Feigheit vor dem Klassenfeind

Der Organisator des Weltwirtschaftsgipfels, der Deutsche Klaus Schwab, stellte in Davos den Kapitalismus und die Globalisierung in Frage. Doch er macht es sich zu leicht. Wo bleiben die Stimmen der Wirtschaft?

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Der Organisator des Weltwirtschaftsgipfels, der Deutsche Klaus Schwab, stellte in Davos den Kapitalismus und die Globalisierung in Frage. Das war für mich keine Überraschung, ist er doch immer schon gern dem Zeitgeist hinterhergelaufen.

atürlich war das nicht nur eine Gelegenheit für Linke, sondern auch eine für sogenannte Querdenker und sich öffentlich gern nachdenklich Gebende, mit den Advokaten der Freiheit, des Individualismus und der Selbstverantwortung abzurechnen. Das Versagen der Politik, den Finanzsektor so zu regulieren wie in der Realwirtschaft längst geschehen, macht es ihnen leicht. Dass die in Davos versammelten deutschen Wirtschaftsführer es ihren ausländischen Kollegen überließen, die Marktwirtschaft und die Globalisierung öffentlich zu verteidigen, ist typisch für die „schweigende Mehrheit“ auf deutschen Vorstandsetagen. Grossmann und Reitzle sind rühmliche Ausnahmen.

Ähnlich wie in Diskussionen über die Energiewende und den Euro, bei denen viele Wirtschaftsführer unter vier Augen das genaue Gegenteil von dem sagen, was sie öffentlich von sich geben, engagiert sich kaum einer von ihnen noch öffentlich für Marktwirtschaft und Globalisierung: nicht in Talk Shows, nicht einmal in Davos.

Dabei lässt sich unser Gesellschaftssystem so einfach verteidigen. Hier ist etwas Nachhilfeunterricht:

Dass durch den internationalen Handel zusätzlicher Wohlstand in den entwickelten Ländern und neuer Wohlstand in den Schwellenländern entstanden ist, sollte unter wirtschaftspolitisch Aufgeklärten Allgemeinwissen sein. Gerade Deutschland profitiert von der Globalisierung. Man braucht sich ja nur einmal vorzustellen, was bei uns los wäre, wenn wir unseren Exportüberschuss nicht hätten. Mindestens jeder fünfte deutsche Arbeitsplatz hängt von Export ab. Schon deshalb ist es seltsam, dass ausgerechnet Deutsche der Globalisierung gegenüber so kritisch und dem Euro in solch unverbrüchlicher Treue gegenüberstehen. Den Euromantikern in deutschen Vorstandsetagen sei noch einmal ins Stammbuch geschrieben: 60 Prozent unserer Exporte gehen nicht in die Euro-Zone, Tendenz: steigend, Grund: Globalisierung.

Und die Globalisierung ist nicht nur ein wirtschaftliches Phänomen. Es reisen nicht nur Waren, Investitionen und Kapital um die Welt; Ideen, Ideale und Wertvorstellungen tun dies auch. In meinen Vorlesungen an der Universität Mannheim veranschauliche ich die insgesamt segensreichen Folgen der Globalisierung immer gern durch das „Sympathische Dreieck“.

Eine Seite des Dreiecks repräsentiert die Marktwirtschaft, die ihren Siegeszug um die Welt fortsetzt. Ob mit dem Adjektiv „sozial“ davor oder in ihrer angelsächsischen Variante, die Marktwirtschaft hat sich allen sozialistischen Modellen als überlegen erwiesen.

Zur selben Zeit – und das ist die zweite Seite des Dreiecks – setzen sich, trotz Guantanamo, Hugo Chavez und dem lupenreinen Demokraten im Kreml, auch die Menschenrechte immer mehr durch. Als engagiertes Mitglied von Amnesty International sehe ich in den Jahresberichten, dass sich die Menschenrechtssituation in immer mehr Ländern verbessert. Die Todesstrafe ist heute in mehr Ländern abgeschafft als je zuvor. Dass sich nach der Erklärung der Menschenrechte vor 61 Jahren weltweite Standards für Menschenrechte langsam aber sicher durchsetzen, ist auch eine Folge der Globalisierung.

