Kaffeehäuser und Politik - eine niemals endende Leidenschaft

Die Türken vergassen angeblich einen Sack mit Kaffeebohnen bei ihrem ungeordneten Rückzug von Wien. Wir müssen ihnen dafür dankbar sein, denn das war der Grundstein für eine Revolution der Gesellschaft.

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Was haben die Bürger von Berlin, Zürich, Jerusalem, Tel Aviv, Wien und Salzburg gemeinsam? Sie lieben ihre Kaffeehäuser!

Oder sie liebten sie, bis die grossen Caféhausketten, auch Coffeeshop genannt, die Welt mit ihrer „Coffee to go“ Kultur überzogen.

In Berlin buhlten ab Mitte des 19. Jahrhunderts das Kaffee Bauer und Kaffee Kranzler um die Beliebtheit des hauptstädtischen und deshalb verwöhnten Clienteles. Die Kaffeehäuser standen sich jahrelang an der Kreuzung Friedrichstrasse/Unter den Linden gegenüber. Besuche von Damen in diesen als „anrüchig“ geltenden „Einrichtungen“ galten als unschicklich, in beiden Kaffeehäusern standen deshalb „Damensalons“ zur Verfügung, in denen sich auch die weiblichen Mitglieder des Bürgertums bis hinauf zum höchsten Adel treffen konnten. Sehen und gesehen werden, Tratsch und Klatsch, so meinte man, blieb die Vorliebe der Damen, während die Herren, wenn sich schon keine Partner für weltverbessernde Gespräche fand, sich in die angebotenen Tageszeitungen vertieften. Dass dies auch abends oder an dunklen Tagen möglich war, verdankten sie einer bahnbrechenden Erfindung: der Elektrifizierung.

Während das Kaffee Bauer im Jahr 1910 seine Türen schloss, zog das Kranzler an den Ku’damm. 1945 fiel es den Rotarmisten zum Opfer. Das Aus dieser urberliner Institution schien vorprogrammiert. 1951 wurde es wieder eröffnet, doch traf der nüchterne Bau nicht den Geschmack der Berliner. Das Kranzler konnte nicht an seinen alten Erfolg anknüpfen. Also wurde es kurzerhand abgerissen und in der heute noch bestehenden Form neu errichtet.

Seit 1957 markiert es mit seinen rot-weiss gestreiften Sonnenmarkisen rund um die Rotunde im ersten Stock das „Kranzler Eck“. Irgendwann begann der Zahn der Zeit an dem zu nagen, was über hundert Jahre hinweg die Geschichten aus dem und über das Traditionshaus nährten, an den Ritualen der alten Kaffeehaus Kultur.

Das Kranzler gibt es immer noch, es ist Teil eines modernen Quartiers geworden, wurde zurückgestutzt auf die Rotunde im ersten Stock. Es hat sich neu erfinden müssen, ist heute Lounge und Event Location.

In Zürich öffnete 1911 in einem wunderschönen Jugendstilhaus an prominenter Stelle am Bellevue das „Grand Café Odeon“ seine Türen und zog sofort Politiker, Künstler, Wissenschaftler und ins Exil gegangene Revolutionäre an. Die Einrichtung entsprach damals und auch heute noch der der klassischen Wiener Kaffeehäuser. Kleine runde Marmortische, unbequeme Holzstühle, gebeizt von jahrelangen intensiven Nikotinschwaden. Damit diese niemals schwächer wurden, stand auf einem Regal ein kleiner Benzinkanister zum Auffüllen der Feuerzeuge. Wer sich, statt die Geschichte neu zu schreiben, lieber zurückzog, konnte im ersten Stock im Billardraum Ruhe finden.

Franz Werfel ging hier ein und aus, ebenso wie Stefan Zweig, Karl Kraus, William Sommerset Maugham, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Klaus Mann. James Joyce, dessen Grab sich am Friedhof Fluntern befindet, gab in seinen Werken zahlreichen Personen, die ständige Gäste im Odeon waren eine neue, anonyme Persönlichkeit. Sein „Ulysses“ ist fast vollständig hier geschrieben worden. Auch Elias Canetti arbeitete gerne in einer der Nischen.

Zahlreiche Musiker schätzten die spezielle Atmosphäre. Wilhelm Furtwängler, Franz Lehar und Alban Berg schauten regelmässig vorbei. Albert Einstein diskutierte gerne auch ausserhalb der Seminare und Vorlesungen mit seinen Studenten. Ferdinand Sauerbruch soll, wenn man dem on-dit Glauben schenkt, seinen geliebten Champagner nicht aus der Flasche eingeschenkt bekommen haben, sondern aus einer grossen Kaffeekanne…

Lenin war Stammgast und plante die grosse kommunistische Umwälzung und vollendete das Werk „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“. Offenbar muss ihm beim Denken der Kopf oft sehr schwer geworden sein, ein Abdruck seines Ellbogens in der Tischplatte seines Lieblingsplatzes bewies das, bis die Platte im Zuge der 70er Jahre Unruhen verschwand, die auch das Café Odeon nicht verschonten.

