Frau Ministerin, Zeit ist Geld!

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Das Bundesfamilienministerium arbeitet derzeit am achten Familienbericht, der 2012 dem Bundestag und der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. »Zeit ist die Leitwährung unserer Familienpolitik«, so kommentierte die Familienministerin Kristina Schröder den Bericht, den die Sachverständigenkommission ihr vor wenigen Tagen übergeben hat, mit dem Titel: Zeit für Familie. Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik. Das Ergebnis ist enttäuschend und lässt nicht viel erhoffen, denn eine Tatsache wurde dabei nicht in Augenschein genommen, nämlich dass Zeit im Wesentlichen Geld bedeutet. Doch schauen wir uns an, was die Expertenkommission im Einzelnen vorschlägt, um die Zeitmisere in den Griff zu bekommen.

Zeit ist Geld. Das sieht die Ministerin offenbar anders, aus Studien glaubt sie zu wissen, der Wunsch nach mehr Zeit für Familie rangiere weit vor dem Wunsch nach mehr Geld oder nach besserer Kinderbetreuung. »Ob Familien zusammen halten, ob Eltern und Kinder füreinander da sein können, ist in erster Linie eine Frage der Zeit.« – »Ja, aber wer finanziert denn die Zeit?«, fällt einem spontan ein. Es ist ja nicht so, dass die Eltern in Deutschland deswegen keine Zeit haben, weil sie falsch damit umgehen, sondern weil im täglichen Arbeitskampf nicht viel bleibt. Weil in vielen Familien inzwischen beide Eltern gezwungen sind, arbeiten zu gehen und sie das Familienleben nicht auf zwei bis drei Stunden zwischen 17 und 20 Uhr zusammenpressen können.

In den Vorschlägen der Expertenkommission heißt es: »Vorhandene Reserven bei der Verwendung von Zeit sollten auf eine sozialverträgliche Weise nutzbar gemacht werden, um Familien zu entlasten. Mehr Zeitsouveränität von Eltern kann etwa durch den weiteren Ausbau der Betreuungseinrichtungen oder durch die Gestaltung von Arbeitszeit erreicht werden. Dabei dürfen betriebliche Notwendigkeiten nicht außer Acht gelassen werden.«

Zunächst einmal ist die Frage, wo die vorhandenen Zeitreserven sind. Das klingt so nach Leerlaufphasen, die man sinnvoller strukturieren muss. Ich kenne keine Familie, die derartige versteckte Zeitreserven irgendwo entdecken kann im meist schon überfüllten Alltag. Es geht bei Familien also nicht darum, versteckte Zeit anders oder sinnvoller zu nutzen, sondern ihnen neue Zeitfenster zu öffnen und möglich zu machen. Da Zeit in der Regel deswegen nicht da ist, weil die Eltern arbeiten müssen, ist also mehr Zeit für die Familie grundsätzlich nur möglich, wenn weniger gearbeitet wird, ergo weniger verdient wird und da sind wir wieder am Anfang: Zeit ist Geld, denn irgendjemand muss den Fehlbetrag ja ausgleichen.

Nahezu seltsam dann die Empfehlung, dass mehr Familienzeit möglich gemacht werden soll durch den weiteren Ausbau der Fremdbetreuung. Fremdbetreuung zeichnet sich explizit dadurch aus, dass die Familie eben keine Zeit miteinander verbringt, sondern mit Fremden. Was man jedoch in der Tat in Augenschein nehmen könnte, wäre die Umstrukturierung der derzeitigen Fremdbetreuungseinrichtungen wie Kita oder OGS.

Hierzu wäre es gut gewesen, einfach mal ein paar Eltern, anstatt wissenschaftliche Experten, zu befragen, wie man ihnen mehr Zeit verschaffen könnte. Denn das Problem von Eltern ist oft nicht die fehlende Betreuungseinrichtung, sondern ihre nicht vorhandene Flexibilität.

