Ironie der Geschichte: Ausgerechnet das kommunistische China leidet unter jener Folge des Kapitalismus, die der große österreichische Ökonom Joseph A. Schumpeter die „utilitaristische Lektion“ des Marktdenkens nennt. In seinem Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ beschrieb er schon vor 70 Jahren, wie der Markt das Verhalten der Menschen und ihre Ideenwelt rationalisiere und kommt zu dem Schluss: „Sobald Männer und Frauen die utilitaristische Lektion gelernt haben, müssen ihnen unvermeidlich die schweren persönlichen Opfer, welche Familienbindungen und namentlich Elternschaft unter modernen Bedingungen mit sich bringen, bewusst werden“. Genau das ist in China geschehen. Die Ein-Kind-Politik war nicht nur eine unmenschliche Begrenzung durch eine Diktatur, sie passt auch zu der marktwirtschaftlichen Öffnung im Reich der Mitte.
Aber die Geschichte ironisiert nicht nur, sie rächt sich auch. Eine kinderentwöhnte, alternde Gesellschaft konsumiert anders, lebt anders, liebt anders. Die emotionalen Bindungen zwischen Eltern und Kind wandeln und lockern sich. Millionen von Einzelkindern kümmern sich nicht mehr um ihre alten Eltern. Die Hälfte des Milliardenvolks hat keine Altersvorsorge. Das war vorher die Familie. Jetzt lebt der Sohn – die Töchter wurden meist abgetrieben – in der großen Stadt und kümmert sich nicht um die Eltern. Eine Altersarmut gigantischen Ausmasses droht. Die Partei hat das erkannt und reagiert mit Vorschriften. Einzelkinder müssen einmal im Monat Kontakt halten mit den Eltern und jetzt wird die Ein-Kind-Politik abgeschafft.
Aber es ist zu spät. Demographie ist ein langsamer Prozess und ob es mehr Kinder gibt ist sehr fraglich. Denn mit dem Wohlstand der Einzelkinder haben sich auch die Ansprüche geändert. Und es fehlt das ethische Fundament, es fehlt die selbstlose Liebe. Überall auf der Welt, wo der Wohlstand ohne ethischen Hintergrund Einzug hielt, sind die Geburtenzahlen abgestürzt, in Europa zuerst, seit einigen Jahren selbst in islamischen Städten. China wird sich von der Ein-Kind-Politik nicht erholen. Die Wirtschaftslenker, die ihre Hoffnung auf den chinesischen Markt setzen, sollten die künftigen sozialen Verwerfungen in ihr Kalkül aufnehmen. Man hat schon in der Flüchtlingsfrage die absehbaren Folgen verdrängt, im Fall China kann es auch sehr teuer werden.
Kommentare zum Artikel
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Machte mich sehr nachdenklich, der Artikel über künftige Verwerfungen in China. Wir werden auch sonstwo nicht ohne Verwerfungen leben können. Das Leben ist nicht planbar, danken wir Gott dafür.