Frankreichs Zukunftsängste auf der Straße

Mehr als fünfzig Gymnasien in Paris blockiert, die großen Vorlesungssäle an den Universitäten in Amiens, Grebnoble, Poitiers, Montpellier und anderen Städten besetzt, der Eiffelturm gesperrt, Autostaus mit einer Gesamtlänge von 650 Kilometern, jeder vierte Eisenbahner im Ausstand mit entsprechenden Ausfällen und Verzögerungen in ganz Frankreich

Veröffentlicht:
von

der Streik gegen den Gesetzentwurf zur Liberalisierung des Arbeitsmarktes zeigt Wirkung und wenn es in Paris nicht in Strömen geregnet hätte, wären vermutlich etliche zehntausend Studenten, Schüler, Lehrer, Gewerkschafter und Arbeitnehmer mehr auf die Straße gegangen. Es rumort in Frankreich, die Unruhe der Bürger verlagert sich wieder auf die Straße, von der niemand weiß in welche Richtung sie führt.

Hinzu kommen die politischen Rückschläge für die Regierung Hollande/Valls. Nach vier Monaten Diskussion musste sie ihren Entwurf für eine Verfassungsänderung zurückziehen. Unter dem Beifall von Parlament und Senat hatte Hollande nach den Terroranschlägen vom 13. November angekündigt, französischen Terroristen die Nationalität und Bürgerrechte abzuerkennen. Dann meldete sich Widerstand in den eigenen Reihen, die Justizministerin trat (auch) deswegen zurück, der Entwurf wurde modifiziert, was die bürgerliche Mehrheit im Senat zurückwies, die Mehrheit für eine entsprechende Verfassungsänderung war fraglich. Schon wegen dieser Niederlage kann Hollande das Arbeitsgesetz nicht auch noch zurückziehen. Dann kann er gleich ganz abtreten, zumal das Gesetz schon weitgehend entschärft ist. Er wird es im Parlament durchfechten müssen.

Bedenklich ist aber weniger die missliche Lage des Präsidenten. Seine Zeit läuft ab. Bedenklich ist das plötzliche Engagement so vieler Studenten und Schüler. Die jungen Leute sind von dem Arbeitsgesetzt nicht unmittelbar betroffen. Aber sie denken weiter: Viele bekommen trotz akademischer Abschlüsse keine unbefristeten Verträge. Sie hangeln sich mit Praktika und Kurzzeitverträgen durch. Ohne unbefristete Verträge jedoch ist es nahezu unmöglich, ein Konto zu eröffnen oder eine Wohnung zu mieten. Damit kann man eine Zeitlang vielleicht noch leben und die Liberalisierung des Arbeitsmarktes könnte genau diese Missstände beseitigen helfen. Aber das Unbehagen der Jugend hat noch tiefere Wurzeln. Die Politik macht Gesetze wie die Unternehmen ihre Verträge, alles ist von kurzer Dauer.

Kaum ein Politiker von links oder rechts denkt weiter als bis zum nächsten Wahltermin. Die Alterung der Gesellschaft, die Kulturbrüche, die heranwogenden Flüchtlingswellen, die kleinlichen politischen Ränkespiele trotz globaler islamistischer Bedrohung – all das schafft ein Klima der Unsicherheit, der  Zukunftsängste. Und auf dem Kamm der Angstwellen segelt ein Präsident ohne Ziel, geschoben, gezogen und getrieben von den Böen persönlicher und parteilicher Machtpolitik. Wenn man diese Zukunftsängste in den warmen Räumen der Präsidenten-und Premierpaläste nicht erkennt, kann die Revolte demnächst auch die Institutionen erfassen. Früher waren es nur Klassenunterschiede, heute kommen noch Generationenunterschiede hinzu. Dieser Cocktail ist explosiv. Der polternde Protest kann zur Revolte taumeln. Frankreich braucht Führung, das Gefühl einer starken Hand, die Recht und Ordnung und Zukunft garantiert. Die Straße verträgt keine Zauderer. Elysee und Matignon sind nicht so sturmfest wie man in ihren weichen Fauteuils sitzend glauben mag. Symptomatisch ist das Schweigen rechtsaußen. Marine Le Pen wartet ab. Auch sie hat momentan keine wirklichen Lösungen zu bieten. Aber mehr als abwarten braucht sie angesichts des Desasters der Politik derzeit nicht tun.

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Fester

Ich halte mich viel in Südfrankreich im Departement 13 auf.Vorzugsweise Marseille zur Zeit.

Mein Französisch ist nicht das Beste, jedoch wenn man mich fragt woher ich komme - Deutschland- bin ich willkommen. Warum? Wenn die Bevölkerung quer durch alle Nationen und Religonen kennt ist? Angela Merkel! Ihre Wertschätzung ist enorm Hoch bei der französischen Bevölkerung. Bei meiner Nachfrage warum erhalte ich oft die gleiche Antwort: Weil Sie für den Franzosen ausgleichend und Fair wirkt - und auf jegliche Form von Alüren verzichtet und wenn es darauf ankommt hinter ihrer Meinung steht und Sie diese besser vermitteln kann.

Die Reformen unseres Arbeitsmarkts wurden nach und nach dürchgeführt - schmerzfreier. Das was Hollande und Valls dort versuchen war erst die Brechstange und jetzt ein wenig Nadelstiche - viele Beschlüsse von der Aktuellen Regierung haben keine lange Lebensdauer oder sind erst gar nicht durchsetzungsfähig, da diese Ihre eigene Demokratie aus den Angeln heben würde.

Ein Land mit einer Regierung mit vielen Versprechen die keine eingehalten hat und die soziale Gerechtigkeit erfährt Ihren Ausdruck über massiv erhöhte Steuern bishin zu dem Arbeiter mit geringstem Einkommen!

Der Franzose erträgt so manches nur dies nicht mehr!

Mit freundlichen Grüßen Volkmar Fester

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang