Gender Mainstreaming: “Ausdruck von Frustration und Resignation?”

Der Papst entzieht sich wieder allen Schubladen – sei es im Gender Mainstreaming, sei es in der Frage der Rolle der Frau.

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Manchmal glaube ich ja, der Papst macht das extra: Er weiß, wie er im wohlhabenden Westen wahrgenommen wird, und welche Themen es sind, die den durchschnittlichen europäischen Kulturchristen, aber auch die Phalanx der Konservativen auf die Palme bringen. Wenn er also in einer Audienz vom gestrigen Mittwoch gleichzeitig gegen die “Gender-Theorie” austeilt und eine verstärkte Rolle der Frau in Gesellschaft und Kirche anmahnt, dann zeigt er damit, dass er erstens von beidem mehr verstanden hat, als die meisten seiner Kritiker, und dass er zweitens keine Lust verspürt, sich einem liberal-progressiven oder konservativen Lager zuordnen zu lassen.

In der Audienz ging es, wie auch in der folgenden, um die Beziehung von Mann und Frau in der Familie. Dabei stellt der Papst zunächst mal klar, dass er nicht gewillt ist, sich von der biblischen Schöpfungsordnung zu entfernen, nur weil das en vogue sein mag (die nachfolgenden Texte sind der Übersetzung von Zenit entnommen):

Mann und Frau sind das Abbild Gottes. Dies sagt uns, dass nicht nur der Mann oder die Frau allein das Bild Gottes angenommen haben, sondern ebenso Mann und Frau als Paar ein Abbild Gottes sind. Der Unterschied zwischen Mann und Frau dient nicht der Gegenüberstellung oder einer Unterordnung, sondern der ebenso dem Abbild Gottes entsprechenden Einheit und Zeugung. […] Wir können sagen, dass die beiden ohne die gegenseitige Bereicherung – im Denken und Handeln, den Naheverhältnissen, der Arbeit und auch im Glauben – nicht einmal voll und ganz begreifen können, was es bedeutet, Mann oder Frau zu sein.

Das ist tatsächlich eine Sichtweise, die heute selten zu hören ist. Der Mensch ist – wenn er nicht eine andere Berufung hat – auf die Beziehung von Mann und Frau hin geschaffen. Alleine ist weder der Mann noch die Frau “Abbild Gottes”, gemeinsam sind sie es aber. Was man da alles auch in die Sakramentenlehre zur Ehe oder in die Sexuallehre der Kirche hineininterpretieren kann, lässt Liberalen wahlweise den Angstschweiß auf die Stirn oder die Zornesröte ins Gesicht steigen.

Die dargestellte Komplementarität bedeutet aber auch: Es gibt wesentliche Unterschiede zwischen Mann und Frau, und nicht nur in ihrer Biologie sondern in ihrem fundamentalen Wesen. Diese Unterschiede zu verdecken erleichtert möglicherweise dem einen oder anderen den Umgang mit den Geschlechtern, aber um den Preis, die wahre Natur von Mann und Frau nicht mehr zu erkennen, nicht mehr erkennen zu wollen. Das ist der Ansatz, den die Gender-Theorie aufgreift, die behauptet, das Geschlecht sei lediglich ein soziales Konstrukt, zu dem man sich selbst entscheiden kann, das man auch wechseln kann. Der Versuch dahinter ist klar: Unterschiede zu verwischen. Für den Papst ein wesentlicher Kritikpunkt:

Ich frage mich beispielsweise, ob die so genannte „Gender“-Theorie nicht auch ein Ausdruck von Frustration und Resignation ist, mit dem Ziel einer Aufhebung des Geschlechterunterschieds, weil sie nicht mehr fähig ist, sich damit auseinanderzusetzen. Wir laufen tatsächlich Gefahr, einen Rückschritt zu begehen. Die Verdrängung des Unterschieds ist in Wahrheit das Problem, nicht die Lösung. Zur Lösung ihrer Beziehungsprobleme müssen Mann und Frau mehr miteinander sprechen, sich genauer zuhören, sich besser kennenlernen und sich mehr lieben. Sie müssen einander mit Respekt begegnen und eine freundschaftliche Zusammenarbeit pflegen. Auf dieser menschlichen und von der Gnade Gottes gestützten Basis ist die Planung der ehelichen Gemeinschaft und Familie für das gesamte Leben möglich. Das Band der Ehe und der Familie ist von allen, nicht nur von den Gläubigen, ernst zu nehmen.

Was für eine großartige und prägnante Analyse! Die Probleme, die sich aus Unterschieden ergeben mögen, werden nur scheinbar dadurch vermieden, dass man ihre Existenz einfach negiert. Das Negieren selbst wird dann zum Hindernis des gegenseitigen Verständnisses von Mann und Frau. Dass dieses Verhältnis, eben aufgrund der Unterschiede, nicht immer konfliktfrei ist, sollte klar sein, dass das Verhältnis aber – aus dem gleichen Grund – fruchtbar werden kann, ebenso!

