Heidegger und die »Schwarzen Hefte«

Die hier bereits thematisierten Reaktionen auf die Veröffentlichung der nachgelassenen "Schwarzen Hefte" Heideggers werfen, wie man sagt, ein Schlaglicht auf den erbärmlichen geistigen Zustand einer doch ehemals in Geistesdingen nicht ganz unbedeutenden Weltgegend respektive Mundartgemeinschaft.

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Nahezu unisono und wie verabredet bzw. neurotisch gewährten die Rezensenten einen tiefen Einblick in ihren Konditionierungsmodus, indem sie einen Randaspekt der privaten Notizen ins Zentrum rückten, der dort nur wenige Seiten umfasst und im übrigen Werk nicht die geringeste Rolle spielt: den vermeintlichen Antisemitismus des Denkers. Die Heidegger-Gesamtausgabe beläuft sich auf 103 Bände (der Nietzsche-Doppelband als einer gezählt), und sogenannte Intelligenzblätter verkündeten in barbarischer Einhelligkeit, dass der Philosoph nun durch vier, fünf Nachlass-Seiten "überführt" und "erledigt" sei. Es ist immer wieder delikat, wenn sich wirklich freie teutsche Geister zum Aufklärungs-Thing versammeln.

Gleichwohl ist es völlig belanglos, was Feuilletonisten und Professoren über einen Denker schreiben, der dem kleinen Gremium derer angehört, die bleiben werden. Solch wohlfeil-trendkonforme Anklagen, erhoben aus der Tiefebene täglicher intellektueller Brotberufsausübung und gerichtet nach ganz oben ("ganz oben" meint Heidegger als Kopf, nicht als Mensch), haben ja etwas maßlos Komisches, Groteskes, den-Mond-Anbellendes, sich-selbst-Erledigendes; man liest Heidegger in allen Teilen der Erde und wird ihn lesen, nachdem Deutschland längst verschwunden ist, ob mit oder ohne "antisemitische" Giftspuren, weil er die ewigen Fragen stellt und sich dafür eine vollkommen neue Sprache geschaffen hat, über deren hirnzerknüllende Zumutungen sich der lektüreschwache Fortschrittsfolklorist besonders ereifert. "Gönn' ihm die geifernde Lust", singt Wotan im Rheingold, und so wollen wir es halten.

Immerhin bleibt die Frage, woher Heideggers vereinzelte ablehnende Äußerungen gegenüber "dem" Judentum rühren. Bei dieser Gelegenheit scheint es geboten, daran zu erinnern, dass keineswegs jedes kritische oder distanzierende Wort über "das" jüdische Denkens beziehungsweise jüdischer Denker Antisemitismus ist, weil sonst das jüdische Denken insgesamt von einer so teuflischen Vollkommenheit sein müsste, wie sie der schlimmste Antisemit nicht halluzinieren könnte. Den Antisemiten nicht ins Garn zu gehen, ist das eine; ich lege freilich großen Wert darauf, auch den allzu eifrigen Antisemitismusunterstellern die Gefolgschaft zu verweigern. Es ist zum Beispiel unsinnig, Heidegger dafür an den Pranger zu stellen, dass er das Judentum als ort- oder heimatlos betrachtete, denn das taten u.a. die Zionisten seiner Zeit auch. Interessant ist vielmehr, welche Rolle diese Feststellung in seinem Denken spielt – und ob es tatsächlich irgendeinen okkulten Anschluss zur NS-Ideologie gibt.

