Gedanken zum Gedenken

Der 27. Januar ist seit 1996 in Deutschland der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“.

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Dass es während des Zweiten Weltkrieges einen schändlichen Völkermord an Juden und anderen Minderheiten gab, der von den deutschen Nationalsozialisten ausging und dass diese Tatsache somit auch zum Kanon der deutschen Geschichte gehört, das ist m.E. im demokratischen politischen Spektrum von links bis rechts heute unbestritten.
Der 27. Januar sollte somit also genauso zum Gedenken der Deutschen Geschichte gehören, wie z.B. der 18. Januar mit der Gründung Preußens 1701 und der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871.
Umgekehrt gilt das natürlich auch. Ein 18. Januar gehört genauso zum Gedenken der Deutschen Geschichte wie ein 27. Januar.
Würde dieser Satz von linker Seite bereits durch Gleichsetzung als Provokation empfunden werden? Natürlich sind und bleiben es völlig unterschiedliche Anlässe für Gedenken, so das hier auch gleich linken Versuchen ahistorischer „Linienziehungen“ vom 18. zum 27. Januar ein Riegel vorgeschoben werden soll.

Der kürzlich verstorbene Bundespräsident Roman Herzog sagte in der Proklamation zu dem neu geschaffenen Gedenktag 1996: „Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“

Kann es irgendwann mal eine endgültige Form des Erinnerns geben, die in die Zukunft wirkt? Wer sollte endgültig festlegen, wann wir diese Form gefunden haben?
In einer repräsentativen Demokratie muss also die Frage nach der geeigneten Form des Gedenkens von den Volksvertretern und letztlich von jedem Einzelnen diskutierbar bleiben.
Wenn sich Angst breit macht, dieses hochemotional und symbolisch aufgeladene Thema überhaupt noch anzusprechen, dann dürfte bereits etwas falsch laufen.

Da ein neutral moderierter und konstruktiver Dialog zwischen der demokratischen Rechten und Linken in diesem Land aktuell nirgends öffentlich stattfindet, hat sich ein großer Berg gegenseitiger Verdächtigungen angestaut, dessen einzeln herumliegende Brocken ich hier gern mal etwas genauer beleuchten würde.

Linke unterstellen als Generalverdacht quasi auch allen demokratischen Rechten einen latenten Wunsch die nationalsozialistischen Verbrechen zu verharmlosen oder Schlimmeres, selbst wenn Rechte gar nichts Derartiges äußern.
Grund dafür ist oft auch die folgende Argumentation: Wenn es den § 130(3) StGB nicht gäbe, dann würden sicher alle Dämme brechen. (Der Pro und Contra-Streit von Verfassungsrechtlern zum § 130 StGB soll hier nicht weiter thematisiert werden, obgleich er auch sehr interessant ist. Siehe Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Volksverhetzung )
Solche pauschalen Verdächtigungen verbitten sich Rechte zu Recht, denn solch ein nicht näher begründeter Generalverdacht und eine entsprechende Argumentation sind immer unredlich, egal von wem sie nun ausgehen.

Konstruktiver Dialog ist nur möglich, wenn man Aussagen des politischen Gegners grundsätzlich als klare Aussagen gelten lässt und nicht weiter Dinge hineindeutelt, die gar nicht gesagt wurden.
Nun gibt es zweifelsohne Rechte, die nationalsozialistische Verbrechen verharmlosen oder gar leugnen wollen, vermutlich weil sie glauben, nur so der von links häufig postulierten, immer währenden persönlichen Erbschuld jedes Angehörigen des deutschen Volkes  entkommen zu können (a la Postulaten wie „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ etc.).

Ebenfalls quasi in einem Generalverdacht unterstellen Rechte nun wiederum allen Linken (wozu hierbei inzwischen selbstverständlich auch die CDU/CSU gehört) den steten Willen, die nationalsozialistischen Verbrechen genau als diese immer währende persönliche Erbschuld jedes Angehörigen des deutschen Volkes zu zelebrieren und das Gedenken so gegen den Erhalt des deutschen Nationalstaates und für ein Aufgehen im „Friedensprojekt EU“ zu instrumentalisieren (beliebtes schwarz-weiß-Motto: Nationalstaat bedeutet Krieg).