Das Negieren von Unterschieden, aber auch das der Probleme aus den Unterschieden, nimmt die Wichtigkeit der Ebenbildlichkeiti von Mann und Frau mit Gott nicht ernst und führt dann wie der Papst sagt auch zu “einem Vertrocknen der Naheverhältnisse und einer Verdunklung des Horizontes der Hoffnung”. Er hebt dann auf zwei Themen ab, die daraus wesentlich folgen und zu berücksichtigen sind: Da ist erstens die Rolle der Frau in Kirche und Gesellschaft, zweitens die Verbinung zwischen dem Geschlechterverhältnis und der Beziehung der Menschen zu Gott.

Alle, die bis hierher gemeint haben, der Papst wolle alles beim alten belassen, werden hier eines besseren belehrt: Das Verhältnis zwischen Mann und Frau, besonders die Rolle der Frau selbst, ist durchaus verbesserungsfähig, möglicherweise in verschiedenen Kulturkreisen in unterschiedlicher Weise. Darum ist es vielleicht wesentlich, diese Rolle gerade für die Kirche zu überdenken. Der Papst sagt dazu:

Tatsächlich ist es erforderlich, dass Frauen nicht nur mehr Gehör geschenkt, sondern deren Stimmen in der Gesellschaft und innerhalb der Kirche reales Gewicht und anerkannte Autorität zugesprochen wird. Die Art und Weise, wie Jesus die Frau in einem weniger günstigen Umfeld als dem heutigen – zu seiner Zeit hatten Frauen tatsächlich den zweiten Platz inne – betrachtete, bringt helles Licht hervor, das einen langen Weg erleuchtet, von dem wir erst ein kleines Stück zurückgelegt haben. Wir haben noch nicht in aller Tiefe verstanden, was uns das weibliche Genie geben kann, was die Frau der Gesellschaft und auch uns geben kann: Eine Frau kann die Dinge mit anderen Augen sehen, die das männliche Denken vervollständigen können. Es handelt sich um einen mit mehr Kreativität und Mut zu gehenden Weg.

Da bekommen womöglich eher die Konservativen Schnappatmung: Eine verstärkte Rolle der Frau in der Kirche? Heißt das gar Öffnung für das Priestertum? Das aber kann – so interpretiere ich jedenfalls – gerade aus dem vorhergesagten abgeleitet nicht gemeint sein. Es geht eben genau nicht darum, Frauen in die gleichen Rollen zu “drängen” wie Männer, sondern ihre Besonderheit wirklich zur Geltung kommen zu lassen. Und da ist tatsächlich Kreativität gefragt, nebenbei von Männern und Frauen, wie eine solche Stärkung Gestalt annehmen kann. Organisatorisch ist da sicher noch Luft nach oben. Wesentlich ist dabei aber immer, dass die Natur der Frauen, zumindest in wesentlichen Teilen komplementär zu der der Männer, zur Entfaltung und Wirkung kommt.

Gelingt das nicht, kommt die Beziehung zwischen Mann und Frau nicht zu einem Ausgleich, kann das Ursache und Auswirkung des gestörten Beziehungsverhältnisses zwischen Gott und den Menschen sein:

Ich frage mich, ob die kollektive Krise des Vertrauens auf Gott, die uns so sehr schadet, uns an der Resignation vor der Ungläubigkeit und dem Zynismus erkranken lässt, nicht auch mit der Krise des Bundes zwischen Mann und Frau in Verbindung steht. So sagt uns die biblische Erzählung über ein sehr symbolreiches Bild des Gartens Eden und der Erbsünde, dass sich die Gemeinschaft mit Gott in der Gemeinschaft des menschlichen Paares spiegelt und der Vertrauensverlust in den himmlischen Vater zu Spaltungen und Konflikten zwischen Mann und Frau führt.

Wenn Mann und Frau gemeinsam Abbild Gottes sind, und ihre Beziehung gestört ist, wie sollen sie dann noch – separat – ihre Beziehung zu Gott richtig wahrnehmen? Dass der Papst diese Aussage als Frage formuliert zeigt, wie komplex das Thema eigentlich ist. Eingängig erscheint aber vor dem Hintergrund der Geschichte vom Sündenfall, dass jedenfalls ohne Vertrauen sowohl die Beziehung der Menschen zu Gott wie die der Menschen untereinander – besonders von Mann und Frau – scheitern müssen.

Nun lese ich wieder – in den “normalen” wie in den sozialen Medien – Kritik am Papst, wie immer von “beiden Seiten”. Und das bestätigt mich nur mehr, dass er mal wieder das richtige Thema getroffen hat. Einfache Lösungen – sowohl die des Postualts der Gleichheit wie die der Beibehaltung des Status Quo – werden nicht tragen; was auf dem Tisch an Lösungen liegt, wird uns weder in der Nähe zu Gott noch in der Beziehung untereinander besser, letztlich gottähnlicher machen. Niemand in der Kirche kann jetzt an dieser Position vorbei – nebenbei bemerkt auch nicht in der anstehenden Familiensynode wo die Geschlechter-Reizthemen ebenfalls wieder auf die Agenda kommen werden.

Es bleibt also spannend, vor allem aber erkenntnisreich, “papsttreu” zu sein!

Beitrag erschien auch auf: papsttreuerblog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: sttn

Mich hat Papst Franziskus mal wieder sehr positiv berührt mit seinen Worten, weil ich es genau so sehe.

Es ist so eine einfache Natürlichkeit in seinen Worten, die so einleuchtend ist.

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