Heidegger-Notizen wie: "Die Frage nach der Rolle des Weltjudentums ist keine rassische, sondern die metaphysische Frage nach der Art von Menschentümlichkeit, die schlechthin ungebunden die Entwurzelung alles Seienden aus dem Sein als ‚weltgeschichtliche’ Aufgabe übernehmen kann", oder: "Die ‚Kultur’ als Machtmittel sich anzueignen und damit sich behaupten und eine Überlegenheit vorgeben, ist im Grunde ein jüdisches Gebaren", in den besagten Intelligenzblättern quasi mit Schafottbesteigungsbegleittrommelwirbel präsentiert, reißen mich jetzt nicht wirklich empört vom Hocker, da bin ich aus dem späten 19./frühen 20. Jahrhundert anderes gewöhnt, auch von jüdischen Autoren. Die darin manifesten Verallgemeinerungen mögen tendenziell antisemitisch klingen, aber damals standen sie noch nicht unter dem Bann der Politischen Korrektheit. Man sprach und schrieb über "die" Deutschen und "die" Franzosen und "die" Amerikaner und "die" Frauen und "die" Nietzscheaner und "die" Sozialdemokraten und "die" Nachfahren der Wikinger eben auch "die" Juden (Relikte dieses Sprechens finden sich heute noch, etwa wenn von "den" Rechten oder dem Extremismus "der" Mitte die Rede ist). Erst nachdem sich die meisten Menschen in allen Teilen der westlichen Welt immer mehr zum Verwechseln und also Verallgemeinern ähnlich geworden waren, kamen Wohlmeinende auf die Idee, sogenannte Gruppenstereotype für verwerflich zu erklären. Sollten sie damit in gewissem Umfange Recht haben, was durchaus möglich ist, muss freilich daran erinnert werden, dass aus ihrer Mitte neue Stereotype wie die "Mutterrolle" oder "Gender" hervorgingen, worüber wiederum die nächste Generation sich je nach Gusto empören oder amüsieren wird. Panta rhei.

Weiter indes mit den schwefligen Stellen aus den "Schwarzen Heften". "Das Weltjudentum, aufgestachelt durch die aus Deutschland herausgelassenen Emigranten, ist überall unfaßbar und braucht sich bei aller Machtentfaltung nirgends an kriegerischen Handlungen zu beteiligen, wogegen uns nur bleibt, das beste Blut der Besten des eigenen Volkes zu opfern", schreibt Heidegger 1941; das ist schon übler, vor allem der Begriff "herausgelassen". Andererseits deutet diese Bemerkung an, dass er offenbar keinen Schimmer davon hatte, was den Juden im NS-Machtbereich in diesem Augenblick drohte. Schlimmer wird es nicht mehr. Mit keiner Silbe hat Heidegger – im Gegensatz zu den zahlreichen Stalin-Hofierern der westeuropäischen linken Intelligenzija – je irgendein NS-Verbrechen gutgeheißen, befördert oder angestiftet. Sein teilweise negatives Urteil über "die" Juden bzw. "das" Judentum bewegt sich in einem rein gedanklichen Rahmen. Und diese Notate waren immerhin nicht zur Veröffentlichung bestimmt.

Die "jüdische" Geschäftstüchtigkeit – korrekt formuliert: das signifikant häufige Vorkommen geschäftstüchtiger Menschen jüdischer Herkunft – ist ebensowenig eine Erfindung von Antisemiten wie die "jüdische" Intellektualität (ab hier bilde jeder die korrekt verunallgemeinerte Formulierung selbständig) oder die Rolle jüdischer Intellektueller als "Ferment der Moderne". In der Geldwirtschaft, in den Naturwissenschaften und in den Künsten war "der" jüdische Geist bzw. waren Juden sehr aktiv an der Erzeugung jener zentrifugalen Beschleunigungskräfte beteiligt, die die modernen Gesellschaften prägten, die Technik entfesselten, die Traditionen pulverisierten, die Menschen entwurzelten und aus ihren angestammten Kollektiven rissen. Heideggers Äußerungen zum Judentum stehen in diesem Kontext, sie gehören zu seinem Antimodernismus. Vielleicht ist es ja zutreffend, aber gewiss ist es undifferenziert, wenn Heidegger "die" Juden bzw. "den" jüdischen Geist überwiegend oder maßgeblich der "Machenschaftlichkeit" und dem weltüberstülpenden "Gestell" zuschlägt, also dem abendländischen Rationalismus und seinen weltverändernden Folgen, denn es gibt ja zum Beispiel noch die jüdische Mystik und die große Schar orthodox-religiöser Juden, die mit diesen Entwicklungen nichts an den Hüten haben, doch sollten wir in Rechnung stellen, dass es im Wesen von unausformulierten Notaten liegt, die Dinge auch mal übers Knie zu brechen, und dass unsere Idee, über Gruppen als solche möglichst überhaupt keine Aussagen mehr zu treffen oder gar zu urteilen und so lange zu differenzieren, bis nur noch der Einzelne übrigbleibt (Heiner Müller: "Alles was für zwei Menschen gilt, ist falsch"),womöglich zum völligen Erlahmen des Urteilens führen wird, ohne dass die Unterschiede zwischen den Kollektiven dadurch verschwinden. Dass zum Beispiel fundamentale Differenzen zwischen Christenum/Judentum auf der einen und dem Buddhismus auf der anderen Seite bestehen, was das Verhältnis dieser Religionen zur Unterwerfung und Nutzbarmachung der Erde und damit zur Technik betrifft, wird niemand bestreiten wollen, wenngleich natürlich auch hier die Ausnahmen in die Millionen gehen dürften.

