Kritische Bewertung des Koalitionsvertrags (I)

Kapitel I.  „Wohlstand für Alle“ Hübsch, dass dieses Erhard-Zitat als Überschrift den ersten Teil des Koalitionsvertrages schmückt. Steckt aber auch Erhard in dem Vertrag?

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Ohne Durchbrüche in der Steuer- und Wachstumspolitik bestehen kaum Spielräume für sämtliche der im Kapitel 1 genannten Reformfelder. Richtig ist, Steuerpolitik als Wachstumspolitik zu begreifen, das hätte auch Erhard getan. Gemessen an dieser Philosophie ist es auffallend zögerlich, sich (nach Abzug der bereits beschlossenen Entlastungen) jährlich 10 Milliarden Euro zusätzlicher Steuerentlastungen vorzunehmen. Besser wäre es gewesen, auf Basis mutiger Ausgabenkürzungen Spielräume für spürbare Steuersenkungen zu schaffen. Die Papiere hierfür liegen doch längst vor. Ob  „Koch-Steinbrück-Liste“ zur Kürzung von Subventionen oder die mehr als 400 Sparvorschläge aus den „Liberalen Sparbuch“ der FDP. Aber Sparen ist nicht Sache der neuen Regierung, dann schon lieber neue Schulden machen. Das Verständnis für Ausgabenkürzungen wäre in der Bevölkerung vor den Hintergrund der Krise und der Gesamtverschuldung groß gewesen. Einen solchen Weg will die neue Koalition aber nicht gehen. Schade um diese vertane Chance. Selbst der Solms-Stufentarif „soll“ zwar kommen, aber „Zahl und Verlauf der Stufen“ sollen noch „entwickelt“ werden. Das kann viel heißen – oder auch wenig. In der vagen Formulierung liegt die Kunst jeden Koalitionsvertrages. 

Passabel fällt das vereinbarte „Sofortprogramm krisenentschärfender Maßnahmen“ aus. Diverse steuerpolitische Krisenverschärfer werden nun behutsam geglättet. Das allerdings ist eine Status-Quo-Politik: Man ändert nur so viel, wie unbedingt erforderlich ist und enthält sich einer Radikal-Umkehr. Beim Thema „Steuervereinfachung“ nimmt sich die Koalition viel vor, was sich auch alles gut liest. Doch seit wann vereinfachen Bundesregierungen die Steuergesetze? Das wäre eine Premiere seit Gründung der Bundesrepublik. 

Im Abschnitt „Generationengerechte Finanzen“ steht geschrieben: „Wir stehen für eine solide Haushalts- und Finanzpolitik.“ Haben das nicht alle Bundesregierungen seit 1949 von sich behauptet, mit dem Ergebnis, dass die Staatsverschuldung zum Ende des Jahres auf 1700000000000 Euro angestiegen sein wird. Das also heißt „solide“. Der Dispo des Staates scheint unendlich zu sein. Wie gut, dass erst Generationen, die noch gar nicht geboren sind, für diesen Schuldenberg aufkommen müssen. Das ist also mit  „generationengerechte Finanzen“ gemeint.  

Im letzten Absatz des ersten Kapitels widmet man sich der Deutschen Einheit. Oberstes Ziel: Man will die „Lebensverhältnisse bis zum Jahr 2019 bundesweit weitgehend angleichen“. Wie schön. Haben wir also bereits in zehn Jahren den Sozialismus in ganz Deutschland erreicht. Gleiche Lebensverhältnisse gab es nicht einmal in der DDR, nun aber im Jahr 2019 in der BRD?

Erhard würde im Grab rotieren.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Amelie E. Schneidereith

1.) Erhard würde nicht- er r o u t i e r t im Grab...
2.) 17000000000000 ¤ sind nur die expliziten Schulden, also die ausdrücklich ausgewiesenen. Sämtliche künftige Verpflichtugen, die heute schon bestehen, aber nur noch nicht fällig sind, also z.B. die ,meisten Pensionslasten im öffentlichen Dienst, sind in dieser Summe NICHT mit drin. Eine glatte Bilanzfälschung, da keine Rückstellungen gebildet wurden. Eigentlich nichts anderes als bewußte Insolvenzverschleppung. Diese sog. impliziten Schulden betragen ein Vielfaches der 1,7 Billionen. Darüber spricht nur keiner.
3.) Gleiche Lebensverhältnisse- in ganz Deutschland? In der Tat- eine Horrorvision. Möglichst wenig Vielfalt, möglichst wenig Wettbewerb- und das ganze über die EU perspektivisch von Oslo bis Sizilien, von Bukarest bis Lissabon. EIn Schauerspiel.

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