„Ich belehre nicht, ich erzähle“

In Deutschland fehlt es an Reportern wie Peter Scholl-Latour / Das Beispiel Russland und Ukraine

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Die mediale Beobachtung der Krim-Krise läuft, wie schon die Berichterstattung der Maidan-Ereignisse, nach bekannten Mustern: Personalisierung, Emotionalisierung, Überhöhung. Man belehrt, aber es fehlt vielfach die historische Tiefenperspektive und der Blick in die Mentalitäten. Man kann und muß Putin kritisieren, sinnvoller ist es, das Denken und Fühlen russischer Politiker seit dem Untergang der Sowjetunion und mit Blick auf die Krim seit der Zarenzeit zu entschlüsseln. Russen denken historisch, jedenfalls nicht so kurzatmig wie viele Europäer und Amerikaner. Es ist nicht alles Lug und Trug, was Lawrow und Putin sagen und es geht auch nicht nur um den Drang der Russen zu den warmen Meeren, wozu man eben den Hafen auf der Krim braucht. Westliche und das heißt amerikanische  Raketen in der Ukraine brauchen eine Minute bis Moskau. Dass im Kreml diese Befürchtung herrscht, rechtfertigt natürlich nicht den Gebrauch von Gewalt und dass man darauf hinweist, bedeutet noch nicht, Putin zu salvieren. Aber es informiert und verschafft ein besseres Verständnis der Vorgänge in dieser Krise.

Die geopolitische Sicht ist in Deutschland verpönt. Es fehlt auch an Publizisten, die stets die Welt im Blick haben. Einer, der das meisterhaft beherrscht, ist Peter Scholl-Latour. Er hat jahrzehntelang in Bild und Ton aus aller Welt berichtet, ein Kosmopolit, ein Connaisseur aus eigener Anschauung, ein Gelehrter aus Erfahrung. Recherche bedeutete für ihn immer Begegnung mit Menschen, lange Gespräche und Teilnahme an deren Lebens-und Wirkungsstätte. Sein Ansatz ist die Mentalität der Menschen erkennen und in geopolitische Umstände einordnen. So hat er Wissen über den Tag hinaus verdichtet und Denkern wie Schopenhauer widersprochen, die meinten, Journalisten seien nur Tagelöhner des Geistes.

Vielleicht braucht man dafür so eine Biographie wie Scholl-Latour. Denn seine französisch geprägte Herkunft – der Vater in Lothringen aufgewachsen, die Mutter aus dem Elsass, er selbst Fallschirmjäger bei einer französischen Einheit in Indochina – kultivierte er mit einem Studium an der Sorbonne, wo er auch 1954 promovierte, nachdem er bereits ein Diplom am Institut National des Sciences Politiques erworben hatte. Vielleicht ist es diese Prägung französischer Weltläufigkeit, die ihn über den kleinen Tellerrand deutscher Sorgen hinausblicken und zum Beispiel die Klimaschutzdiskussion als „Modethema“ bezeichnen lässt. Auf jeden Fall ist er kein Freund politischer Korrektheiten. In einem seiner Bücher (Lügen im Heiligen Land) gibt PS-L (so zeichnet er selbst) im Vorwort einiges von seinem Denken preis, wenn er schreibt: „Dieses ist ein kontroverses Buch und der Autor ist sich dessen voll bewußt. Um eine Enthüllungs-Story handelt es sich nicht, wohl aber um die Darstellung der Ereignisse im Nahen Osten, die den üblichen Schablonen der ‚political correctness‘ den Rücken kehrt und sich über manches Tabu hinwegsetzt. Am sogenannten investigativen Journalismus war mir nie gelegen, und noch weniger will ich mich in jene Kategorie von Rechercheuren einreihen, die die Franzosen mit dem drastischen Ausdruck „les fouille-merde“ bezeichnen“.

Das ist PS-L pur. So tritt er auf in Talkshows und schockiert Mitdiskutanten mit tabufreien Urteilen, gelegentlich auch mit persönlichen Zurechtweisungen. Natürlich haben Neider und ideologisch Verärgerte versucht, die Institution PS-L zu schleifen, vorzugsweise mit angeblich wissenschaftlichen Methoden. Aber wie will man journalistische Qualität messen? Zurück bleibt, daß die einen ein blasses, korrektes Nahost-Lexikon mit dem Vorwort eines palästinensischen Lobbyisten herausgeben und PS-L lebenspralle Bücher schreibt mit Titeln wie: „Machtproben zwischen Euphrat und Nil“, „Kampf dem Terror – Kampf dem Islam?“, oder auch „Den Gottlosen die Hölle – Der Islam im zerfallenden Sowjetreich“. Und natürlich „Russland.

im Zangengriff“ oder „Eine Welt in Auflösung – vor den Trümmern der neuen Friedensordnung“. Zur Empörung, mit der westliche Politiker auf die Ereignisse in der Ukraine reagieren, sagt er schlicht: “Völlig überzogen, unrealistisch und von  Voreingenommenheit gegenüber Russland geprägt. Vergessen wir nicht: Weder die derzeitige Kiewer Regierung noch der Präsident sind legitimiert. Auch ich halte wenig von dem gestürzten Präsidenten Janukowitsch. Der rechtmäßige Präsident der Ukraine ist er dennoch. Und was die Amerikaner anbelangt: sie sollten nicht zu laut tönen. Sie haben schon dreimal rote Linien gezogen und nicht eingehalten”. Und bei der Krim gelte es zu bedenken, „dass die Schenkung der Halbinsel Krim durch den damaligen Kremlchef Nikita Chruschtschow im Jahr 1954 an die Ukraine ebenfalls den Normen des Völkerrechts nicht entsprochen hat“.

Man kann sich an PS-L reiben. Mit seinen Argumenten muss man sich auseinandersetzen. Sein Blick auf die Weltmacht USA bleibt kritisch, vor allem wenn es um den Nahen Osten geht. Ebenfalls kritisch aber verständnisvoll der Blick auf Russland. Die Entwicklung der geopolitischen Machtverhältnisse bestätigt seine Einschätzungen und bei allem bleibt er sich und seiner Methode treu. Er definiert sie selbst mit einem Wort von Michel Montaigne, dem Erfinder des Begriffs ‚öffentliche Meinung‘: „Ich belehre nicht, ich erzähle.“ Morgen wird die Reporterlegende 90 Jahre alt. Jüngere Kollegen von diesem Schlag gibt es nicht.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klaus Kolbe

„Morgen wird die Reporterlegende 90 Jahre alt.
Jüngere Kollegen von diesem Schlag gibt es nicht.“

Äußerst schade!

Gravatar: Melanie

Latours Analysen waren immer wohltuend anders von all den anderen, die glauben, man könne Frieden bei uralten Konflikten erkaufen oder herbeibomben. Gott sei Dank hat diese Denkrichtung aufgrund der kolossalen Mißerfolge in Afghanistan, Irak und Libyen mittlerweile ihren Zenit überschritten. Aber in den 1990ern und 200ern war das auf der Mattscheibe die Einheitsmeinung und Latour fast der einzige, der gegenhielt.

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