Anstatt dem letztlich bei allen seinen erstaunlichen Kenntnisse etwa der modernen Physik grotesk weltfremden Heidegger irgendeine Nazi-Nähe anzudichten, sollten wir zu verfolgen suchen, wohin der in den "Schwarzen Heften" skizzierte Denkweg führt – nämlich zur berühmten "Kehre", die sich ja in dieser Zeit vollzog. Überspitzt formuliert: Aus dem Fundamentalontologen Heidegger wurde ein radikaler Grüner (hat nichts mit der Partei zu tun). Hier wäre denn auch die Frage angebracht, ob es eine Verbindung zwischen seinen Vorbehalten gegenüber Judentum und Christentum gibt. Sie dürfte im Gottesbefehl "wimmelt auf der Erde und herrschet über sie" (Gen. 9, 7) zu suchen sein. Heidegger wollte bekanntlich die gesamte abendländische Metaphysik, dieses Denken der Weltaneignung und Weltvernutzung, zurücknehmen, über Platon hinaus bis zu den Vorsokratikern, und damit auch hinter das Judentum und das Christentum; seine Philosophie strebte fort vom praktischen, die Welt als Objekt betrachtenden und sie unterwerfenden Tun, zurück – oder, wer weiß, voraus – zum Sagen und Schauen, abends vor der Hütte, bei einem Viertele badischen Weines, das Seyn hütend. Er wollte, dass der Mensch, den ohnehin nur ein Gott retten könne, jedenfalls nicht er selber sich, des "Wunders aller Wunder" gewahr werde, nämlich "daß Seinendes i s t", und womöglich im gesamten Kosmos nur wir Menschen dazu bestellt sind, dieses Wunder wahrzunehmen. Aber alle Beschreibung von Heideggers Denken ist trivial und irreführend, weil dieses Denken eben gedacht – mit einem blöden Modewort: nachvollzogen – werden soll; es geht ihm nicht um irgendwelche Resultate, Postulate, Doktrinen, sondern um das Denken selbst. Ansonsten besteht vom späten Heidegger unter anderem eine Verbindung zu Rudolf Bahros "Logik der Rettung" oder Eugen Drewermanns "Der tödliche Fortschritt". Er muss zuvor für kurze Zeit geglaubt haben, die Nazis seien die berufene Kraft, dem nach seiner Ansicht zerstörerischen Walten der Moderne Einhalt zu gebieten, bis ihm klar wurde, dass von ihnen noch mehr Zerstörung drohte. Die ganze Menschheit war dem technischen Dämon, der Tachokratie und der Seinsvergessenheit verfallen, was die auf den ersten Blick anstößige Tatsache erklärt, dass für Heidegger ein Konzentrationslager und ein Düsenjäger sozusagen Resultate eines identischen Irrweges darstellten.

„Wir, die wir die Denker ehren wollen“, schrieb Hannah Arendt zum 80. Geburtstag ihres einstigen Lehrers, „können schwerlich umhin, es auffallend und vielleicht ärgerlich zu finden, daß Plato wie Heidegger, als sie sich auf die menschlichen Angelegenheiten einließen, ihre Zuflucht zu Tyrannen und Führern nahmen. Dies dürfte nicht nur den jeweiligen Zeitumständen und noch weniger einem vorgeformten Charakter, sondern eher dem geschuldet sein, was die Franzosen eine ‚déformation professionelle’ nennen. Denn die Neigung zum Tyrannischen läßt sich theoretisch bei fast allen großen Denkern nachweisen (Kant ist die große Ausnahme). Und wenn diese Neigung in dem, was sie taten, nicht nachweisbar ist, so nur, weil sehr wenige selbst unter ihnen über ‚das Vermögen, vor dem Einfachen zu erstaunen’, hinaus bereit waren, ‚dieses Erstaunen als Wohnsitz anzunehmen’.

