IPCC WGII SPM: Ein Ratespiel im Zwielicht der Halbwahrheiten

Selten hat mich ein IPCC-Dokument ratloser zurückgelassen. Die hohe Kunst, bloße Vermutungen hinter komplizierten Formulierungen zu verstecken, hat man diesmal auf die Spitze getrieben.

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Letztes Jahr hagelte es bei uns. Hagel im Allgemeinen ist zwar nicht ungewöhnlich, in der Heftigkeit von damals aber schon. Bis zu tennisballgroße Körner fielen vom Himmel, produzierten ein paar Dellen im Auto und zerschlugen eine Handvoll Dachziegel. Das erlebt man eben auch nur einmal pro Dekade. Oder so. Alles war übrigens versichert, wurde schnell reguliert und repariert. Ich hatte es schon vergessen. Denn es gibt wichtigeres.

Erst als die Ergebnisse der zweiten Arbeitsgruppe (“Working Group II (WGII)”) des zwischenstaatlichen Ausschusses zum Klimawandel der Vereinten Nationen (“Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)”) vor einigen Tagen öffentlich wurden, erinnerte ich mich wieder an den Hagel. Der eigentliche Report ist jetzt auch verfügbar, gelesen habe ich aber nur die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger (“Summary for Policymakers (SPM)”). Und in dieser heißt es dann sinngemäß, mit solchen Extremwetterereignissen wie dem Hagel müsse man in Zukunft wohl häufiger rechnen. Wegen des Klimawandels, des menschgemachten, jedenfalls mutmaßlich menschgemachten, wahrscheinlich “very likely” mit “high confidence” menschgemachten. Gut, über den Hagel in meiner Gegend steht da eigentlich konkret nichts. Aber aus dem Zusammenhang des geschriebenen glaube ich entnehmen zu können, daß es dachziegelbrechende Hagelkörner bei mir “more likely than not” mit “medium confidence” häufiger geben könnte. Bei einem Grad Erwärmung. Bei zwei oder mehr Grad natürlich auch, aber dann wohl eher “likely” bei “medium confidence”. Oder vielleicht “unlikely” bei “high confidence”? Also gut, kommt der extreme Hagel dann eben zweimal pro Dekade statt nur einmal – bei welchem likely- oder confidence-level auch immer – es interessiert mich nicht. Ich bin versichert (“virtually certain”), das Auto ist bis dahin ohnehin durch ein neues ersetzt und vielleicht frage ich meinen Dachdecker nach stabileren Ziegeln. Mir ist der blöde Hagel doch völlig egal. Es gibt wichtigeres.

Ich muß zugeben: Selten hat mich ein IPCC-Dokument ratloser zurückgelassen. Die hohe Kunst, bloße Vermutungen hinter komplizierten Formulierungen zu verstecken, hat man diesmal auf die Spitze getrieben. Man unterscheidet zwischen Evidenz, Übereinstimmung zwischen den beteiligten Autoren (“Agreement”), “Vertrauen in die Validität” und Eintrittswahrscheinlichkeit in jeweils drei bis zehn Abstufungen, die durch unterschiedliche Kombinationen von “likely” oder “confidence” mit diversen Adverbien (“more”, “very” u.ä.) verdeutlicht werden sollen. Was dem Leser einen erheblichen Entschlüsselungsaufwand abverlangt. Klare Formulierungen nach dem Schema “in Afrika werden in 2020 zwischen 75 und 250 Millionen Menschen aufgrund des Klimawandels unter Wassermangel leiden”, wie sie im 2007er Bericht noch an der Tagesordnung waren und die man offensiv hinterfragen konnte, fehlen nun völlig. Nun ist alles nur noch Spekulation. Likely. Oder sollte ich besser sagen: Geraten? High confidence.