Ein paar Beispiele aus der Praxis: In nahezu allen Kindertagesstätten müssen Sie ihr Kind bis spätestens neun Uhr morgens bringen und bis spätestens 16:30 Uhr abholen. Durchbrechen Sie eigenwillig als Eltern dieses System und bringen Ihr Kind erst um elf Uhr – was zwei Stunden mehr Familienzeit bedeuten würde – werden Sie spätestens nach dem zweiten Mal gerügt, weil es nicht in den Kindergartenablauf passt. Wenn ich aber erst um elf Uhr zur Arbeit muss, warum muss ich mein Kind schon um neun Uhr wegbringen? Was ist mit Eltern, die erst ab 14 Uhr arbeiten in einer Halbtagsstelle, aber dafür bis 19 Uhr Betreuung brauchen? Für die haben wir überhaupt nichts anzubieten von staatlicher Seite.

Eine ähnliche Problematik ergibt sich, wenn Sie zum Beispiel nur drei Tage die Woche arbeiten und ergo auch nur an drei Tagen die Betreuung brauchen: Bezahlen müssen Sie dennoch die ganze Woche. Nur wenige Einrichtungen – meist in privater Hand – erlauben da eine differenzierte Abrechnung. Hier vergeuden Eltern wiederum Geld, für Zeit, die sie in der Familie verbringen wollen.

Wenn Sie Ihr Kind zum Beispiel in einer offenen Ganztagsschule  (OGS) in NRW anmelden, weil Sie es bis mittags um 13 Uhr, wenn Kinder in der Regel Schulschluss haben, nicht nach Hause schaffen, dann muss Ihr Kind jeden Schultag bis 16 Uhr dort bleiben. Sie dürfen es auch nicht früher abholen, wenn Sie zum Beispiel um 14 Uhr da wären, oder auch nicht an allen Tagen arbeiten und teilweise sogar schon um 13 Uhr zu Hause sind. Auch hier wiederum müssen Sie Zeit in der OGS bezahlen, die Sie eigentlich gar nicht brauchen und dürfen im Gegenzug Ihr Kind noch nicht einmal abholen, obwohl Sie Zeit hätten.

Ich kenne persönlich einige Familien, die ihre Kinder nur deswegen in einer OGS angemeldet haben, weil sie eine sichere Betreuung in den Ferienwochen brauchen. Im normalen Alltag würden Sie sich mit anderer Hilfe arrangieren, wissen aber nicht, wie sie die zahlreichen Ferientage überbrücken sollen, weil der Jahresurlaub nicht ausreicht. Auch hier müssen die Kinder dann das ganze Schuljahr über in die OGS, unabhängig davon, ob die Eltern zu Hause bereit stünden. Die Eltern müssen das ganze Schuljahr bezahlen, wirklich brauchen tun sie allerdings nur die Ferien.

Wieso gibt es nicht schon längst eine zuverlässige Betreuung nur in den Ferien? Warum ist man in manchen Bundesländern flexibel und ermöglicht Abholung dann, wenn die Eltern Arbeitsschluss haben, und warum ist das in anderen Bundesländern nicht möglich?

Zumindest hat man in der Expertenkommission erkannt, dass die Betreuungseinrichtungen nicht auf die Arbeitszeiten der Eltern abgestimmt sind: »Eine solche Abstimmung kann in den meisten Fällen am besten auf kommunaler Ebene erfolgen. Lokale Zeitpolitik ist ein integraler Bestandteil familienbezogener Zeitpolitik« heißt es in dem Bericht. Im Klartext bedeutet das jedoch, dass jede Gemeinde ihr eigenes Süppchen kocht – oder auch nicht. Dieses Problem ist nicht kommunal zu lösen, sondern nur mit einer klaren Ansage von oben aus dem Ministerium, dass sich Betreuungseinrichtungen grundsätzlich an den Bedürfnissen der Familien auszurichten haben und nicht umgekehrt die Familien sich den festen Vorgaben der Einrichtungen beugen müssen.