Bei diesen wenigen ist es letztlich gleichgültig, wohin die Stürme ihres Jahrhunderts sie verschlagen mögen. Denn der Sturm, der durch das Denken Heideggers zieht – wie der, welcher uns nach Jahrtausenden noch aus dem Werk Platos entgegenweht –, stammt nicht aus dem Jahrhundert. Er kommt aus dem Uralten, und was er hinterläßt, ist ein Vollendetes, das, wie alles Vollendete, heimfällt zum Uralten.“

Beitrag erschien zuerst auf: michael-klonovsky.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Gerd Weghorn

Ein brillante Analyse, die erste und einzige im gesamten publizistischen Aufguss des einen einzigen - dazu völlig unverstandenen - Antisemitismus-Vorwurf, über dessen Instrumentalisierung ich denk- und kritikwürdige Aussagen gemacht habe, die in der Darlegung des prinzipiellen Unterschieds zwischen der (Mrxschen) Kritik am ökonomischen, am "rechenhaften" (Heidegger) Judentum und dem persönlichen selbsthasserischen, sich fremdenfeindlich gebärdenden Ressentiment einerseits sowie dem verbrecherischen Antisemitismus als Staatsräson der Hitleristen andererseits bestehen: DER ULTIMATIVE ANTISEMITISMUSBEGRIFF (BLUEPRINTtheorie) http://wp.me/pxqev-U1

Gravatar: Rob

Für Interessierte einiges, das nicht in den Zeitungen steht und sich an seinem Denkweg orientiert:

Heidegger sprach niemals von Schuld?
„Daß wir leben, ist unsere Schuld.“
H. zitierte die Worte seines Freundes Jaspers, als man ihn fragte, warum er nicht entschiedener gegen die Nazi-Ideologie aufgetreten sei. Er habe aber gehofft, dass seine Hörer seine Kritik am NS erkennen:

In der Vorlesung Sein und Wahrheit, (1933/34) legt H. dar, dass die Nazi-Ideologie von Blut u. Boden oberflächlich ist, entscheidend für die Wahrheit der Menschen ist allein ihr Geist, Denken z.B.:
„So ist der Wille zu Wiss en und Geist dasjenige, womit wir stehen und fallen. Es ist heute  viel die Rede von Blut und Boden als vielberufener Kräfte. Bereits haben die Literaten, die es ja auch heute noch gibt, sich ihrer bemächtigt. Blut und Boden sind zwar mächtig und not- wendig, aber nicht hinreichende Bedingung für das Dasein eines Volkes. Andere Bedingungen sind Wissen und Geist, nicht als ein Nachtrag in einem Nebeneinander, sondern das Wissen bringt erst das Strömen des Blutes in eine Richtung und in eine Bahn, bringt erst den Boden in die Trächtigkeit dessen, was er zu tragen vermag: Wissen verschafft Adel (...)“

1935 H. erläutert in Vorlesung jegliche Rassepolitik als primitiv, Einführung in die Metaphysik, GA 40.
Er bezeichnet sie als ein Symptom der allgemeinen „Entmachtung des Geistes“, z.B.: „Ob dieser Dienst der Intelligenz sich nun auf die Regelung und Beherrschung der materiellen Produktionsverhältnisse (wie im Marxismus) […] oder ob er sich in der organisatorischen Lenkung der Lebensmasse und Rasse eines Volkes vollzieht, gleichviel, der Geist wird als Intelligenz der machtlose Überbau zu etwas Anderem, das, weil geist-los oder geist-widrig, für das eigentlich Wirkliche gilt.“