Das Odeon hat viele Zeiten kommen und gehen sehen, es hat sich immer wieder neu erschaffen und steht noch immer da, wo es vor mehr als 100 Jahren gegründet wurde, leider nur noch halb so gross und nur im Parterre.

In Israel gab es vor den Jahren der Staatsgründung 1948 teilweise kräftigen Widerstand gegen die ungeliebten britischen Besetzer (die sich natürlich nie als solche definierten!). Im 1938 in Jerusalem als Esslokal gegründeten Café Atara, zentral gelegen an der Jaffa-Strasse, trafen sich alle: Offiziere der britischen Mandatstruppen, die Mitglieder von Untergrundgruppen und des Widerstandes von Haganah, Stern, Irgun Zvai’i Leumi. Eine brisante Mischung. Ein bisschen wie in Ricks Café in Casablanca, nur, dass niemand „Play it again, Sam!“ spielte. 1940 übersiedelte es in die damals wie heute angesagte Flaniermeile, die Ben Yehuda Strasse.

Bernhard Grünspan, dessen Kinder und Enkel heute schon lange Greenspan heissen, hatte nach seiner Auswanderung aus München den Beruf gewechselt. Aus dem Herrenschneider war der Kaffeehausbesitzer geworden.

Ob es ein Gerücht ist, oder ob es im Atara tatsächlich die heute noch erhältliche Cafésorte „Zunz sel. Witwe“ (heute gehört diese Marke zum Dallmayer Konzern) gab, kann vielleicht niemand der alten Gäste bestätigen, zuzutrauen wäre es den mutigen Neuunternehmern, dass sie, als ihren Beitrag zur Revitalisierung der Gastrokultur durch den Import dieser renommierten Cafémarke beigetragen hätten.

Zumindest behauptete das Henry Broder in einer SPON-Reihe über Israel.

Welcher Gast in welches Kaffeehaus ging, unterlag einer nahezu verbindlichen Aufteilung. Während des Unabhängigkeitskrieges war es lebensnotwendig, zu wissen, ob man sich noch auf jüdischem oder schon auf arabischem Territorium bewegte. Hielt man sich am falschen Ort auf, ging man das Risiko ein, in ernsthafte Schwierigkeiten zu geraten.

Nach der Staatsgründung kamen andere, Politiker, Journalisten und Künstler. Amos Oz’ Novelle „Mein Michael“ verlieh dem Atara einen Stempel der Unendlichkeit.

Sie alle wurden gleichermassen freundlich von den mittelalterlichen Kellnerinnen bedient, die mit ihrer Uniform, schwarzer Bleistiftrock und blütenweisse Bluse, in jedes Kaffeehaus in Europa gepasst hätten. Jeder Gast hatte „seine“ Kellnerin, die jungen Besucher oben, im ersten Stock, die älteren unten im Erdgeschoss. Es waren noch „richtige“ Kellnerinnen, die dort arbeiteten, nicht die meist äusserst charmanten, aber oft völlig hilflosen Mädchen knapp vor oder nach ihrem Militärdienst. Die Kellnerinnen waren auch nicht so anonym wie heute, sie arbeiteten jahrelang im selben Betrieb und kannten wahrscheinlich mehr Geheimnisse der männlichen Gäste, als deren Ehefrauen!

Doch irgendwann begann der lange Abschied von der Zeit. Eine Institution, die dem Unabhängigkeitskrieg, dem Sechstagekrieg, dem Yom Kippur Krieg getrotzt hatte, die nie, nicht an einem einzigen Tag geschlossen war (gemäss dem Familienwahlspruch: Was immer auch geschieht, behalte die Türen des Restaurants offen für deine Gäste), musste den langsamen Rückzug antreten.

Was bis zum Ende blieb, war der grüne Vorhang vor der Türe mit der in Gold gestickten Krone darauf (Atara bedeutet Krone). Verloren wurde der Kampf letztendlich gegen die Bürokratie. Im April 2007 schloss das Kaffeehaus endgültig seine Türen. Gescheitert schlussendlich an der Frage, ob die Pergola ein paar Zentimeter zu gross war.

In Tel Aviv verstarb vor wenigen Tagen Sarah Stern (90), die langjährige Eigentümerin des vor allem in linken Kreisen beliebten Café Tamar. 1941 wurde das Café gegründet, 1951 von Sarah und ihrem Mann Avraham gekauft und von ihr nach dem Tod ihres Mannes 1966 allein weitergeführt. Erst vor drei Monaten gab sie auf und schloss die Türen des Tamar.

Die Sheinkin Strasse war irgendwann vielleicht nicht mehr der Platz, der Tel Aviv zu dem machte, was die Stadt heute ist: Hip, modern, quirlig, lebendig. Das ehemalige Zentrum des eher linken Bürgertums und der Bohemiens verblasste mehr und mehr. Die junge Generation war weitergezogen. Die Strasse sank in die Bedeutungslosigkeit. Das Tamar, ein Anachronismus aus einer früheren Welt blieb so, wie es immer schon gewesen war. Fast trotzig spiegelte die Einrichtung die besseren Zeiten wider, die schon lange vorbei waren. Fast trotzig hielt Sarah Stern auch die alte Dekoration bei: Wahlplakate und Flyer der letzten Jahrzehnte.