Ein paar Fortschritte gibt es immerhin. Man weicht – endlich – von der offiziellen UN-Sprachregelung ab. Diese unterscheidet ja feinsinnig zwischen “Klimawandel” (anthropogen) und “Klimavariabilität” (natürlich). Als würde letztere sich über die Zeit automatisch ausgleichen und könnte nicht auch langanhaltende Trends verursachen. Die Arbeitsgruppe 2 hingegen will nun unter “Klimawandel” alles subsummiert verstanden wissen. Menschgemachte Veränderungen in der Zusammensetzung der Atmosphäre ebenso, wie die Sonne oder die Vulkane. Das ist ein geradezu skeptischer Ansatz. Und man bleibt dort nicht stehen. Nein, man räumt zwei Dinge ein. Erstens könne ein Klimawandel durchaus auch positiv zu bewertende Folgen aufweisen („benefits“ – auch dies fand sich nicht so deutlich in der Zusammenfassung des Jahres 2007) und zweitens sei das Klima bereits heute manchmal nicht nett zu uns. Risiken wie Hochwasser, Dürren, Stürme und mein Hagel – die gibt es ja schon. Ja, das hat man jetzt festgestellt. “Virtually certain” mit “very high confidence”. Im Prinzip hat uns die Zukunft auch nur das zu bieten, mit dem wir schon immer leben müssen. Schlechtes Wetter. Wobei mein Dachdecker den Hagel wahrscheinlich nicht so schlimm fand. Und die KFZ-Werkstätten in der Umgebung wohl auch nicht. Was schlechtes Wetter ist, liegt eben in der individuellen Einschätzung. Wenn es im Sommer viel regnet, freut sich der Landwirt. Wenn nicht, freuen sich die Ausflugslokale. Man kann es einfach niemandem recht machen, als Klima meine ich. Very likely. High confidence.

Okay, okay, ich will es auch nicht verharmlosen. Wenn Überflutungen Infrastrukturen (Straßen und Versorgungsnetze) zerstören, Wirbelstürme Häuser vernichten oder Dürren für Trinkwassermangel sorgen, dann ist das schon ein Problem. Aber es ist eben kein neues. Man sollte Infrastrukturen und Häuser stabiler und die Wasserversorgung robuster gestalten. Genau darum geht es ja auch in dem neuen Bericht. Um die Notwendigkeit und die Möglichkeiten, sich anzupassen. An destruktive natürliche Einflüsse. Die zentralen Botschaften der Zusammenfassung finden sich nach meiner Meinung in Tabelle 1. Hier sind für jede Region die Schlüsselrisiken aufgeführt, gemeinsam mit dem zukünftigen Risikoniveau und den Möglichkeiten, dieses durch Anpassung zu vermindern. Die Abbildung zeigt den Ausschnitt für Europa gemeinsam mit der erläuternden Legende.

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Die Frage, wie die Länge der orangenen Balken bestimmt wurde, bleibt offen. Es ist vermutlich eine “Expertenabschätzung”, mehr oder weniger durch eine Art “Abstimmung” zwischen den Autoren entstanden. Eine Plausibilitätsbetrachtung mit einem großen Anteil an Willkür. Wichtig ist der Balken für “Present”. Er zeigt die Klimarisiken der Gegenwart, sozusagen die Basislinie, ganz ohne weitere Erwärmung. Ziemlich hoch, finde ich. Aber wir leben damit. Und fühlen uns wohl. Sagen zumindest die Klimaschützer, die ja sehr darauf aus sind, genau diesen Zustand zu erhalten. Also nenne ich ihn den “akzeptierten Zustand”. Und ziehe eine rote Linie (die stammt nämlich von mir und ist im Original nicht vorhanden) von diesem ausgehend in die Zukunft. Siehe da: Mit entsprechenden Anpassungsmaßnahmen könnte man diesen Zustand auch in Zukunft erreichen. Ganz ohne Vermeidung, ganz ohne Energiewende, stattdessen mit Glühbirnen, schnellen Autos und Flugreisen in den Urlaub. Puristen mögen einwenden, dies stimme zumindest nicht für das extreme Szenario einer Erwärmung von vier Grad bis 2100. Und Aktivisten mögen kontern, für ärmere Regionen, die sich Anpassung kaum leisten könnten, stimme das gar nicht. Im nächsten Bild daher derselbe Ansatz für Afrika.