1935 Vorlesung: Hölderlin als „Dichter der Deutschen“ – und zwar für alle Menschen, die deutsch verstehen u. sich ihm anschließen, jenseits von Rasse, Nation u. Glauben – allein durch Sprache u. Logos z.B.:
„Dichter der Deutschen nicht als genitivus subiectivus, sondern als genitivus obiectivus: Der Dichter, der die Deutschen erst dichtet, [...], d.h. der Stifter des deutschen Seyns, [...]“
Das Wesen der Dichtung könne sich nur einer Besinnung über Sprache und Logos erschließen. Sie sei weder Ausdruck einer "Kulturseele" Rassenseele wie bei Alfred Rosenberg oder Kolbenheyer, z.B.: "Dichtung ist eine biologisch notwendige Funktion des Volkes Es braucht nicht viel Verstand, um zu merken: das gilt ja auch von der Verdauung -- auch sie ist eine biologisch notwendige Funktion eines Volkes, zumal eines gesunden. Und wenn Spengler die Dichtung als Ausdruck der jeweiligen Kulturseele faßt, dann gilt dies auch von der Herstellung von Fahrrädern und Automobilen. Das gilt von allem -- d. h. es gilt gar nicht."
H. war kein simpler Kommunistenhasser u. Antihumanist, wie man ihn gerne darstellt. 1946 Brief über den Humanismus. H. erläutert, dass, er sein Denken als dem Humanismus verpflichtet sieht u. diesen zu vertiefen sucht; er erläutert Marx den tiefsinnigsten Geschichtsdenker der Moderne,z.B.:
"Was Marx in einem wesentlichen und bedeutenden Sinne von Hegel her als die Entfremdung des Menschen erkannt hat, reicht mit seinen Wurzeln in die Heimatlosigkeit des neuzeitlichen Menschen zurück. Diese wird und zwar aus dem Geschick des Seins in der Gestalt der Metaphysik hervorgerufen, durch sie verfestigt und zugleich von ihr als Heimatlosigkeit verdeckt. Weil Marx, indem er die Entfremdung erfährt, in eine wesentliche Dimension der Geschichte hineinreicht, deshalb ist die marxistische Anschauung von der Geschichte der übrigen Historie überlegen."

Gravatar: Andreas Roller

Es freut mich endlich einmal einen reflektierten und erläuternden Artikel über diese angeblich entlarvenden Passegen in den scharzen Heften des großen Denkers zu lesen.
Und es scheint meinen Anfangsverdacht, nach dem Lesen einiger Artikel zu bestätigen. Gibt es wirklich nicht mehr? Haben die Schreiberlinge wirklich nichts Schlimmeres gefunden, als die hier von Herrn Klonovsky zitierten Passagen? Dann wirft es mal wieder ein bezeichnendes Licht auf diejenigen Intellektuellen und Journalisten, die sich beharrlich weigern solche Texte aus ihrem zeitlichen Kontext und dem Kontext Ihres Entstehens (nämlich als private Notzen) heraus zu betrachten, nur um opportun eine vorgefertigte Meinung vermeintlich untermauern zu können.

Gravatar: Rainer Reusch

Endlich mal ein intellektuell reflektierender Artikel über die "schwarzen Hefte". Natürlich
schreiben die "medialen Philosophen" mediokren sozialdemokratischen bis sozialistischen Mainstream und entfalten ihr geistiges Simulakrum. Habe hier in Berlin im "Urania" einen verhaltenen Prof. Trawny erlebt. Doch sein kleines Essay fasst Heideggers "Sudelbücher" (schwarze Hefte) gut zusammen. Letztendlich wissen wir nun, dass Heidegger den Nationalsozialismus und dessen Rassenwahn als seinsvergessene Dekadenz des Gestells, als technische Verstiegenheit ablehnt. Zwar war er geisteskritisch bezüglich des ursprünglichen Judentums. Doch antisemitisch im Sinne eines nationalsozialistischen Rassenwahns, war er nicht. Die biologische Genmanipulation lehnt er als technische Anmaßung ab. Das ist das Problem normierender Naturwissenschaft. Bekanntlich "denkt" die nicht.

Gravatar: patrick Feldmann

Sehr guter und substanzieller Beitrag, genaugenommen der beste, den ich zum Thema gelesen habe!
Leider, und das spricht sehr gegen die Zeit, in der wir leben, wird diese klare und durchdachte Darstellung kaum den Beifall der Vielen finden.
mfG PF

