Joachim Fest: Ein Porträt ohne Anlass

Heute, fünfeinhalb Jahre nach seinem zu frühen Tod, fehlt Fests Stimme unverändert.

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Joachim Fest hat seine meisterhafte Skizze über den „Großkritiker“ der frühen Bundesrepublik, Friedrich Sieburg, ein „Porträt ohne Anlass“ genannt. Genauso möchte ich es mit dem im Jahr 2006 verstorbener Hitler-Biograph und ehemaliger FAZ-Herausgeber Joachim Fest halten.

 

Der Sohn eines Berliner Schulrats, der später gern den Großbürger gab, war seit 1963 unermüdlich schriftstellerisch tätig und hat sich mit den Protagonisten des NS-Regimes, mit Adolf Hitler und Albert Speer, den Brüdern Mann, Utopien und der Gefährdung der freien Gesellschaft, Italien, dem Maler Horst Janssen und vielen anderen Gebieten beschäftigt. Ähnlich wie sein Vater engagierte sich Fest im Nachkriegsberlin politisch in der CDU. „Ich hätte aber lieber über die italienische Renaissance oder Thomas Mann gelesen“, sagte er mir in einem persönlichen Gespräch, das ich als Chefredakteur der Zeitschrift Criticón im Frühjahr 2005 mit ihm führte. Eine tiefe Abneigung gegen verrauchte Hinterzimmer und kleinkarierte Kungelrunden hat sich Fest zeitlebens bewahrt. Daher teilte er – zusammen mit seinem früheren Bekannten Rüdiger Altmann – die ins Ästhetische gehende Abneigung gegen Helmut Kohl, dessen provinzieller Politikstil ihm immer fremd geblieben ist.

 

Die Buchveröffentlichung „Das Gesicht des Dritten Reiches" war ein „Katalysator" für seine Karriere, noch stärker als das 1973 erschienene Hitler-Buch, da viele Intellektuelle anschließend den Kontakt zu ihm suchten, unter anderem Hannah Arendt und Waldemar Besson. Der Stil von Eugen Kogons „SS-Staat" hatte Fest beeindruckt. Fortan mühte auch er sich um besondere Kühle bei der Schilderung der NS-Zeit, da man dem Phänomen des Nationalsozialismus nur mit einem naturwissenschaftlichen Blickwinkel zu Leibe rücken könne, so seine Auffassung. Das „moralinsaure Geseiere", mit dem vor allem die heutigen Fernsehhistoriker auftrumpften, war ihm stets ein Greuel.

 

Fest schrieb zeit seines Lebens gegen die deutsche Realitätsverneinung an. Anders als beispielsweise Günter Grass und andere linke Gutmenschen mit und ohne Pfeife ist er nie Nazi gewesen. Davor hat ihn sein Elternhaus, insbesondere sein Vater bewahrt, dem er ein spätes literarisches Andenken errichtet hat. Die Fests waren preußisch, bürgerlich, katholisch. Auch wenn Fest zumindest in der Öffentlichkeit aufs Großbürgerliche und Konservative abonniert war, ist sein Schaffen doch Ausweis einer großen Liberalität, von der wir uns auch heute eine Scheibe abschneiden können – insbesondere in der journalistischen Zunft, wo Liberalität oft mit dem Blasen ins Horn des Zeitgeistes verwechselt wird.

 

Fest lebte immer mit dem Zweifel, nie gegen ihn. Auch diese Lebensweisheit seines alten Deutschlehrers Kiefer kann heute noch als Richtschnur dienen. Die Unerquicklichkeit unserer politischen und publizistischen Debatten speist sich auch daraus, dass man dem anderen, dem Widersacher oder Gegner oft zu leichtfertig abspricht, auf seine Weise das Richtige tun und denken zu wollen.

 

Auf die Frage der Wochenzeitung Die Zeit, ob er sich als Konservativer fühle, antwortete Fest: „Ja, auch wenn ich überall Leute heranrücken sehe, die sich plötzlich selbst als konservativ bezeichnen. In deren Gesellschaft fühle ich mich nicht so furchtbar wohl. Früher stand ich allein da, mit Ausnahme von Wolf Jobst Siedler, Johannes Gross und ein paar anderen. Damit ging es mir besser“. Sicher gibt es viele Renegaten, die nach einem windungsreichen Leben die eigene „rechte“ Gesinnung überbetonen, aber diese Äußerung Fests aus dem Jahr 2004 zeigt auch, dass Fests Konservatismus vor allem ein ästhetischer war – dies hatte er mit den beiden anderen genannten Publizisten gemein. Fests und insbesondere Siedlers Konservatismus wirkt daher vor allem melancholisch.

 

Denkt man an Joachim Fest, dann fallen einem vor allem Begriffe wie Distanz, Formbewusstsein, Stilsicherheit, Würde ein, vielleicht auch – ins Negative gewendet – Arroganz. Schon seine ganze Erscheinung – manchmal ins Manirierte kippend – war singulär. Wo findet man unter den heutigen Journalisten in Funk, Fernsehen und in den Print-Medien noch solche stolzen, unbeugsamen, eleganten und gut aussehenden Journalisten konservativer Couleur, denen die Gegner ganz einfach nichts anhaben können, weil sie ihr Lebenswerk gleichsam unantastbar macht?

 

„Konservatismus ist keine Sache des Zeitgeistes“, so lautete Fests Definition des schillernden Begriffs. „Er geht von einigen für ihn unbezweifelbaren Prämissen aus: dass die Welt unvollkommen, der Mensch schwach und das Böse eine Macht ist; dass alle Geschichte nur ein Treiben in immer anderen Kostümen ist; dass alle innerweltlichen Verheißungen an einem irrigen Menschenbild kranken. Er will das Bewährte festhalten, ohne sich der Zukunft zu verschließen, ist aber nicht bereit, jeden Preis dafür zu zahlen. Der Konservative nimmt überall die Unterschiede wahr, sieht die Bedingtheit der Verhältnisse und ist folglich der geborene Skeptiker. Nichts hält er für gefährlicher als ständig neu auftauchende Ideen, zumal bei den Geistesschwärmern, die nur eine haben“.

 

Heute, fünfeinhalb Jahre nach seinem zu frühen Tod, fehlt Fests Stimme unverändert.

 

 

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