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Man komme mir jetzt nicht damit, die orangefarbenen Balken wären doch nur qualitativ zu sehen und orientierten sich an einer groben dreistufigen Einteilung. Denn für die schraffierten Bereiche gilt dies offensichtlich nicht. Man hat deren Länge sehr genau auf ein Maß begrenzt, das in vielen Fällen nicht ermöglicht, steigende Klimarisiken durch umfassende Anpassungsmaßnahmen vollständig abzudecken. Damit man auch ja nicht auf die Idee kommt, Anpassung allein könne genügen. An mehreren Stellen im Text wird dagegen das Mantra wiederholt, Vermeidung und Anpassung würden sich sinnvoll ergänzen. Vermeidung wäre notwendig, um die Risiken auf zumindest das Ausmaß zu begrenzen, das mittels Anpassung auf den Gegenwartswert zurückgeführt werden könne. Hier liegen zwei schwerwiegende Fehleinschätzungen vor:

     

  • Zunächst sind Anpassung und Vermeidung sich widersprechende Strategien, was ich bereits in dieser Analyse herausgearbeitet hatte. Auch enthält Anpassung als wesentliches Moment die aktive Nutzung der positiven Folgen des Wandels (etwa eine Verbesserung der Trinkwasserversorgung, die Verlängerung von Vegetationsperioden, die Ausweitung der Zahl anbaubarer Feldfrüchte, der Rückgang an Kältewellen und Frostperioden, der bessere Zugang zu Bodenschätzen und die Eröffnung neuer Transportwege – in jeweils bestimmten Regionen, um nur einige Beispiele zu nennen). Vermeidung hingegen vermindert nicht nur Risiken, sondern auch Chancen. Während Anpassung Werte schafft und erhält, reduziert Vermeidung die Optionen.
  • Zusätzlich ist vollkommen unklar, welche Möglichkeiten der Anpassung in den einzelnen Weltregionen in Zukunft überhaupt gegeben sind. Einerseits betrifft dies die Quantität, also schlicht das Wohlstandsniveau der betroffenen Gesellschaften. Andererseits aber auch die Qualität, beispielsweise die zur Verfügung stehenden Technologien. Wir wissen einfach nicht, in welchem Ausmaß unsere Nachfahren auf Konzepte und Systeme zurückgreifen können, mit denen beispielsweise Landwirtschaft, Wasserversorgung, Mobilitäts- und Kommunikationsinfrastrukturen oder auch Wohnraum neu und robuster gestaltet werden können. Bereits heute kommt ja – um nur ein Beispiel zu nennen – ein großer Teil unserer Nahrung nicht mehr „vom Acker“. Sondern aus chemischen Laboratorien, großen Treibhäusern, aus Ställen oder aus Fischfarmen, in denen künstliche Bedingungen völlig unabhängig von Wetter, Witterung und Klima jederzeit optimale Wachstumsvoraussetzungen und hohe Produktivität auf kleiner Fläche gewährleisten. Wer weiß schon, wie das in fünfzig oder hundert Jahren aussieht. Vielleicht kommen die Steaks dann aus dem Drucker, ohne Tiere dafür aufziehen und schlachten zu müssen. Möglicherweise ist eine Anpassung der heutigen Landwirtschaft an einen Klimawandel allein schon deswegen nicht mehr notwendig, weil eine Landwirtschaft nach heutigem Muster nicht mehr existiert.
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Zugegebenermaßen ist es schwierig, derlei Entwicklungen seriös in Szenarien abzubilden. Was man aber abschätzen kann, ist das künftige Wohlstandsniveau. Gemäß IPCC hat die Menschheit durch die Verbrennung von Kohlenwasserstoffen den Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre seit 1850 von etwa 280 ppm auf etwa 400 ppm gesteigert. Um in den Bereich von 650 oder mehr ppm zu kommen, der für eine Erwärmung von etwa 4 Grad notwendig wäre, ist also noch einmal etwa die doppelte Menge an Erdöl, Erdgas und Kohle zu verfeuern, wie in den letzten 150 Jahren. Das erfordert massive Anstrengungen. Die nicht ohne Wirkung bleiben, denn wir nutzen die fossilen Brennstoffe schließlich nicht zum Spaß. Sondern um dadurch Wertschöpfung zu generieren.

Im IPCC-Bericht des Jahres 2007 bildeten sozioökonomische Szenarien, die denkbare Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft beschrieben, den Ausgangspunkt zur Kalkulation der künftigen Emissionen. Im aktuellen Bericht fehlen diese (bislang). Ich greife daher beispielhaft auf eines der alten zurück (Quelle: Special Report Emission Scenarios SRES, in dem sich weitere Erläuterungen dazu finden). Ausgewählt habe ich das sogenannte „A1G AIM“, das erstens zu vier Grad Erwärmung führen könnte und mir zweitens hinsichtlich der Projektionen der künftigen Entwicklungen von Weltbevölkerung, Energiebedarf und Energiemix plausibel erscheint. Die beiden folgenden Abbildungen charakterisieren das Szenario hinsichtlich dieser Parameter. Unter „OECD 90“ sind dabei die Länder subsummiert, die in den 1990er Jahren als Industrie- bzw. Schwellenländer angesehen wurden – China und Indien gehörten damals noch nicht zu dieser Gruppe.