Gravatar: Rob

Stimme voll zu! Man sprach damals öffentlich allgemein von “Rassen”, “Weltjudentum”, “jüdischer Bankenverschwörung” usw. Jeder Bischof, sogar fast jeder SPD-Politiker war da öffentlich schlimmer als Heidegger in vereinzelten privaten Notizen!
H. war ein Kritiker der machtbesessenen Moderne, die allein dem naturwissenschaftlichen, “rechnenden” Denken Wahrheit zugesteht. Mensch u. Umwelt würden als bloße Verfügungsmasse zur Machtsteigerung angesehen – dies würde in grausamen Kriegen enden. Er sah anfangs in totaler Verkennung in den Nazis eine Revolte gegen diese Weltanschauung. Er trat in die Partei ein, um die deutsche Universität zu reformieren - weg von einer modernen naturwissenschaftlich-technischen Ausrichtung hin zu den alten Griechen (Rektoratsrede): „Selbstbehauptung der Uni“ im Geiste Platons. Dummerweise hatten die Nazis aber genau das Gegenteil vor: Technik u. Naturwissenschaft als Grundlage der menschlichen Bildung, als Grundlage der völkischen Machtsteigerung, des unbedingten Willens zur Macht. Darum trat H. dann zurück: Die Nazis entpuppten sich nicht als Überwinder des modernen naturwissenschaftlich-technischen Machtdenkens, sondern als Vollender.
Die Moderne wird sich mit Hilfe der Technik selbst in die Luft sprengen, davon war H. dann zunehmend überzeugt: der NS war nicht die Überwindung der grausamen nietzeanischen machtbessenen Moderne, sondern deren Vollendung. Dies verdeutlicht H. in etwas martialischer Sprache in den „Schwarzen Heften“.
Bekanntermassen lehnte H. die christliche Lehre ab, darunter das Dogma vom Juden als "Gottesmörder". Jede biologische Deutung des Menschen aus seiner „Tierheit“ ist nach H. „seinsvergessen“ primitiv, so auch die biologistische Rasselehre der Nazis. Unbedingter „Wille zur Macht“ u. technische Überlegenheit als Grundlage u. Legitimation der Herrschaft - H. war entschieden gegen diese Nazi-Grundsätze. Die Technikvergötterung des Westens, dessen „rechnendes Denken“ und den damit verbundenen Führungsanspruch sah er als Gefahr für die Menschheit. Den unbedingten "Willen zur Macht" – die Nazi-Überzeugung kritisierte H. ab 1938 direkt als „nihilistisch“ bzw. „seinsvergessen“: „Planetarische Hauptverbrecher" führten die Welt im Namen der „Machtermächtigung“ durch „grenzenlose Kriege“ in die totale „Verwüstung.“ (vgl. GA Bd. 69,Kap.61) H. forderte ein „anderes Denken“, das sich nicht an Machtsteigerung orientiert, sondern am pazifistischen Dichtertum (Hölderlin, ab 1935).
H. kritisierte vereinzelt privat (!) auch Teile der jüdischen Elite als führende Vertreter des rein naturwissenschaftlichen “rechnenden Denkens” - einer modernen Wissenschaftsreligion - und hatte hier offensichtlich Vorurteile.
Die Verfolgung der Juden – schon gar nicht der oft tiefgläubigen im Osten - geschah aber nicht deswegen, sondern aufgrund des virulenten christlichen Antisemitismus u. der “rechnenden” Nazi-Rassebiologie. Beides lehnte H. aber als primitiv ab – anders als viele Deutsche.
Leider berücksichtigen die Journalisten viel zu wenig den damaligen Sprachgebrauch u. Zeitgeist. H. ist da noch harmlos u. auf das Private beschränkt. In der SPD z.B. sprach man offiziell vom “schachernden Geldjuden”, der “Verjudung Deutschlands”, sogar von “Rassenhygiene”. .T. Mann schrieb z.B. Aufsätze über die “Lösung der Judenfrage”. Adenauer sprach noch in den 1960ern vom “Weltjudentum”, für die Kirchen galten Juden als “Gottesmörder” u. “Söhne des Teufels” usw. selbst Brecht sprach v. Juden als “Rasse”. 60-70% der Menschen in Europa befürworteten z.B. in der Gesellschaft das „Führerprinzip“ u. „Führertum“ usw.
Wen man die Maßstäbe die man bei H. anlegt, bei anderen anlegen würde? (z.B. bei Familie Weizsäcker oder E. Jünger, die öffentlich klagten, H. habe sich nicht richtig für seine Verfehlungen entschuldigt)

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