Lasst die Betriebsräte ran!

Tarifabschlüsse haben keinen Bezug zu den Lebenshaltungskosten. Der Gesetzgeber muss das Betriebsverfassungsgesetz ändern. Betriebsräte sollten Abschlüsse über Arbeitszeiten und Entlohnung im Unternehmen aushandeln.

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Immer öfter nehmen kleine Gruppen ihre Kollegen in großen Betrieben in Geiselhaft. Beschäftigte, die an strategischen Schalthebeln sitzen, gründen eine Spartengewerkschaft und fordern exorbitante Lohnerhöhungen mit der Drohung, den ganzen Betrieb lahmzulegen. Die Forderungen dieser Gruppen überschreiten die der großen Gewerkschaften oft um ein Vielfaches. Aktuell verlangen die Vertreter von ca. 200 Angelernten, die auf dem Frankfurter Flugfeld im Durchschnitt 40.000 Euro Jahresgehalt kassieren, Lohnerhöhungen von 64%. Direkt und indirekt werden am Frankfurter Flughafen über 50.000 Beschäftigte in Mitleidenschaft gezogen, von den Passagieren ganz zu schweigen.

Vorreiter dieser Entwicklung waren die Piloten der Lufthansa. Ihrem Beispiel folgte das restliche Kabinenpersonal. An die regelmäßig das ganze Land in Geiselhaft nehmenden Fluglotsen hat man sich hierzulande schon gewöhnt. Spätestens aber, als die Lokführer den Schienenverkehr lahmlegten, um für sich ein besonders großes Stück aus der Torte der Personalkosten der Bahn AG herauszuschneiden, hätte es Arbeitgeberpräsidenten und Gewerkschaftsführern dämmern müssen, dass hier ein neues Geschäftsmodell entsteht. Ähnlich wie bei der Mafia, beruht es auf Erpressung. Den Chefs der betroffenen Unternehmen bleibt nichts anderes übrig, als  Schutzgeld in Form von Sonderkonditionen für die Erpresser zu zahlen.  

Wenn es so weitergeht, werden Spartengewerkschaften bald für die Beschäftigten in den Kontrollräumen von Stromerzeugern, in Rechenzentren von Großunternehmen oder in Operationssälen unserer Krankenhäuser entstehen. Leider verbietet das gesetzlich verordnete Tarifkartell zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften  den Betriebsräten, hier eine Rolle zu spielen. Dabei wären sie am besten geeignet, zusammen mit den Betriebsleitungen, für Fairness bei der Bezahlung der Berufsgruppen in ihrem Unternehmen zu sorgen und Schmarotzern in den Arm zu fallen. Diejenigen, die den Betrieb am besten kennen, dürfen nur zuschauen, wie betriebsfremde Arbeitgeber- und Gewerkschaftsfunktionäre über die Entlohnung und die Festsetzung der Arbeitszeiten in ihren Unternehmen entscheiden. 

Dabei richtet dieses „Tarifkartell“ schon lange immensen Schaden an. Die „Flächentarife“ werden von betriebsfremden Funktionären ausgehandelt, die sich an ökonomischen Durchschnittswerten orientieren und die Vielfalt der betrieblichen Wirklichkeit ignorieren. Das Ergebnis kann man nach jedem Tarifabschluss besichtigen: Für einige Betriebe ist der Abschluss zu hoch. Er bringt sie in existenzielle Gefahr, treibt sie in die Insolvenz oder zwingt sie, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlegen. Andere, deren Ertragskraft über dem Durchschnitt liegt, kommen zu billig davon. Auch der demnächst wieder auszuhandelnde „Flächentarif“ im Metallbereich wird die unterschiedliche Entwicklung ganzer Branchen völlig ignorieren. Einige Branchen, wie die Druckmaschinenindustrie, kämpfen ums nackte Überleben, andere, wie der Maschinenbau, stehen vor einem konjunkturellem Abschwung, und es gibt weiterhin solche, wie die Windkraftanlagenbauer, deren Auftragsbücher prall gefüllt sind.  

Gewerkschafter vor Ort wissen besser, was ihren Kollegen gut tut

Diese typisch deutsche Gleichmacherei ist alles andere als gerecht. Das zeigt auch daran, dass die Tarifabschlüsse keinen Bezug zu den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten haben. Die ausgehandelte Lohnerhöhung gilt sowohl in Brandenburg, wo die Lebenshaltungskosten gering und die Mieten niedrig sind, als auch in München, wo die Mieten inzwischen schwindelerregende Höhen erreichen. Der Flächentarif nimmt auch keine Rücksicht auf die Arbeitslosen. In Berlin, mit einer zweistelligen Arbeitslosenrate, werden die Löhne im Metall- und Elektrosektor genau so ansteigen wie Städten, in denen Vollbeschäftigung herrscht. 

Die Lösung liegt auf der Hand: Der Gesetzgeber muss das Betriebsverfassungsgesetz so ändern, dass die Betriebsräte ermächtigt werden können, Abschlüsse über Arbeitszeiten und Entlohnung für alle im Unternehmen befindlichen Berufsgruppen auszuhandeln. Um sicherzustellen, dass die Betriebsräte selbst nicht durch die Betriebsleitungen erpressbar werden, sollten sie nur dann das Mandat zum Abschluss eines Tarifvertrages erhalten, wenn sie durch die Zustimmung von zum Beispiel 75 Prozent aller Mitarbeiter in einer geheimen und demokratisch organisierten Wahl dazu ermächtigt wurden.    

Ich höre schon die Aufschreie der um ihre Posten und ihren Einfluss fürchtenden Funktionäre: „Das höhlt die Tarifautonomie aus“, wird Arbeitgeberpräsident Hundt behaupten. Das ist Unsinn. Die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie legt fest, dass sich der Staat heraushalten soll und verbietet nicht, dass Betriebsräte und Betriebsleitungen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten. Sein Kartellbruder, DGB-Chef Sommer, wird behaupten, dass die Betriebsräte vor Ort nicht das richtige Stehvermögen hätten. Damit würde er sie nicht nur unterschätzen und in ihrem Selbstverständnis in Frage stellen. Er würde auch übersehen, dass  Betriebsräte vor Ort besser als IG-Metall-Funktionäre im fernen Frankfurt wissen, was ihren Kollegen gut tut. 

Seit der Flutkatastrophe vor 50 Jahren sagt man bei uns in Hamburg: „Leute, die am Wasser wohnen, wissen am besten, wie hoch der Deich sein muss!“  Das gilt auch für unsere Betriebsräte.

Beitrag erschien zuerst auf handelsblatt.com

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