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Erdgas wird in diesem Szenario der mit Abstand wichtigste Primärenergieträger. Unter „andere NIEs“ sind Wasser, Wind, Sonne und Geothermie zusammengefaßt. Noch einmal zur Verdeutlichung: Wer auch immer glaubt, dies wäre aufgrund irgendeines „Peak Fossil“ kaum vorstellbar, der braucht sich vor vier Grad nicht zu fürchten. Denn ohne eine solche oder ähnliche Entwicklung (bspw. weniger Gas und dafür mehr Kohle) wird das nichts mit der Klimakatastrophe.

Die nächsten beiden Diagramme zeigen die mit dem künftigen Energieverbrauch konsistente Entwicklung des jährlichen globalen Bruttosozialproduktes in der Summe und pro Einwohner (inflationsbereinigt auf die Kaufkraft des Jahres 1990).

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Ja, das ist die Botschaft, die scheinbar niemand hören will. Auf die auch das Publikum bei der Debatte in Berlin nicht reagiert hat. Die warme Welt wird eine reiche Welt sein. Steinreich. Ein Einwohner eines Landes, das uns heute noch als Entwicklungsland erscheint, wird im Jahr 2100 im Durchschnitt mehr als dreimal so viel erwirtschaften, wie ein Bewohner eines Industrie- oder Schwellenlandes in der Gegenwart. Unser Einkommen wird sich mehr als verdreifachen, das in den Entwicklungsländern aber um einen Faktor zwanzig bis dreißig erhöhen. Der Unterschied zwischen arm und reich sinkt deutlich, von „Entwicklungsländern“ im klassischen Sinn wird man ab Mitte des Jahrhunderts kaum noch sprechen können.

Wer über das Potential der Anpassung an den Klimawandel sinniert, hat dies zwingend zu berücksichtigen. Die Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeitsgruppe II bietet in dieser Hinsicht nur die halbe Wahrheit. Szenarien als Grundlage für die politische Entscheidungsfindung sind nichts wert, wenn sie nicht in sich konsistent sind und Aussagen über alle wichtigen Parameter beinhalten. Einmal mehr liegt der Verdacht nahe, Willkür habe gewaltet, um die Fähigkeiten zur Anpassung unterschätzen zu können.

Tatsächlich ist das Ergebnis des Berichtes aus meiner Sicht nicht geeignet, um weiter angstbasierte politische Maßnahmen zu stützen. Stattdessen zeigt er auf: Was auch immer ein mutmaßlich menschgemachter Klimawandel an Risiken mit sich bringen könnte ist beherrschbar. Heute und in Zukunft. Ich könnte mir stabilere Dachziegel leisten. Der Afrikaner wird das auch können – bald. Wenn er denn endlich Zugang zu preiswerter Energie in ausreichender Menge bekommt. Hagelstürme interessieren dann niemanden mehr. Und auch in allen seinen anderen Facetten kann das Wetter wieder auf seine eigentlich Bedeutung zurückgestuft werden: Lückenfüller zu sein zur Aufrechterhaltung langweiliger Konversationen. Denn es gibt wichtigeres. Very Likely. High Confidence.

Ebenfalls erschienen auf science-skeptical.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Florian Hohenwarter

Wer nimmt den diesen ganzen Klimaschwachsinn noch ernst, außer diejenigen, die davon Profitieren??? Diese ganzen Pseudowissenschaftler müssen doch alles so uminterpretieren, damit sie möglichst viel Angst und Hysterie verbreiten können, um wieder genug Forschungsgelder zu erhalten. Und ein paar leichtgläubige Dogmatiker springen auch noch auf den Zug auf. Und selbst wenn das Klima um 5 Grad Celsius in den nächsten 100 Jahren steigen sollte, als ob wir das heutzutage nicht beherrschen könnten?? Das Klima hat sich schon immer und wird sich auch immer verändern.

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