Im Zweifel für den Angeklagten

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Vor einigen Tagen erreichte mich eine Mail eines prominenten Klimaforschers. In dieser bezeichnete er mich als Beispiel für einen “politisch motivierten Skeptiker”. Der genaue Zusammenhang ist hier uninteressant. Es ging aber nicht darum, meine Haltung zu kritisieren. Vielmehr schien es ihm eine völlig zutreffende und in keiner Weise wertende Beschreibung zu sein. Mein erster Impuls war Zustimmung. Erst nach einigem Nachdenken kam mir der Gedanke, “politische Motivation” könnte auch völlig falsch verstanden werden.

Das Weltbild eines typischen Alarmisten ist ziemlich simpel (Bild 1). Die Menschen emittieren Treibhausgase und seien daher schuld an der kommenden Klimakatastrophe. Eine auf Dekarbonisierung zielende wäre also zwingend erforderlich. Determiniert wird die gesamte dogmatische Kette ausschließlich durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse, denen sich politisches Handeln zu unterwerfen habe.

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Mein Weltbild als Skeptiker ist etwas vielfältiger (Bild 2). Es gibt – kurz gesprochen – unterschiedliche Möglichkeiten der Interpretation der Faktenlage. Die Zukunft ist nicht vorhersehbar. Viele verschiedene Szenarien erscheinen plausibel und unter jeder dieser Möglichkeiten können unterschiedliche politische Strategien in Betracht gezogen werden.

So ist bereits im ersten gedanklichen Schritt die Frage nach fehlendem Wissen über das Klimasystem zu stellen. Können natürliche, vom Menschen nicht zu beeinflussende Faktoren ausgeschlossen werden, die auf vergleichbaren Zeitskalen in vergleichbaren Ausmaßen wie anthropogene Emissionen wirken? Möglicherweise konterkarieren natürliche Prozesse den Einfluß der Treibhausgase – man denke nur an die Stagnation der mittleren globalen Temperatur über die letzten 15 Jahre. Möglicherweise existieren Faktoren, durch die sich die bodennahen Luftschichten auch dann weiter erwärmen, wenn wir unsere Emissionen radikal senken. In jedem Fall wäre die Entwicklung des Klimas nicht primär von menschlichen Einflüssen abhängig. Nicht zu handeln könnte uns unvorbereitet in die Katastrophe laufen lassen. Auf der anderen Seite wäre eine konsequente Vermeidungspolitik vielleicht konsequent nutzlos.

Vorteile bieten in jedem Fall Anpassungsmaßnahmen. Solche schützen uns gegenüber destruktiven natürlichen Kräften. Ganz gleich, ob diese sich verstärken oder häufiger auftreten, oder nicht.

Wenn man allerdings zu der Überzeugung gelangt, die klimatische Entwicklung der kommenden Jahrzehnte wäre nahezu vollständig durch unsere Kohlendioxidproduktion determiniert, sollte man in die Details gehen. Was genau geschieht eigentlich? Wie würde sich eine “Klimakatastrophe” denn äußern? Wird das Wetter schlechter – oder schöner? Und für wen und wo? Globale Mittelwerte interessieren in der Praxis nicht. Menschen sind überall auf der Welt in unterschiedlichem Ausmaß an die regionale Witterung angepaßt. Wer nicht sagen kann, ob Infrastrukturen, Produktionsketten und Wohnstätten regional und lokal bereits robust genug sind oder nicht, kann nicht zwingend von einer Überbeanspruchung ausgehen. Allein die genaue Kenntnis der Folgen bis hinunter auf diese Ebene rechtfertigt den nächsten Schritt.

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Durch den man die Ebene des naturwissenschaftlichen Primates verläßt. Denn zu einer Katastrophe gehören immer zwei Parteien. Es sollte jemanden geben, der die Klimakatastrophe auch als eine solche empfindet. In dieser und allen weiteren Fragen übernehmen Ökonomie und andere gesellschaftswissenschaftliche Disziplinen die Meinungsführerschaft.

Meine Großmutter wurde geboren, als Kaiser Wilhelm II. über das Deutsche Reich herrschte. Sie starb unter einer Bundeskanzlerin Angela Merkel. Man führe sich vor Augen, welche Veränderungen und Umwälzungen in sozialer, politischer, ökonomischer und technologischer Hinsicht sie erlebt hat. Während ihrer gut hundert Jahre haben sich die bodennahen Luftschichten – so sagen es entsprechende Datenreihen – grob gerundet um etwa 1 Grad Celsius im globalen Mittel erwärmt. Das allerdings hat sie nicht nur nie interessiert, es hat sie auch nicht tangiert. Was wohl für alle ihre Zeitgenossen rund um den Globus ebenfalls zutraf. Man hatte schlicht anderes zu erledigen, es gab bei weitem wichtigere Dinge. Das Gespenst einer Erwärmung um weitere zwei bis drei Grad im kommenden Jahrhundert verliert bei dieser Betrachtung seinen Schrecken. Schließlich sind wir heute reicher als je zuvor und auch besser gerüstet. Wir bauen Infrastrukturen und technische Systeme, die in allen Klimazonen funktionieren. Da soll eine Verschiebung derselben um einige hundert Kilometer nach Norden ein Problem darstellen? Die Anpassung von Fruchtfolgen in der Landwirtschaft kann binnen Jahresfrist gelingen, der Einbau von Klimaanlagen in unsere Häuser geht schneller. Wie weit (und wann) würde denn ein Klimawandel die Witterung spürbar aus dem Bereich verschieben, auf den wir uns in den mittleren Breiten mit sehr unterschiedlichen Jahreszeiten ohnehin schon eingerichtet haben? Mehr als schlechtes Wetter haben wir nicht zu befürchten und was schlechtes Wetter ist, entscheidet sich auf eher individueller Ebene. Welches Ausmaß an Spekulation in der Abschätzung der Kosten einer Klimaveränderung steckt, hat Günter Heß hier aufgezeigt.

Ach ja, die Armen. Sicher, so das oft gehörte Argument, für Deutschland beziehungsweise für die entwickelte Welt sei der Klimawandel vielleicht keine Katastrophe. Aber für die armen Länder schon. Dort gäbe es eben keine ausreichend robuste Lebenswelt.

Die menschgemachte Klimakatastrophe entsteht allerdings keineswegs von selbst. Wir müssen uns mächtig anstrengen, ausreichend Kohlendioxid in die Atmosphäre zu blasen. Und dazu sind große Mengen fossiler Rohstoffe zu fördern und zu verbrauchen. Was nicht zum Spaß geschieht, sondern um Wertschöpfung zu ermöglichen und Wohlstand zu schaffen. Die IPCC-Projektionen einer richtig warmen Welt sind auch gleichzeitig die einer richtig reichen. In diesen Szenarien wird sich der Unterschied zwischen Arm und Reich enorm vermindern. Wenn wir so weitermachen wie bislang, könnte ein Bewohner eines Entwicklungslandes in einhundert Jahren so reich sein, wie der durchschnittliche Deutsche heute. In einer entsprechend stabilen Gesellschaft mit den üblichen sozialen Errungenschaften.

Man sieht: Was einige Wissenschaftler als Klimakatastrophe bezeichnen, muß noch lange nicht als eine solche wahrgenommen werden. Eine warme Welt ist denkbar, in der der Temperaturanstieg für das Leben der Menschen ähnlich irrelevant ist, wie er es für meine Großmutter war. Angelehnt an einen alten Sponti-Spruch: Stell’ Dir vor es ist Klimawandel – und keiner bemerkt’s.

Aber gut. Sagen wir mal, bis hierhin sei alles abgesichert. Es wird den menschgemachten Klimawandel geben und er wird schrecklich sein. Wir werden alle sterben. Unter diesen Umständen sind dann eben doch restriktive Maßnahmen zur Einschränkung von Emissionen zu ergreifen. Oder?

Maßnahmen dieser Art sind selbst nicht ohne Risiko, das man an dieser Stelle zu beachten hat. Schließlich verlangt eine umfassende Dekarbonisierung genau die radikale Änderung unserer Lebensweise, wie sie euphemistisch als “Große Transformation” beschrieben werden. An erster Stelle steht der Verzicht auf die Nutzung fossiler Kohlenwasserstoffe. Diese müssen ab sofort im Boden bleiben. Geeignete Substitute in Menge und Wirtschaftlichkeit gibt es aber nicht. Gefordert wird also letztendlich nicht einfach nur ein “klimafreundliches Leben”, sondern Verzicht. Verzicht auf Konsum, Verzicht auf Produktion, Verzicht auf Mobilität und Kommunikation. Dekarbonisierung bedeutet im Prinzip mehr Aufwand für weniger Ertrag. Die Wertschöpfungsmöglichkeiten, die mit fossilen Kohlenwasserstoffen entlang der gesamten Kette vom Bergbau bis zum Endverbraucher verbunden sind, fallen einfach weg. Das kostet viel Geld und schränkt unsere Entwicklungsmöglichkeiten radikal ein.

