Gegen den Strom schwimmen?

„Sei ein lebendger Fisch, schwimme doch gegen den Strom! Auf und wag es frisch: Freude und Sieg ist dein Lohn.“

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Der Refrain und die Melodie dieses Kinderliedes vonMargret Birkenfeld muss sich irgendwann vor vierzig Jahren tief in mein Gedächtnis eingegraben haben. Nicht zufällig gehört Birkenfeld, die in diesem Jahr ihren 90. Geburtstag feiert, zum Urgestein der christlichen Musikszene in Deutschland.

„Gegen den Strom schwimmen“ (Plaukiant prieš srovę) war auch das Motto einer Tageskonferenz am vergangenen Samstag in Vilnius. Im großen Saal der dortigen „Wort-des-Glaubens“-Gemeinde sprachen Willem VanGemeren, Stephen Garrett und ich zum Thema „Säkularisierung und die Kirche im 21. Jahrhundert“. VanGemeren ist emeritierter Professor für AT an der Trinity Evangelical Divinity School und war schon öfter in Litauen; Garrett unterrichtet seit einigen Jahren an der Kunstakademie in Vilnius.

Das Bild des gegen den Strom Schwimmens wird gerne für die Berufung des Christen gebraucht. Vor einigen Wochen forderte Papst Franziskus die Jugend dazu auf (s.hier). Dass Christen anders leben sollen, dass sie aufgefordert sind umzudenken und sich der Welt nicht anzupassen, ist Lehre Jesu und der Apostel.

Interessanterweise findet sich das Bild des gegen den Strom schwimmenden Fisches nicht in der Bibel selbst. Die Geflügelten Worte Büchmanns, seit eineinhalb Jahrhunderten immer noch das Standardwerk zur Herkunft von Redewendungen, führen nur zwei Stellen an. Einmal das apokryphe Buch Jesus Sirach: „strebe nicht wider den Strom“ (4,31). Außerdem wird ein Zitat des römischen Dichters Juvenal genannt: „Gegen den Strom der Zeit kann der Einzelne nicht schwimmen; aber wer Kraft hat, hält fest und läßt sich von demselben nicht mit fortreißen.“

Beide Zitate sind nüchtern in der Aussage. Und sie geben die Weisheit des Alltagsverstandes wider. Es macht keinen Sinn, sich gegen einen starken Strom zu stellen, gegen ihn anzugehen oder ihn gar aufhalten zu wollen. Bestenfalls, so Juvenal, kann man sich irgendwo festhalten und wird nicht mitgerissen. Aber gegen den Strom anschwimmen? Selbst ein geübter Schwimmer kommt da nicht weit. Es ist unmöglich.

Bei Birkenfeld schwimmt der Fisch gegen den Strom. „Nur die toten Fisch schwimmen immer mit dem Strom“ beginnt ihre erste Strophe. Damit verschiebt sich natürlich die Aussage des Bildes. Was ein Mensch nicht kann, fällt dem Fisch, der sich ja in seinem Element befindet, viel leichter. Ja, jeder lebendige Fisch schwimmt von Natur aus oftmals auch gegen den Strom.

Es wäre nun sinnvoll und sicher lohnend, die Entwicklung des Gebrauchs der Redewendung in verschiedenen Sprachen (z.B. „go against the tide“ im Englischen) zu untersuchen. Mir scheint, dass wir uns heute auf ein möglichst starkes Bild des gegen den Strom Schwimmens konzentrieren sollten – des Menschen, der dies nichtschafft. So wird besser deutlich, dass dies Gebot – schwimme gegen den Strom! – lutherisch und protestantisch gesprochen Gesetz ist, nicht Evangelium. „Schwimme gegen den Strom!“ steht in einer Reihe mit „liebt eure Feinde!“, „ihr Männer, begehrt eine andere Frau nicht einmal mit euren Blicken!“ und „du Reicher, geh durchs Nadelöhr!“ bis hin zu „liebe Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft!“

Gottes Gesetz fordert einen umfassenden, genauen, immerwährenden und perfekten Gehorsam. So wird deutlich, dass die göttlichen Gebote uns zuerst den Spiegel vorhalten, uns nämlich unsere Unfähigkeit zu diesem Gehorsam vor Augen führen. Wir scheitern täglich an dieser vollkommenen Liebe zu Gott und zum Nächsten. Man sollte also auch nicht so tun, als ob das gegen den Strom Schwimmen für Menschen nach dem Sündenfall leicht oder geradezu natürlich wäre.

Auf dem Plakat der oben genannten Veranstaltung in Vilnius ist ein Fischschwarm abgebildet (s.o. Bild). In die entgegengesetzte Richtung schwimmt ein einzelner Fisch. Auf ihm sind die griechischen Buchstaben der Christus-Akronyms „ICHTHYS“ geschrieben (dort wohl „IXTUS“). Die Anfangsbuchstaben stehen für „Jesus Christus, Gottes Sohn, Erlöser“. Das sich so ergebende griechische Wort bedeutet bekannter weise auch Fisch. Dem Designer gefiel offensichtlich dieser Zusammenhang.

Auf dem Hintergrund des bisher Gesagten hat das Christus-Akronym auf dem einzelnen Fisch aber auch eine tiefe Bedeutung: Christus ist derjenige, der gegen den Strom schwimmt. ICHTHYS ist eben er! Er ist der lebendige Fisch, der wider den Strom streben kann. Das ist das Evangelium. Menschen können nicht gegen den Strom schwimmen, aber wenn sie in Christus, dem lebendigen Fisch, sind und bleiben, wenn sie sich an ihm festhalten (s.o. Juvenal), werden sie nicht fortgerissen.

Birkenfeld hat dies natürlich auch gesehen. In einer Strophe heißt es: „Doch aus eigner Kraft wirst du nie ein lebendger Fisch, bitte Gott um Kraft an jedem Tag…“

Beitrag zuerst erschienen auf lahayne.lt

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: K.Becker

Sich nicht manipulieren zu lassen, dagegen zu schwimmen, finde ich erforderlich, wenn die Richtung falsch erscheint. Jeder mündige Bürger, sollte es als Bürgerpflicht verstehen.
Bei unserer weit verbreiteten Obrigkeits-Hörigkeit schwer möglich.
Das Schlimmste, unsere Kirchen schwimmen mit, mit HURRA in die Richtung, als Linientreue der Regierung.
Rückgrat, Selbstbewusstsein, Weitsicht, nicht bei den Scheinheiligen vorhanden.

Gravatar: Joachim Datko

Religionen versuchen ganze Gesellschaften zu manipulieren.

Zitat: ": Christus ist derjenige, der gegen den Strom schwimmt."

Den angeblich wundertätigen Wanderprediger hat es nicht gegeben. Die mystischen Geschichten um ihn sind nicht authentisch.

2014 haben in D 487.719 Mitglieder die beiden großen Kirchensteuerkirchen verlassen! Die meisten sind als Kleinkinder, gegen das Selbstbestimmungsrecht, durch die Taufe "Christen" geworden.

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