Führungspositionen in der Wissenschaft

 

Ein Wort feiert in der Wissenschaft einen Siegeszug: „Führungsposition“. In der Wissenschaft geht es aber nicht um Führungspositionen, sondern um Ideen, Erkenntnisse und Forschung.

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Das Wort „Führungsposition“ hat sich in allen relevanten Bereichen unserer Gesellschaft fest eingebürgert. Auch in der Wissenschaft wird er wie selbstverständlich verwendet – als ob es dort in erster Linie um Führung beziehungsweise um die Erlagung einer Führungsposition ginge!

Unsere Medien spielen dabei wie so oft eine verhängnisvolle Rolle. Sie verwenden das Wort völlig unreflektiert und unkritisch. Es entsteht der Eindruck, eine „Führungsposition“ sei das Wichtigste in der Wissenschaft, das wichtigste Ziel des Wissenschaftlers.

Natürlich braucht man in der Wissenschaft Menschen, die andere Menschen leiten. Professoren leiten Studenten an. Es gibt Fachbereichs- und Institutsleiter. Andere Wissenschaftler leiten Forschungsteams, wiederum andere stehen an der Spitze von wissenschaftspolitischen Organisationen. Ob die letzteren in der genannten Funktion noch Wissenschaftler sind, ist fraglich. Sie sind eher Wissenschaftspolitiker.

„Führung“ ist für einen echten Wissenschaftler etwas völlig Nebensächliches, eine Aufgabe, die er noch neben seiner eigentlichen Tätigkeit übernehmen kann, ein notwendiges Übel, das ihn von seiner eigentlichen Aufgabe, der wissenschaftlichen Forschung, eher ablenkt.

Das Wort „Führungsposition“ ist in der Wissenschaft ein Unwort. Es spiegelt einen gegenwärtig in der Wissenschaft herrschenden Ungeist wider. Für viele Wissenschaftler dreht sich nämlich alles darum, eine „Führungsposition“ zu erlangen. Ihr Lebensziel ist eine Professur. Karrieremachen steht für sie über allem. Haben sie eine „Führungsposition“ erlangt, können sie dann in akademischen Gremien vertreten sein, wo Gelder und andere Privilegien verteilt werden. Gegen diese Zweckentfremdung und Instrumentalisierung der Wissenschaft regt sich kaum Widerstand.

Als Gegenbild zu dem gegenwärtig in der Wissenschaft herrschenden Ungeist möchte ich die Haltung des russisch-jüdischen Mathematikers Grigori Perelman schildern. Perelman hat ein mathematisches Jahrtausend-Problem gelöst: die Poincaré-Vermutung. Er publizierte im Jahre 2002 die Lösung des Problems nicht in einer Fachzeitschrift, wie es die Zunft verlangt, sondern im Internet. Perelman lehnte 2006 die ihm dafür verliehene Fields-Medaille, eine der höchsten Auszeichnungen in der Mathematik, ab. Auch den mit einer Million Dollar dotierten Millenium-Preis des US-amerikanischen Clay-Instituts lehnte er 2010 ab.

Perelman lebt zur Zeit bei seiner Mutter in Sankt Petersburg und ist arbeitslos. Er lehnt akademische Privilegien und Geld ab. Er möchte keine Karriere machen und keine Professur haben. Perelman pfeift auf Führungspositionen.

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