Im Tamar wurde Politik gemacht, wurden Zeitungsartikel geschrieben und redigiert, wurden Künstler zerrissen oder gelobt.

Im Jahr 2012 wurde die Sheinkin Strasse generalsaniert, heute gehört sie wieder zu den Top Einkaufsstrassen von Tel Aviv. Der Stadt, die so gerne sein möchte, wie andere, die jedem Trend nachläuft.

Bis vor wenigen Wochen verteidigte Sarah Stern die alte Zeit: sie sagte, wer ihr Gast sein durfte und wer nicht, sie hielt nie mit ihrer Meinung hinter dem Berg. Immer noch beeindruckend, mit einem Gesicht in Falten gelegt von vielen Entbehrungen und Mühen, aber auch vom Glück, nicht nur eine, sondern zwei Familien zu haben. Die Natürliche mit Kindern und Enkeln und die Gästefamilie.

Als es Zeit war, die Türe zum letzten Mal zu zu sperren, war es diese zweite Familie, die das Kaffeehaus weiterführen wollte. Doch die Vernunft siegte. Das Tamar wird in den Köpfen Vieler in lebhafter Erinnerung bleiben.

Was wäre Wien ohne seine Kaffeehäuser und seine Caféhäuser? Nie hätte es Baristi gegeben, wenn es nicht zuvor die Wiener Kaffeehauskultur gegeben hätte. Die Liste der Wiener Spezialitäten ist sicher nicht vollständig!

In Wien ging man ins Kaffeehaus, um dort zu leben. Sogar die Post liessen sich manche, ansonsten nahezu heimatlosen (nicht verwechseln mit obdachlosen) Herren der Gesellschaft, dorthin schicken. Der Stammplatz musste erworben werden, doch war er einmal gesichert, konnte ihn niemand mehr beanspruchen. Es gab das Demel, das Sacher, das Landmann, und….. es gab das Café Hawelka!

Das Kaffeehaus der Bohemien, in dem man auf abgewetzten Sofas und Sesseln Platz nahm, wenn man Glück hatte. Oder, wenn einem das Pech hold war, landete man auf einem der unbequemen Holzstühle. Und war trotzdem glücklich, dort zu sein. 1939 übernahmen Leopold und Josefine das viele Jahre zuvor gegründete Kaffeehaus.

Josefine buk jeden Tag ihre berühmten Buchteln, die sie kurz nach Mitternacht an die anwesenden Gäste verkaufte. Warum sie das machte, weiss niemand, war es der „Gute Nacht Stupfer“ für die Gäste, um endlich heimzugehen? Immerhin war ihr Mann Leopold morgens immer schon ab sechs Uhr im Geschäft. Von Josefine wird erzählt, dass sie an ihrem letzten Lebenstag abends noch Buchteln gebacken hätte und sich dann zum Sterben ins Bett begeben hätte. Leopold Hawelka sass während seiner letzten Lebensjahre an seinem Stammplatz. Die Melange vor sich und mit der Grandezza des nie alternden Patrons.

Im Jahr 1975 schrieb Georg Danzer seinen berühmt gewordenen Song „Jö schau“, die Hommage an den „bekanntesten Flitzer von Wien“, der auch dem Hawelka seine Aufwartung machte.

Und zu guter Letzt, das Tomaselli Stüberl in Salzburg. Zurzeit vom Wolferl Amade Mozart kehrte wahrscheinlich die Hausangestellte von Anna Maria Mozart auf dem Weg vom Grünmarkt nach Hause in die Getreidegasse dort ein. Das Stüberl des noblen Cafés öffnete früher als das Haupthaus, um vor allem den Bauern eine Möglichkeit zu geben, sich aufzuwärmen und nasse Kleider zu trocknen. Alles wurde ein wenig unspektakulärer serviert, zu deutlich günstigeren Preisen. Wir hatten ebenfalls nur das Geld für das Stüberl. Es war gemütlich, die Qualität war hervorragend.

Weltliteratur wurde hier nicht geschrieben, auch die grosse Politik fand nicht statt. Aber das Tomaselli Stüberl war Teil der Salzburger Studentenkultur der 70er Jahre.

Ich bitte alle anderen wunderbaren Städte mit ebenso wunderbaren Kaffeehäusern um Vergebung, dass ich sie nicht nenne, es liegt nicht an meiner Missachtung. Ich kenne die wunderbaren Plätze einfach nicht, an denen die nettesten, grantigsten, elegantesten, frechsten, höflichsten, devotesten, ….. Kellner versuchen, ihren Gästen das zu verkaufen, was entweder schon leicht abgelaufen ist, oder, was wirklich das Schmackhafteste ist, das man sich vorstellen kann.

 

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