Zweifelsohne gibt es etliche Linke und ihre Lobbygruppen, welche die nationalsozialistischen Verbrechen als eine politische Universalwaffe zu instrumentalisieren trachten.
Jugendliche die „Nie wieder Deutschland!“, „Deutschland verrecke!“, oder „Bomber Harris, do it again!“ rufen, tun dies sicher auch, weil ihnen eine vermeintlich unerträgliche Erbschuld mit ihrem Deutschsein eingegeben wurde und sie diese Last psychologisch nicht anders ertragen können und wollen als ihre Geburtsnation zu negieren.
Es gab auch Begründungen der Art: “ wegen Auschwitz sind gerade wir Deutschen verpflichtet, jeden Asylbewerber der Welt in unser Land zu lassen“. Wenn das keine Instrumentalisierung ist, dann weiß ich auch nicht mehr, was es sein soll.
Das müssten eigentlich auch wohlmeinende Linke einsehen.
Andererseits könnten Rechte auch die Bedeutung der „Nazikeule“ bei der „Selbstabschaffung“ des deutschen Volkes überschätzen.
Wieso sonst, schafft sich z.B. das seit dem 30-jährigen Krieg überwiegend nette Völkchen der Schweden, mit mindestens dem gleichen Elan ab wie wir. Sag jetzt bitte keiner, die Schweden wären unintelligenter. Eventuell sind sie noch etwas sozialdemokratischer. Allen gemeinsam ist wohl ein gerütteltes Maß an westlicher Dekadenz.

Vielleicht sollten alle Seiten dazu einfach mal etwas abrüsten und auch zur Kenntnis nehmen, was z.B. im Redetext von Bundestagspräsident Lammert (CDU) zum 27.Januar 2015 stand: „Meine Damen und Herren, für die schreckliche Vergangenheit unseres Landes sind die Nachgeborenen nicht verantwortlich, für den Umgang mit dieser Vergangenheit aber schon.“
(Link: https://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/2015/002/357470 )
Dass der Kreis der handelnden Täter nicht das gesamte damalige deutsche Volk, sondern nur einen Teil davon umfasste, ändert ja nichts an der historischen Verantwortung, denn bei vielen anderen historischen Ereignissen der deutschen Geschichte war das auch nicht anders.
Man sollte aber zu Herrn Lammerts Rede noch ergänzen, dass nicht nur die Nachgeborenen keine Schuld, sondern auch die Erlebnisgeneration nur dann Schuld auf sich geladen hat, wenn sie einen Entscheidungsspielraum hatte, und innerhalb dessen dann individuell schuldig geworden ist.
Eigentlich ist diese Aussage eine Selbstverständlichkeit, denn andernfalls wäre das ganze Gedenken nur ein großer Ablasshandel 2.0, den eine Politikerkaste gegenüber dem Volk betreibt und wir bräuchten dann im Lutherjahr auch einen neuen Luther 2.0, der das Gedenken reformiert, was natürlich nicht bedeuten soll, es mit einem Schlussstrich völlig abzuschaffen.
Der Götter sei Dank, gibt es heute in unserer modernen Zivilisation keine Sippenhaft mehr und somit auch keine ewige Erbschuld nachgeborener Deutscher.
Bundespräsident Gauck erwähnte diesen universalistischen Grundsatz auch in seiner Rede beim „Gedenk-Gottesdienst zum türkischen Völkermord an Armeniern, Aramäern und Pontos-Griechen“ am 23.04.15 (Zitat): „Indem wir erinnern, setzen wir niemanden, der heute lebt, auf die Anklagebank. Die Täter von einst leben nicht mehr und ihren Kindern und Kindeskindern ist jene Schuld nicht anzulasten.“ (Link: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gaucks-rede-zum-voelkermord-in-armenien-im-wortlaut-13555237-p3.html ).

Es gibt also keine persönliche Schuld nachgeborener Deutscher, aber es gibt historische Verantwortung diesen deutschen Völkermord bei der Betrachtung der wechselvollen deutschen Geschichte einzuschließen, um somit „jeder Gefahr der Wiederholung entgegenzuwirken“, wie Roman Herzog es formulierte.

