Hartz IV - Alles Käse!

Ist es nicht herzallerliebst? Da werfen sich die Vertreter der "Volksparteien" ins moralische Getümmel und schützen, einem mildtätigen Samariter gleich, die Hilflosen, Schwachen und überhaupt alle, deren Schutz uns so sehr am Herzen liegen sollte.

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Gegen wen schützen eigentlich diese Hüter von Moral und Gerechtigkeit gerade? Na was für eine Frage:

Gegen das gelbzahnige Monster, durch dessen Adern das sozialkalte Blut klirrt und dass sich nur denen zuwendet, die diese klirrende Kälte mit Mövenpick-Eis bezahlen: Die Liberalen.

Allen voran der Meister des Bösen, Dr. Guido Westerwelle, der so herrlich schön angreifbar wird, weil er etwas tut, von dem alle anderen schon längst vergessen zu haben scheinen, wie es geht:

Er spricht aus, was andere nur heimlich denken.

Lässt man jetzt mal die erdrutschartigen Polemikausbrüche beiseite und betrachtet die Fakten, stehen die Kritiker plötzlich auf rissigem Untergrund.

WAS Dr. Westerwelle da gesagt hat, ist weder verwerflich, noch "sozial kalt", sondern die nüchterne Betrachtung und Bewertung eines Systems, das so nicht funktioniert, weil es die falschen Signale aussendet. Ich finde es erstaunlich, dass es offenbar mittlerweile zum Standard gehört, "Wahrheiten" so zu verklausulieren, dass sich niemand mehr daran reiben, sich niemand angesprochen oder betroffen fühlen kann. Wozu dann noch Aussagen treffen? Wozu dann überhaupt noch etwas sagen?

Gilt in Deutschland nun die Devise: Wer schreibt, der bleibt, nun verändert in "Wer schweigt, der bleibt?"

Haben Sie Lust, mit mir mal einen Blick auf die Realitäten zu werfen? Ich warne Sie, es könnte Sie irritieren...

Derzeit erhalten Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht alleine für ihren Lebensunterhalt sorgen können, von 45! verschiedenen Stellen insgesamt 138! verschiedene Sozialleistungen. Ein "Neuling" in diesem behördlichen Dschungel erhält oftmals nur einen Teil der ihm zustehenden Leistungen, weil er sich in diesem Wirrwarr überhaupt nicht zurecht findet. Gehen wir mal davon aus, dass er den Lauf durch die Instanzen geschafft hat und nun einen Betrag erhält, der ihn und seine Familie mehr schlecht als recht über Wasser hält. Jetzt wäre es meines Erachtens sinnvoll, ihm einen Anreiz zu geben, so schnell wie möglich wieder Geld zu verdienen. Wie steht es da mit Hartz IV? Ja nun.... eigentlich ist es nicht dazu gedacht, jemanden zu motivieren, sich wieder auf eigene Füße zu stellen, denn jetzt passiert folgendes, Achtung:

Ein Arbeitsloser erhält Hartz IV. Er findet eine zunächst geringfügige Beschäftigung, sagen wir, irgendwas zwischen 400 und 600 Euro. Was bleibt ihm vom Lohn, wenn er Hartz IV bezieht? Na? Raten Sie mal: 98 - 138 Euro!

Überwältigend, nicht wahr? Da lohnt es sich doch richtig, arbeiten zu gehen, oder?

Die Liberalen haben sich zu diesem Thema sehr viele Gedanken gemacht und sie waren allesamt weder sozial kalt, noch irgendwie sozialdarwinistisch, wie man ihnen so gerne unterstellt. Die Liberalen "erfanden" das Bürgergeld.

Wie soll das funktionieren?

Zunächst stellen wir voraus, dass die FDP den Betrag für geringfügige Beschäftigung von 400 auf 600 Euro anheben will, um die Chancen für Wiedereinsteiger zu erhöhen. Sind wir doch mal ehrlich, viele Arbeitgeber haben schlichtweg Angst, eine Vollzeitkraft von heute auf morgen einzustellen, denn die Kosten, vor allem Lohnnebenkosten, sind ein nicht zu unterschätzender Faktor. Da liegt es nahe, zunächst einmal eine Teilzeitstelle zu schaffen, bei der die Nebenkosten nicht so hoch sind, und dann zu schauen, wie sich die Sache entwickelt.

Dass es immer und überall Zeitgenossen geben wird, die solche Regelungen schamlos ausnutzen, ganz ehrlich, dass verhindern Sie und ich nicht...

Dann wollen die Liberalen die Berechnung des Bürgergeldes einer Institution übergeben, die besser als alle Anderen weiss, wie viel eine Bürgerin oder ein Bürger verdient: Dem Finanzamt. Hier laufen ohnehin die Daten aller Menschen zusammen und hier wäre auch der geeignete Ort, um auszurechnen, wie viel jedem zusteht. Im Bürgergeld sollen alle Leistungen zusammengefasst werden: Lebensunterhalt, Unterkunft, Heizung, Kranken- und Pflegeversicherung, Nachteilsausgleiche, Ausbildungspauschalen etc. Kein Gerenne mehr in zig verschiedene Ämter, eine sinnvolle Konzentration auf einen Ansprechpartner. Das wäre für beide Seiten ein Gewinn, denn einerseits geht dem "Neuling" nichts mehr verloren, es werden aber auch Mißbrauch und Doppelzahlungen unmöglich.

