Köhlers Abgang

Horst Köhler hat hingeschmissen. Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik ist ein Bundespräsident zurückgetreten. Entsprechend groß ist das Entsetzen; nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern mehr noch in der politischen Klasse, in der sich Köhler nicht mehr wohl fühlte, wie schon seit längerem zu spüren war. Köhler verwies zur Begründung seiner Entscheidung auf die Kritik, die ein Interview ausgelöst hat, das er auf dem Rückflug von einem Kurzbesuch in Afghanistan gab. Der Satz, um den es ging, lautet:

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"Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft  zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit  dieser Außenhandelorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass  im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf  unsere Chancen zurückschlagen  negativ, bei  uns durch Handel und Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern."

 Dieser Satz wurde verbreitet als Plädoyer dafür verstanden, künftig auch zur Wahrung von Wirtschaftsinteressen zu den Waffen zu greifen. Kritiker unterstellten Köhler, damit für die Verletzung des  Grundgesetzes  plädiert zu haben. Von ihm wird der bewaffnete Einsatz der Bundeswehr ausschließlich auf die  Landesverteidigung an den deutschen Grenzen beschränkt. Auch wenn Köhler den Einsatz der Bundeswehr zur Durchsetzung  wirtschaftlicher Interessen nicht gefordert hat: Den Vorwurf einer zumindest missverständlichen Äußerung muss er sich gefallen lassen.

Aber dies ist inzwischen Schnee von gestern. Seit seiner Erklärung vom Montagmittag, mit sofortiger Wirkung sein Amt nieder zu legen, stehen andere Fragen im Vordergrund. Sie werden vom Grundgesetz aufgeworfen. Nach Artikel54,4 muss nach einem Rücktritt des Bundespräsidenten die Bundesversammlung spätestens nach 30 Tagen einen Nachfolger wählen. – Wen? Das ist die Frage nach den Mehrheitsverhältnissen in  der Bundesversammlung. Seit der letzten Präsidentenwahl am 19. Mai vergangenen Jahres hat sich ihre Zusammensetzung geändert. Wichtig wird dabei, wie sich die übrigen Parteien und ihre Kandidaten gegenüber den Linken verhalten. Die Wahl eines Kandidaten aus dem linken Parteienspektrum  könnte – wie sich in der Vergangenheit erwiesen hat – als Weichenstellung für eine andere Regierungsmehrheit im Bundestag erweisen.

 

 Köhlers Begründung für seinen Rücktritt ist so karg, dass sich die Frage, ob dies der wirkliche Grund war, fast schon erübrigt. Köhler verdankte seine Wahl in dieses Amt vor allem der Bundeskanzlerin. Merkel war es, die im Hintergrund seine Wahl managte. Das Verhältnis zwischen ihr  und Köhler hatte sich in letzter Zeit unübersehbar  verschlechtert. Die Tatsache, dass Merkel nach Köhlers jüngster Äußerung nicht den leisesten Versuch machte, ihn zu verteidigen, spricht dafür, dass das Tuch zwischen ihnen zerschnitten war. Deshalb hat Köhlers Rücktritt nicht nur den Charakter einer Resignation. Er taugt ebenso sehr als Waffe, mit der er  diejenigen treffen kann, die ihm in Auseinandersetzungen, die nicht an die Öffentlichkeit drangen, das Amt vergällt haben. Erleiden die Koalitionsparteien CDU,CSU und FDP mit ihrem Kandidaten (den sie erst noch benennen müssen) eine Niederlage, so kann dies Folgen haben, die bis ins Kanzleramt reichen. Die schwarz-gelbe  Koalition war von ihrem ersten Tag an glücklos, Frau Merkel konnte mit ihrer Taktik des Aussitzens und mit ihrer Verweigerung, die Probleme öffentlich zu diskutieren und zu lösen, keinen einzigen Erfolg verbuchen. Schwer angeschlagen war sie schon vor Köhlers Entscheidung.  Jetzt  scheint nichts mehr selbstverständlich ,  Überraschungen aber jederzeit möglich. Wir tun gut daran, unser Augenmerk vom Amt des Bundespräsidenten  nun auf die Regierung und ihre Kanzlerin auszuweiten.

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