Neben der Trauer besteht der Kern des Gedenktages also darin, der Wiederholung von Rassenwahn und Völkermord entgegen zu wirken.
Da die Zahl der persönlich betroffenen Opfer und ihrer nächsten Angehörigen immer mehr abnimmt, kann es sich bei der Trauer immer weniger um eine persönliche Betroffenheit handeln, sondern eher um rationale und symbolische Trauer. Das sollte nicht als Mangel aufgefasst werden, ist es doch nur natürlich und deshalb sollte gerade nicht versucht werden, es durch verstärkte und künstlich erzeugte Emotionalität zu kompensieren.
Eine Trauer persönlich nicht betroffener Menschen kann nie so sein, wie die Trauer persönlich Betroffener. Dass ist kein Mangel an Anteilnahme sondern Aufrichtigkeit und somit das genaue Gegenteil von Heuchelei.
Das gilt natürlich universalistisch für alle Nachgeborenen, unabhängig vom historischen Ereignis, so z.B. auch bei den vielen Toten der planmäßigen alliierten Bombenangriffe auf zivile deutsche Wohngebiete in großen Städten.

Die Nationalsozialisten die Juden nicht als religiöse Gegner verfolgt, sondern allein aus biologisch-rassischen Gründen.
Das 25 Punkte Programm der NSDAP vom 24. Februar 1920 führte unter Punkt 4 aus:
„Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“ (Link: http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html )

Die vielbeschworene Lehre aus der Geschichte am Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus müsste also an erster Stelle lauten:
„Nie wieder biologischer Rassismus!“.
Diese Aussage sollte eigentlich einen problemlosen Konsens aller Demokraten ermöglichen.
Der Zusatz „biologischer“ zum Rassismus ist heute leider notwendig, da das Bestreben besteht, den Begriff Rassismus auf jegliche Diskriminierung auszuweiten, was ein extra Thema wert wäre.
Ob solche Ausweitung des Rassismus-Begriffs dem Gedenken am 27. Januar förderlich ist, mag jeder für sich selbst entscheiden.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Markus Evers

Ich kann Autor Thwellert nur zustimmen, komme ich wahrscheinlich aus der gleichen Generation wie er.
Wenn mit der Erinnerungsindustrie kein Geld mehr zu machen wäre, wäre ganz schnell Schluss damit.
Man stelle sich vor, die Russen würden uns "erinnern" wollen: aus diesem Volk sind viermal so viele Bürger im 2. Weltkrieg umgekommen, im Vergleich zu den Juden. Und, haben wir sie schon einmal gesehen, wie sie mit dem Finger auf uns gezeigt haben?

Gravatar: Leo Pold

Also ich finde den "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ sehr wichtig. Wir dürfen niemals vergessen, was unsere Vorfahren den Andersdenkenden angetan haben. Und damit soetwas auch ganz bestimmt nie nie nie wieder vorkommt, sollten wir den Gedanktag nutzen und Volksfeste mit den wenigen Hienterbliebenen und deren Nachfahren feieren. Ganz im Sinne der großen der Amerikanisch/Deutschen Volksfeste, würde ich mir wünschen, dass wir zum Beispiel Deutsch/Jüdische oder Deutsch/Sinti und Roma oder Deutsch/Homosexuelle Volksfeste feieren, damit so etwas schlimmes nie wieder in Deutschland möglich wird. Ich sehe schon den Besucheranstrom auf Wiesen und Wasen und die große internationale Resonnanz auf diesen wahrlich der Völkerverstänigung bahnbrechenden Ansatz.

Gravatar: Thwellert

Der Artikel ist zwar anschaulich, aber m.E. viel zu stark "verwissenschaftlicht" und zu sehr "Bierernst".

Ich habe als Nachkriegsgeborener, als einer, der schon immer hier lebte, einfach die Schnauze bis über beide Ohren voll von dem ewigen Gejammer und lamentieren.

Da meine Eltern selbst Kinder waren im Krieg, haben diese mir schon frühzeitig gesagt, das ich mir von niemandem eine Schuld aufschwatzen lassen soll, für das, was in den"1000" Jahren Deutsches Reich geschehen ist. Es war ein schweres Unrecht, sagten sie.
Aber damit solle ich mich nicht zu sehr belasten. Und das tat ich auch nie. Das ist einer der wenigen Punkte wofür ich meinen Eltern heute noch dankbar bin.