Als weiteren Punkt für mehr Zeit in der Familie empfiehlt die Kommission, familienunterstützende Dienstleistungen besser zugänglich zu machen. Sprich, Haushaltshilfen aller Art, damit mehr Zeit für die Familie bleibt. Dazu müssten »sowohl Informations- als auch Kostenfragen gelöst werden«. Na, wenigstens hier kommt doch der Hinweis, dass das Geld kostet. Dass der Gärtner nicht umsonst kommt und die Putzfrau auch nicht. Man darf gespannt sein, wie die Kostenfrage gelöst wird, denn in der Regel haben die Familien das Geld nicht. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn um Geld für Dienstleister zu haben, müsste man noch mehr arbeiten und hätte noch weniger Zeit für die Familie.  Auch hier ist also Zeit einfach nur Geld, das aber nicht bereit steht.

Als eine Lösung sieht man in der Kommission die Mobilisierung der älteren Generation, die in der Regel deutlich mehr Zeit hat. Dazu sollen die bereits bestehenden Mehrgenerationenhäuser genutzt werden, Kommunen sollen »Platzbörsen« für Ältere fördern. Der Bundesfreiwilligendienst soll noch mehr ältere Menschen mobilisieren und insgesamt sollen sich die Kommunen »stärker am Gedanken einer fürsorgenden Gemeinschaft (Caring Community) orientieren.« Sprich, das ehrenamtliche Engagement soll gefördert werden und das vor allem bei älteren Menschen. Nun ist diese Generation in der Regel sowieso schon deutlich mehr engagiert als die jüngere, die sich in der Arbeitswelt aufhält. Und auch hier können wir nicht erwarten, dass Senioren völlig unentgeltlich helfen. Wenn ich also eine freundliche Oma in der Nachbarschaft gefunden habe, die mir bei der Betreuung meiner vier Kinder hilft, so kann ich ja nicht erwarten, dass sie es auf Dauer völlig unentgeltlich tut.

Das ganze schöne Konzept von mehr Zeit für Familie scheitert, wenn man dafür nicht auch mehr Geld zur Verfügung stellt. Eine Lösung wäre denkbar einfach: Überlassen wir doch den Familien die Wahl, wie sie das Geld für Betreuung und Dienstleistung einsetzen wollen. Das fördert individuelle Lösungen, die Eigenverantwortung, die Flexibilität und den Dienstleistungssektor. Gebt den Familien die Wahl, wie sie das Geld einsetzen wollen, das der Staat sowieso bereit ist auszugeben. Noch mal zur Erinnerung: Ein Kitaplatz kostet in der Regel knapp 1.000 Euro im Monat, und auch die Ganztagsschulen und die subventionierten Schulen verschlingen gigantische Summen. Warum soll die Familie von dem gleichen Geld nicht die freundliche Oma, die flexible Tagesmutter, das Kindermädchen, die Babysitterin, die auch bis acht Uhr Zeit hat, oder die Haushaltshilfe, die Mittagessen kocht, wenn Mama und Papa arbeiten müssen, bezahlen können? Warum dürfen sich Familien nicht eine Betreuung – und das sogar in den eigenen vier Wänden – finanzieren dürfen und sind stattdessen gezwungen, das starre System der staatlichen Betreuung zu nehmen? Warum lassen wir ihnen nicht die Wahl?

Beim derzeitigen Stand können sich diese Familien so etwas nicht leisten. Denn die Kita wird staatlich subventioniert, ist also für die Familie bezahlbar, das Kindermädchen wäre es nicht. Die Familien würden die Kosten privat begleichen müssen, was sie sich normalerweise nicht leisten können. Das geplante Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro monatlich ist noch nicht einmal sicher und würde auch nicht reichen. Es ist auch gar nicht einzusehen, warum eine Familie, die die Kita nutzt, mit knapp 1.000 Euro monatlich subventioniert wird, die Familie, die selbst betreut oder eine Tagesmutter sucht, aber nur 150 Euro bekommen soll, und das auch nur ein Jahr lang. Jedes Kind sollte dem Staat gleich viel wert sein und jede Familie auch. Wenn wir also mehr Familienzeit schaffen und möglich machen wollen, dann müssen wir endlich alle Familien fair behandeln, und das bedeutet im Klartext: Gleiches Geld, egal für welche Betreuungslösung sich eine Familie entscheidet.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.frau2000plus.net

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Yussuf K.

