewesen wäre. Hätten wir vor einigen hundert Jahren gelebt, hätte unser Leben nicht nur halb so lange gedauert. Die meisten von uns hätten als unfreie Bauern unter der Knechtschaft der Herren ebenso wie unter Mangelernährung gelitten. Zudem hätte es gut sein können, dass wir von Wegelagerern getötet worden wären.

Machen wir uns nichts vor. Wer als Kind eine christliche Gemeinde besuchen konnte, mochte zwar behüteter aufgewachsen sein. Doch er wurde mehr oder minder mit denselben Themen konfrontiert. Denn das gesellschaftliche Leben spiegelte sich auch in seiner Gemeinde wider: Viel Unterhaltung resultierte aus dem ständigen Anspruch, dass alle Aktivitäten „Spaß“ machen müssen. Genuss und „Abhängen“ standen im Vordergrund. Manche erlebten das Christsein während Jahren als eine Reihe von Veranstaltungen.

...

(Der Universalgelehrte aus dem 17. Jahrhundert, Blaise) Pascal beschreibt den unablässigen Drang des Menschen nach Sinn und Erfüllung. Über seinem gefühlten und gleichzeitig unterdrückten Elend sucht er Ablenkung. Er steuert ein Etappenziel an (zum Beispiel ein spaßiges Wochenende, ein aufregender Urlaub, eine abgeschlossene Ausbildung, die Anschaffung eines neuen Computerspiels), um sogleich ein neues auszuwählen. Eigentlich befindet er sich ständig auf der Suche nach der nächsten Zerstreuung.

Worüber ich am meisten erschrecke, ist die Tatsache, dass diese Unruhe auch Christen und christliche Aktivitäten erfasst hat. Ganz ähnlich formulierte es Jim Wilhoit, Professor an der christlichen Universität in Wheaton. Er schreibt von der Sonntagschule, dass sie einfach ihr Programm durchziehe, es ihr aber an echtem Sinn ermangle. Die Lehrer wüssten nur, dass sie ihre Schüler nicht langweilen dürfen. Darum verausgaben sie sich dafür, Programme auf die Beine zu stellen, welche die Kinder – zerstreuen. Ich stelle bekümmert fest: Wir haben die Angewohnheit uns zu zerstreuen übernommen.

Francis Schaeffer (1912-1984), Evangelist aus dem 20. Jahrhundert, erreichte durch Gottes Gnade vor allem jüngere suchende Menschen. Er formulierte vor 40 Jahren, was für die junge Generation im 21. Jahrhundert noch gilt. Wir Menschen aus der westlichen Welt haben zwei unausgesprochene kulturelle Leitwerte etabliert. „Friede“ und „Wohlstand“ lauten sie. Ich will ungestört meinen Aktivitäten nachgehen können. Zudem habe ich Anspruch auf allen materiellen Zufluss, den ich zur Umsetzung meiner Wünsche und Träume benötige.

Im Hinblick auf meine eigene Familie treibt mich die Sehnsucht, mit Gottes Hilfe eine andere Richtung einzuschlagen. Es geht mir wie John Piper, der in seinem viel beachteten Buch „Dein Leben ist einmalig“ schrieb: „In den vergangenen Monaten und Jahren erfüllten mich nur wenige Dinge mehr – wenn überhaupt welche – als die Sehnsucht, dass meine Kinder ihr Leben nicht mit Erfolgsstreben verschwenden.“

Aus meiner Einleitung zum neu erschienenen Buch "Ein Leben zur Ehre Gottes" 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Theofan

In der Kombination von Physik und Philosophie ist möglicherweise wenig Platz für die Niederungen gesellschaftlicher Verirrung.
Die Heilige Schrift wurde von vielen Generationen, auch von Ihren Groß- und Urgroßeltern, nicht deshalb so verehrt, weil damit der Dorfpfarrer sein Existenzrecht begründet hat. Dieses Buch und die damit zusammenhängende Religion gaben mehr Lebenshilfe, als es der Markt der Meinungen und Religiönchen heutzutage leisten kann. Damals war man aber auch noch bereit, die geistlichen Gesetzmäßigkeiten in ihrer teils unangenehmen Wirkung zu akzeptieren. Das ganze Alte Testament ist voll davon. Leider wird Herrn Strebel der Erfolg eines Jonas in Ninive verwehrt bleiben, sein Buch wird auf dem Markt der Meinungen untergehen und kein Physikphilosoph wird mehr sich Asche aufs Haupt streuen dafür, dass er sich klüger wähnt als seine Vorväter.
Der Rest der Geschichte steht deshalb im Neuen Testament, ganz hinten. Warum sollte es anders kommen?

Gravatar: Adorján Kovács

Sehr geehrter Herr Strebel,
was Sie da schreiben, kann m. E. mit drei Worten zusammengefasst werden: Wohlstandsverwahrlosung, Selbstbezogenheit und Beliebigkeit. Der Mensch lebt bekanntlich nicht vom Brot allein. Peter Scholl-Latour hat zurecht gesagt, der Westen habe (noch) alle möglichen Vorteile durch Geld, Effizienz und relative Freiheit, aber eines fehle ihm, was entscheidend ist: Glaube. Welcher Glaube? Kürzlich hat in der FAZ ein Bundestagsabgeordneter der CDU (!) ein Manifest für Nachhaltigkeit veröffentlicht: Ökologie, Ökonomie, sozialer Ausgleich. Er meinte, das sei nicht genug; es müsse noch Kultur hinzukommen, um wirklich nachhaltig zu sein. Er hat aber sein Manifest säkular, um nicht zu sagen: atheistisch formuliert, damit er niemandem beim Mainstream auf die Füße tritt. Denn was bitte ist das Fundament unserer, und nicht nur unserer Kultur? Im Vergleich zu allen Religionen unserer Welt (Islam, Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus etc) zeigt das Christentum immer wieder, dass es Vernunft und Freiheit des Menschen am meisten ernst nimmt und fördert. Vielleicht ist gerade dieses das Problem: Vernunft und Freiheit sind für den Menschen zu schwer.