Trotzdem kann man als Deutscher in Deutschland dieser unendlichen, niemals endenden Kollektivschuld nicht entgehen. Überall, in den staatsgelenkten Medien, in den Schulen und Universitäten, in den Sportvereinen, Verbänden, Gewerkschaften und, und, und...ist man
ständig und täglich diesem Brainwash der Kollektivschuld ausgesetzt.

Und wenn mal irgend jemand eine vorsichtige Kritik an dem im mehr übertriebenen Schuld-Kult der Deutschen Gesellschaft fallen lässt, dann schreien zuerst alle jüdischen Verbände und Funktionäre sofort entsetzt auf!
Gleich danach stimmen die Establishment-Politiker empört mit ein. Linke, Grüne und Sozen schreien hysterisch und eher reflexhaft nach Bestrafung der Leugner, auch dann, wenn man gar nicht
geleugnet hat.

Der laute Aufschrei ist auch deshalb so laut, weil die Angst besteht, das irgendwann einmal auch
die unzähligen monetären Wiedergutmachungen in Frage gestellt werden könnten.

Das bei jeder noch so harmlosen Unmutsäußerung zu dieser pausenlosen Schuld-Indoktrinierung sogar
das Strafrecht zur Meinungsäußerung angepasst worden ist, trifft den Gipfel staatlicher Perversion. Die grundgesetzlich zugesicherte freie Meinungsäußerung wurde zu diesem Thema ausnahmsweise eingeschränkt. Das war der Anfang vom Ende der Demokratie in Deutschland. Die freie Meinungsäußerung wurde seitdem immer weiter beschnitten, weil es ja soviele wichtige Gründe dafür zu geben scheint. Und jetzt leben wir im Zeitalter der Zensur. Das hätte vor 25 Jahren kein Deutscher für möglich gehalten, das wir mit dem Unrechtssystem der DDR einmal in ganz Deutschland in Konkurrenz stehen würden.

Mir - und Millionen anderen Deutschen - liegt es fern, die Deutsche Geschichte in Frage zu stellen.
Aber es muß erlaubt sein in diesem Land nach dem zweiten Weltkrieg, einmal auch einen Anfang vom Ende der Schuld definieren zu dürfen. Ich und Millionen andere Deutsche haben einfach die Schnauze bis zur Hutkrempe voll, damit belästigt zu werden. Mit einer Schuld, die nicht unsere ist.

Es gibt aufdringlich viele Gedenkveranstaltungen zum Holocaust und unanständig viele Gedenktage zu den damaligen Geschehnissen. Ich verurteile die Schandtaten der Nazis ebenso, wie die allermeisten
Menschen. Aber: Es reicht! Es ist genug! Man wird ja neurotisch davon!
Die Forderer des ewigen Gedenkens sorgen mit ihrem Zwang und Druck auf die nachfolgenden Generationen, ewig daran zu denken, das diese sich im Gegenteil mit Macht davon befreien wollen. Befreien von einer Erblast, die auch die Zukunft verhindert.

Björn Höcke hat m.E. nicht weise formuliert, als er die kürzlich für Empörung sorgende Rede hielt, die das Mahnmal mitten in Berlin benannte. Es mag sein, das er die Diskussion dazu anschieben wollte. Das ist ihm dann auch gelungen. Nur eben hätte das etwas subtiler geschehen können, ohne sich mißverständlich
ausdrücken zu müssen. Denn wenn man ihn so interpretiert, wie es halt auch 'rüberkam, dann hat er Recht.
Denn es ist ein scheußlicher Anblick inmitten meiner Heimatstadt. Ich, als Nachkriegsgeborener, der sich
keine Schuld aufschwatzen ließ, fühle mich zu Unrecht bestraft mit diesem Schandmal. Denn es ist ja ein
Mal der eigenen Deutschen Schande. Ich fühle mich in Sippenhaft genommen von den Verursachern dieses Schandmals.
Gleichzeitig soll mir damit ein Weg in die Freiheit erschwert oder gar unmöglich gemacht werden.

Aber mir geht damit das immer wieder von mir selbst hochgehaltene Verständnis für das Thema verloren. Ich kann und will nichts mehr davon wissen. So weit ist es gekommen, wenn man fast 70 Jahre lang auf die Menschen mit einer Schuld der Vorfahren auf diese eindrischt. Dann haben sie eben irgendwann einmal die Schnauze voll. Punkt.

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