Der Friede reist als blinder Passagier mit um die Welt

Die dritte Seite des Sympathischen Dreiecks beschreibt die Demokratie, die sich als erfolgreichste aller unvollkommenen Staatsformen immer mehr auf der Welt verbreitet. Keine davon funktioniert ohne Marktwirtschaft. Dass sich diese Aussage auch umkehren lässt, wird mit Hinweis auf beispielsweise Russland oder China gern bestritten. Zwar hat Putin die durch seinen Vorgänger eingeleitete demokratische Entwicklung eindeutig verlangsamt, die neuesten Demonstrationen in Moskau zeigen aber, dass sich die Russen diesen neuen Zaren nicht ewig gefallen lassen.

Dass China seinen derzeitigen marktwirtschaftlichen aber undemokratischen Weg schon aus „kulturellen Gründen“ zwangsläufig weitergehen muss, wie Helmut Schmidt und viele meiner (Ex-) Kollegen immer wieder behaupten, ist seit der erfolgreichen Demokratisierung in Ländern mit ähnlicher Kultur wie Japan, Südkorea und Taiwan längst widerlegt.

Übrigens: noch nie hat ein demokratisch regiertes Land eine andere Demokratie überfallen. Mit dem „Sympathischen Dreieck“ reist auch der Friede als blinder Passagier mit um die Welt.

Und was ist mit den sogenannten Verlierern der Globalisierung, zum Beispiel Afrika?  Dieser Kontinent leidet weniger unter der Globalisierung als daran, dass diese an ihm vorbeigeht. Statt jedes Mal vor Ort betroffen über das bedauernswerte Los der Afrikaner zu jammern, sollten die diesen Kontinent besuchenden Politiker viel klarer und deutlicher auf die Einführung von Marktwirtschaft, Menschenrechten und Demokratie drängen. Unsere Globalisierungskritiker sollten nicht vor G8-Gipfeln, WTO-Veranstaltungen oder EU-Treffen, sondern vor den Botschaften jener Länder demonstrieren, deren herrschende Cliquen ihren Bürgern das Sympathische Dreieck vorenthalten.

Marktwirtschaft und Globalisierung werden nicht nur von Attac auf der Straße und wohlfeilen „Querdenkern“ in Davos in Frage gestellt. Heute sind wir Zeugen eines zunehmend schärferen Wettbewerbs zwischen dem Sympathischen Dreieck und dem Islam. Von den über 50 islamischen Ländern auf unserem Globus machen sich nur wenige auf den Weg zu Marktwirtschaft, Menschenrechten und Demokratie, wie die Türkei und die Länder der „Arabellion“. Selbst dort sind leider zunehmend Zweifel angebracht.

In allen anderen islamischen Ländern werden die Menschenrechte  mindestens der Hälfte der Bevölkerung vorenthalten. In Nigeria und Iran werden sogenannte Ehebrecherinnen gesteinigt, in Saudi Arabien dürfen Frauen nicht Autofahren, und dazwischen gibt es alle möglichen islamischen Formen der Entrechtung von Frauen und Mädchen. Marktwirtschaft Fehlanzeige und Demokratie auch.

Das Sympathische Dreieck zeigt deutlich: die Wirtschaft ist nicht alles. Da ohne Wirtschaft alles nichts ist, lohnt es sich, auch wegen der Demokratie und der Menschenrechte für den Kapitalismus einzustehen.  Wo nicht, wenn nicht in Davos?

Beitrag erschien zuerst auf handelsblatt.com

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Ricci Riegelhuth

Soweit ich mich aus meinem Geschichtsuntericht erinnere, entwickelte sich der Kapitalismus ( euphemistisch: Marktwirtschaft)aus Raub, Drogenhandel ( Beispiel:Ostindische Handelsgesellschaft), Piraterie, Sklavenhandel ( Sir Francis Drake, Puritaner etc.)und willfähriger Erpressung. Das scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Doch für unsere zukünftigen Entscheidungen von großer Bedeutung. \r\nHerr Henkel hat in den letzten Jahrzehnten häufig Vehemenz in Dingen gezeigt die er ebenso gern wiederrief. Na denn!

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