Gravatar: Dieter

Leider begehen auch die christlichen Religionen den Fehler, sich von dem eingegebenen Wort Gottes, der Bibel oft nicht korrigieren zu lassen. So haben sich viele Fehler eingeschlichen, die zu Gewohnheiten und Traditionen wurden. Jeder darf laut Bibel denken , glauben und tuen was er will, muss sich aber am Ende der Menschheitsgeschichte vor dem Schoepfer verantworten. Erst dann wird es Gerechtigkeit geben. Keiner wird am Ende sagen koennen, dass er vom Gott der Bibel und seiner Liebe zu allen Menschen nichts gewusst haette. Sie offenbart sich in der Bibel und in Seiner Schoepfung, auch durch die Musik. Man hoere sich einmal in die Werke von Johann Sebastian Bach hinein. Er hat sich Gott und Seinem Wort sehr angenaehert. Welch ein geistlicher und moralischer Oualitaetsunterschied. Welch eine Wuerde und Liebe verleihen diese Werke dem Schoepfer und dem Geschoepf Mensch.

Gravatar: Joachim Datko

Dorfpfarrer weitgehend ausgestorben!

Zitat: "War frueher der Dorfpfarrer eine der wichtigsten Personen der Gemeinde, so kann er sich heute gluecklich schaetzen, wenn ihn ueberhaupt jemand kennt."

Dorfpfarrer werden nicht gebraucht. So gehen unter 3,5% der verbliebenen ev. Christen und nur 10,8% der r.-k. Christen am Sonntag in die Kirche. Mit der hohen Austrittszahl und mit dem Rückgang der Kirchbesuche bei den verbliebenen Gläubigen sinkt der Bedarf an Pfarrern.

Wichtig waren die Pfarrer noch nie, sie hatten die Bevölkerung nur im Griff. Heute kann auch die Dorfbevölkerung problemlos aus der Kirche austreten, die Pfarrer haben die Macht über die Menschen verloren.

Joachim Datko - Physiker, Philosoph
Forum für eine faire, soziale Marktwirtschaft
http://www.monopole.de

Gravatar: Clara West

An den vielen Kriegen heute und gestern kann man sehr gut sehen, dass bisher keine einzige Generation auf die Umbrueche ihrer Zeit vorbereitet gewesen ist. Von daher stimmt die Argumentationskette nicht.

Ich glaube nicht, dass haeusliche Gehirnwaesche ein probates Mittel ist, um gegen gesellschaftliche Hirnwaesche anzukaempfen. Vielmehr glaube ich, dass es gut und richtig ist, wenn Kinder in einem Umfeld aufwachsen, wo sie mit den Realitaeten des Lebens konfrontiert werden. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, sie dabei zu unterstuetzen und nicht den Kopf in den Sand zu stecken.

Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, in der viele streng religioesen Sekten zu Hause waren und habe schon sehr frueh beobachten koennen, wie sehr sich die Kinder und Jugendlichen bemueht haben, aus diesem Gefaengnis auszubrechen. Kleidervorschriften, Essensvorschriften, Vorschriften fuer Haarfrisuren, Schminke, Fernseher, Gebete, Gottesdienste, Partnerwahl. Kurzum fuer alles. Ein Leben in der Zwangsjacke, aus der jeder auf seine Weise versucht, auszubrechen. Manchen gelingt es, andere werden so lange gebrochen, bis sie nicht anders koennen, als den vorgegebenen Trampelpfad weiterzulaufen. Wie solche Mechanismen funktionieren, dokumentiert der Film "Die unbarmherzigen Schwestern" sehr gut.

Nach meiner Erfahrung kann man als Eltern Kinder nicht zum Glauben erziehen. Man lebt vor, was man selbst glaubt. Aber Kinder werden ihren eigenen Weg gehen und dementsprechend herausfiltern, was sie glauben koennen und was nicht. Das ist auch ihr gutes Recht und ihre Pflicht, denn Glaube beruht auch auf Lebenserfahrung und Reflexion. Glaube ist kein Zustand, sondern ein lebenslanger Weg, u.U. mit sehr vielen Rueckschlaegen.

Religionen werden und wurden bisher immer missbraucht und haben Missstaende in der Regel verschlimmert statt verbessert. Sehr anschaulich schildert das z.B. Gunnar Heinsohn in seinem Buch "Soehne und Weltmacht". Es ist ja das grosse Problem der christlichen Kirchen, dass sie sich einem galloppierenden Machtverlust ausgesetzt sehen. Selbst Kleinkinder erforschen bereits die Naturgesetze, so dass es immer schwieriger wird, religioese Machtpositionen zu behaupten. War frueher der Dorfpfarrer eine der wichtigsten Personen der Gemeinde, so kann er sich heute gluecklich schaetzen, wenn ihn ueberhaupt jemand kennt.

Die grosse Preisfrage hier ist: Was sind den die "christlichen Errungenschaften" im Sinne des Autors?

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