Wenn ich lese "Familienbericht", dann weiß ich jetzt schon, dass nichts über entsorgte Väter und das Schicksal der Trennungskinder zu lesen sein wird, denn der Bericht kommt aus einem Ministerium, in dem der Mann von der Volljährigkeit bis zum Renteneintritt regelrecht ignoriert wird. Männer gibts einfach nicht. In diesem feministisch infiltrierten und ausgerichteten Ministerium gibts ein Referat 408 "Männer-/Jungenpolitik" welches von einer Frau "geleitet" wird, die vor Amtsantritt offen feministische Interessen vertreten hat. Also Männer, diese Frau wird sich für euch und eure Interessen gehörig ins Zeug werfen!!! Nee, war nur ein Spass. Sicher wird sie am Fenster sitzen, die Enten in der Spree zählen und den Feierabend herbeisehnen. In diesem Frauenministerium muss man sich nicht verantworten, wenn man nichts für Männer macht, sondern wenn man etwas für Männer macht.

Auf unserer Website www.vaeterentsorgung.de.vu haben wir unter Forderungen an erster Stelle, die Abschaffung dieses Ministeriums gestellt.

Sind wir jetzt (infolge des Begleittextes zum TBEG) mit unserer berechtigten Kritik bereits als terrorverdächtig eingestuft?

Egal, der Kampf für die Rechte der Väter & Kinder wird weitergehen.

Gravatar: Kerstin

Susanne: Schaffen wir doch Kita und Ganztagsschule ab. Verteilen wir diese Einsparungen an die Familien, dann können sie selbst entscheiden, wie die Betreuung individuell stattfinden soll.
Wir sollten auch mal Ganztagsschulen kritisch hinterfragen. Ohne die Freiheit unserer jungen Menschen, die durch Ganztagsschulen sehr früh eingebunden sind in starre Tagesstrukturen, verliert sich die Zeit für eigenständige Kreativität und ohne die Kreativität verliert sich die Erkenntnis und somit der Fortschritt. Meine Frage an die Lehrer vor Ort, ob denn die Ganztagsschüler augrund der längeren Verweildauer in dieser staatlichen Bildungseinrichtung bessere Noten hätten als die Halbtagsschüler, wurde verneint. Warum sollten wir sie dann deutschlandweit einführen? Nur um weitere Verwahrungsplätze für Kinder zu schaffen, denen die Bezugspersonen fehlen, weil die Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung auf die Mütter als Arbeitskräfte angewiesen sein wird, bzw. die Mütter aufgrund der überaus schlechten Ausstattung der Familien mit finanziellen Mitteln gezwungen sind zu arbeiten. Opfern wir die familiären Bindungen nicht der vermeintlichen Bildung. Manchmal habe ich das Gefühl wir "bilden uns krank".

Gravatar: Susanne

Gerne würde ich Frau Kelle als Leiterin einer KITA-Gruppe oder Schülergruppe der Ganztagsschulbetreuung sehen, in der jedes Kind gerade dann kommt und geht wie es den Eltern beliebt. Die Nerven von Frau Kelle würden das Gehen-Und-Kommen-Chaos wohl nicht lange mitmachen, von einem sinnvollen Miteinander in den Gruppen ganz zu schweigen. Gott bewahre uns vor Phantasten wie Birgit Kelle.

Gravatar: Kerstin

Liebe Frau Kelle, es wäre zu schön, wenn Sie sich den Posten mit Frau Schröder teilen könnten, dann hätte Frau Schröder Zeit für ihr Kind und wir garantiert eine gesunde, der Familie gerecht werdende Familienpolitik. Ihre zahlreichen fabelhaften Beiträge lassen mich hoffen. Bitte kämpfen Sie weiter.

Gravatar: solosunny

Frau Kelle, wo denken Sie denn hin: das würde doch sofort in Mißbrauch ausarten Viele Mütter würden 20 Kinder kriegen und nur noch auf der faulen Haut liegen.

Dieser ganzen Debatte kann ich mich nur noch mit bitterer Ironie erwehren.

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