Kostet es mehr oder weniger, die Katastrophe einfach auszusitzen? Wie wertet man eigentlich – unter den von mir abgelehnten Prinzipien der Nachhaltigkeit und Vorsorge gegenüber kommenden Generationen – die Menge an potentiellen “Klimatoten” gegenüber der Menge an Menschen, die bei strikter Dekarbonisierung nicht einmal geboren würden?

Aber gut. Sagen wir mal, der (vielleicht nur vorübergehende) Rückfall ins Mittelalter wäre weniger schlimm, als der andernfalls sichere Weltuntergang. Ist denn eine solche Vermeidungsstrategie überhaupt umsetzbar? Kann sie funktionieren?

Keines der derzeit vorgeschlagenen oder etablierten Instrumente kann funktionieren, wenn es nicht global in jedem relevanten Wirtschaftsraum implementiert wird. “Carbon Leakage” ist hier das neudeutsche Stichwort. Unternehmen werden auf die Möglichkeiten der Gewinnerzielung niemals verzichten, denn das ist ihr primärer Lebenszweck. Wo Energie teurer wird, weicht man schlicht auf andere Regionen aus, die in dieser Hinsicht einen Vorteil haben. Die Emissionen finden dann vielleicht nicht mehr in Deutschland statt. Sondern irgendwo anders. Am Beispiel der Energiewende zeigt ein Papier der Deutschen Bank diesen Prozeß deutlich auf. Der Emissionshandel wird, falls man sich jemals zu einer konsequenten Gestaltung durchringt, ähnliche Effekte zeigen und eine Kohlenstoffsteuer ohnehin. Große Konzerne machen hier den Anfang, insbesondere aus der energie- und kohlenstoffintensiven Grundstoffindustrie. Sie beginnen mit Investitionen in Werke anderswo und unterlassen es, ihre deutschen Standorte zu pflegen und zu erhalten. Wichtige Zulieferer, beispielsweise aus dem Maschinen- und Anlagenbau, werden gezwungen, sich ähnlich zu verhalten, wollen sie ihre Kunden nicht verlieren. Weitere Teile der Wertschöpfungskette brechen auf diese Weise weg. Wer nicht mobil genug ist oder es nicht sein kann, wird eines langsamen Todes sterben. Am Ende importieren wir Stahl, Zement, technische Keramik, Glas und die meisten Erzeugnisse der chemischen Industrie schlicht aus dem Ausland. Wo diese Dinge bei weit niedrigeren Standards hergestellt werden, von Effizienz über Umwelt bis Arbeitssicherheit. Eine Kettenreaktion kommt in Gang, die den Industriestandort Deutschland unaufhaltsam vernichtet. Unsere auf diesem Wege erzielten Emissionsminderungen werden durch Steigerungen andernorts mehr als aufgewogen. Dem Klima ist nicht geholfen – ganz im Gegenteil.

Nach mehr als zwanzig Jahren vergeblicher Klimadiplomatie sollte man die Unmöglichkeit einer globalen Implementierung strikter Regulierungen endlich als durchaus denkbar berücksichtigen. Solange mehr als vierzig Länder auf diesem Planeten wesentliche Teile ihres Sozialproduktes durch die Förderung und den Verkauf fossiler Kohlenwasserstoffe verdienen, erscheint die Hoffnung in künftige Klimagipfel als Utopie.

Man sieht: Unter jedem denkbaren Szenario ist “Anpassung” eine geeignete Strategie. Ich habe bereits hier dargelegt, daß dieses Konzept in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von Vermeidung darstellt. Man kann sogar den Unterschied zwischen “Anpassung” und “Nichthandeln” in Zweifel ziehen. Denn Anpassung bedarf keiner zusätzlichen politischen Regelsetzung. Sie findet auf lokaler und regionaler Ebene von selbst statt, solange man den Menschen vor Ort ausreichend Freiräume und Möglichkeiten gestattet.