Wie sieht es beim Bürgergeld mit Zuverdienst aus? Gut, schauen wir da auch mal genauer hin:

Ein Arbeitsloser erhält Bürgergeld. Er findet eine zunächst geringfügige Beschäftigung, sagen wir, irgendwas zwischen 400 und 600 Euro. Was bleibt ihm vom Lohn, wenn er Bürgergeld bezieht? Na? Raten Sie mal: 238 Euro!

Selbe Voraussetzungen, 100 Euro mehr zum Leben. Da sieht die Sache mit der Motivation deutlich besser aus.

In dem Maße, in dem man wieder selber hinzuverdient, sinkt das Bürgergeld, bis man irgendwann hoffentlich überhaupt nicht mehr darauf angewiesen ist.

Und was war es jetzt, wofür die Inquisitoren der "großen" Parteien Dr. Westerwelle auf dem Scheiterhaufen der Scheinmoral verbrennen wollen?

Niemand hörte hin, als er sagte, dass diejenigen, die Hilfe brauchen, auch welche erhalten sollen. Niemand hörte hin, als er davon sprach, Leistungen transparenter zu machen und Anreize zu schaffen, wieder hinzuzuverdienen.

Aber als er sagte: "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein."

da sprangen auf einmal alle auf und schüttelten entrüstet den Kopf.

Dr. Westerwelle fuhr fort: "Es scheint in Deutschland nur noch Bezieher von Steuergeld zu geben, aber niemanden, der das alles erarbeitet."

Ach du herrje! DAS wollte nun wirklich niemand hören, vor allem, wenn es den Tatsachen so schmerzlich nahe ist... Alle haben sich mächtig erschreckt und rudern nun wie die Wilden, um nicht in die gefährlichen Gewässer der schonungslosen Wahrheit zu gelangen, sondern sich aus sicherer Entfernung trefflich echauffieren zu können.

Allen voran marschiert der Vater der Moral, die personifizierte Rechtschaffenheit, Kurt Beck, klammernder Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz.

"Wer so etwas sagt, hat die Lebensrealität der Menschen völlig aus dem Auge verloren. Ich finde, da ist eine Entschuldigung fällig."

So sprach er und wir reiben uns die Augen. Was bitteschön, hat Kurt Beck mit Lebensrealität zu tun? Haben wir etwas verpasst?

Mein Tipp für alle, die sich von der Diskussion haben anstecken lassen und die den populistischen Sprüchen der Moralisten nicht auf den Leim gehen wollen. Lesen Sie über das Bürgergeld, informieren Sie sich, machen Sie sich schlau und dann, aber frühestens dann, treffen Sie ein Urteil über jemanden, der die Dinge beim Namen nennt.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Bojan

Könnten wir dann auch das Bürgergeld für die Politiker einführen...sie liegen dem Steuerzahler ja auch nur auf der Tasche;)

Gravatar: aholewik

Arbeitgeber fürchten nicht nur die Lohnnebenkosten, vor allem fürchten sie den Kündigungsschutz
MfG

Gravatar: Braggi

Ich stimme ihnen eigentlich zu, es scheint in Deutschland nur noch Bezieher von Steuergeldern zu geben: Ich denke da vor allem an den öffentlichen Dienst mit all seinen zum großen Teil überflüssigen Beamten, für deren Gehalt ich arbeiten darf. Wie wäre es, wenn die, die meine Steuer verwenden, sie bei Verschwendung oder Fehlplanung wieder zurückzahlen müssten?
Wenn die, die über mein Geld verfügen, dafür persönlich haften?

Gravatar: Freigeist

(...von 45! verschiedenen Stellen insgesamt 138! verschiedene Sozialleistungen...)
Hallo,
führen Sie doch diese Stellen nebst Leistungen hier mal schriftlich auf, so dass allen "ein Licht" aufgeht.
Grüße
Freigeist

Gravatar: Frank Martin

Auch das Bürgergeld kuriert nicht eine am überregulierenden Sozialstaat krankende Gesellschaft.

Not macht erfinderisch. Wer Erfindungen und Problemlösungen verhindern will, der geht gegen ihre Quelle vor, auf Kosten der Chancen.

Wer immer nur nicht verlieren will, der kann nicht gewinnen.

Gravatar: Jutta Schützdeller

Ja, Herr Schulze, richtig... aber leider immer noch nicht mit einer Mehrheit. Der Koalitionspartner CDU reibt sich gerade bei dem Versuch auf, den kleinen Partner auch klein zu halten und hat sich ja bekannterweise den "Ruderern" angeschlossen...

Gravatar: Schulze

Dann sollte die FDP das Bürgergeld auch einführen - immerhin sitzt sie ja mit so viel Stimmen wie noch nie in der Regierung.

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