Dies ist mein Verständnis eines “politisch motivierten” Skeptizismus. Es geht nicht um einen Kampf zwischen verschiedenen Glaubenssystemen, einen Kampf zwischen verschiedenen Ideologien. Man würde dann nur das eine Glaubensbekenntnis durch ein anderes, den einen Alarmismus durch einen anderen ersetzen. Es gilt vielmehr, der politischen Instrumentalisierung von Wissenschaft entgegenzutreten.

Die Erhöhung der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre durch menschliche Aktivitäten führt eben nicht zwangsläufig in eine Katastrophe. Die Idee, eine auf die Vermeidung dieser Gefahr ausgerichtete Politik wäre alternativlos, ist daher nicht haltbar. In der Wissenschaft geht es um die Unterscheidung von “richtig” oder “falsch”. Politik dagegen kennt solche Kriterien nicht. Sie ist die Kunst, zwischen verschiedenen Interessen auszugleichen. Die “politisch motivierte” Skepsis bietet eine Hilfestellung für letzteres. Indem sie einen anderen Blick auf die Faktenlage ermöglicht, rational und frei von ideologischer Verblendung.

In meiner Jugend konnte man im Fernsehen dem fiktiven Strafverteidiger Tony Petrocelli (gespielt von Barry Newman) bei der Arbeit zusehen. Alle seine Mandanten standen unter Mordverdacht. In jedem Fall gab es einen lückenlosen Indizienbeweis, der Zweifeln an ihrer Schuld keinen Raum ließ. Trotzdem erwirkte Petrocelli immer einen Freispruch. Nicht etwa durch die Ermittlung des wahren Schuldigen. Seine Strategie bestand allein darin, Zweifel bei den Geschworenen zu wecken. Er präsentierte ihnen in seinem Plädoyer einfach eine andere, eine alternative Geschichte über den Verlauf des Verbrechens. Die er zwar nicht beweisen konnte, die sich aber ebenso lückenlos wie die Hypothese der Staatsanwaltschaft aus den bekannten Fakten ableiten ließ.

Wenn man keine Möglichkeit hat, zweifelsfrei zwischen mehreren differierenden Szenarien zu unterscheiden, kann man eben keines von diesen verwerfen. Wir Menschen stehen heute in derselben Situation, wie die Klienten Petrocellis. Man klagt uns an, wir wären schuldig. An einem Ereignis, das erst in der Zukunft stattfinden soll. An der Klimakatastrophe. Aber es ist eben nur ein Indizienbeweis. Basierend auf Hinweisen, die sich ebenso widerspruchsfrei in völlig andere Projektionen einbauen lassen.

Eine Verurteilung wegen Mordes ist ein tiefgreifender und nicht wieder korrigierbarer Eingriff in das Leben eines Angeklagten. Man sollte ihn daher nicht leichtfertig oder emotionsgetrieben vornehmen. In jeder Petrocelli-Folge hat die Jury verantwortlich gehandelt und sich für einen Freispruch entschieden. Weil das letzte, das entscheidende Quentchen Sicherheit fehlte. Niemals hat der Zuschauer am Ende erfahren, ob der Verdächtige wirklich unschuldig war oder nicht.

Das gilt auch für die Klimakatastrophe. Wir werden nicht wissen, ob sie eintritt, bevor sie geschieht. Wir können es nicht wissen. Die Zukunft ist nicht vorhersehbar. Trotzdem hat die Politik kein anderes Bestreben, als tiefgreifende und unkorrigierbare Eingriffe in unser Leben vorzunehmen, deren Berechtigung und deren Nutzen nicht zweifelsfrei feststehen. Hier setzt der politisch motivierte Klimaskeptizismus an, so kann er verstanden werden: Im Zweifel – und das sollte nicht nur in einer Fernsehserie, sondern auch im realen Leben universelle Handlungsmaxime sein – hat man für den Angeklagten zu entscheiden. Alles andere ist nicht akzeptabel.

Beitrag erschien zuerst auf: science-skeptical.de 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Elmar Oberdörffer

Es gibt keinen "Indizienbeweis" für eine durch CO2 oder andere "Treibhausgase" drohende Klimakatastrophe. Die Physik gibt das nicht her, im Gegenteil, sie beweist, daß eine Änderung der CO2-Konzentration keine meßbare Auswirkung auf das Klima haben kann, da die Wirkung des CO2 auf das Klima bereits gesättigt ist.

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