Vor gut einem Monat habe ich zuletzt über eine Papstkatechese zur Familie geschrieben, und auch wenn der Papst die Problemsituationen der Familien nicht ausgespart hat, konnte einen doch das Gefühl ereilen, er zeichne ein Idealbild der Ehe und der Familie, das so kaum lebbar ist. Am gestrigen Mittwoch dagegen ging es auf dem Petersplatz um die Notwendigkeit des Zusammenhalts einer Ehe, mit einem Fokus auf die Wirkung von Verwerfungen auf die Kinder.
Bei den Erläuterungen des Papstes wird zunächst deutlich, wie schwerwiegend auch die Entscheidung zur Ehe ist, bei der sich die Partner dem jeweils anderen ganz öffnen. Diese Öffnung macht verletzbar, und diese Verletzungen können tiefergehend sein als die aus anderen persönlichen Beziehungen (Zitate hier und im Folgenden von Zenit):
Wir wissen sehr gut, dass in jeder Familiengeschichte Momente vorkommen, in denen die intimsten Gefühle zwischen den einander nahestehenden Menschen durch das Verhalten ihrer Mitglieder gekränkt werden. Durch Worte und Taten (sowie Unterlassungen!), wird Liebe nicht entgegengebracht, sondern entzogen oder gedemütigt. Wenn diese noch zu behebenden Verletzungen nicht behandelt werden, verschlimmern sie sich: Sie verwandeln sich in Gewalt, Feindseligkeit und Verachtung. Ab diesem Punkt werden sie zu tiefen Wunden, die zu Spaltungen zwischen Ehemann und Ehefrau führen und dazu veranlassen, anderswo nach Verständnis, Unterstützung und Trost zu suchen. Oft liegt diesen „Stützen“ das Wohl der Familie jedoch nicht am Herzen!
Geht es hierbei noch um die Beziehung zwischen Mann und Frau, die bereits fragil sein kann, ist die Betroffenheit von Kindern in diesem Sinne noch deutlicher und dramatischer. Kinder können in aller Regel nichts für die auftretenden Konflikte, sie werden nicht selten von dem überrascht, was da an Feindseligkeiten zwischen den Eltern hin- und hergeschossen wird:
Die Entleerung der ehelichen Liebe verbreitet Ressentiments innerhalb der Beziehungen. Und oft „stürzt“ dieser Zerfall lawinenartig auf die Kinder herab. […]
Wir sprechen viel über Verhaltensstörungen, psychische Gesundheit, das Wohl des Kindes, die Angst der Eltern und der Kinder… Aber wissen wir noch, worum es sich bei einer seelischen Wunde handelt? Spüren wir die Last, die schwer wie ein Berg auf der Seele eines Kindes drückt, wenn man sich in der Familie einander schlecht behandelt und verletzt, bis das Band der ehelichen Treue zerreißt? Welches Gewicht hat bei unseren – falschen – Entscheidungen beispielsweise die Seele des Kindes? Wenn Erwachsene in Panik geraten, wenn jeder nur an sich selbst denkt, wenn Vater und Mutter einander wehtun, wird der Seele der Kinder großes Leid zugefügt und sie spüren Verzweiflung. Die Spuren dieser Verletzungen bleiben ein Leben lang bestehen.
Nun soll das alles nicht bedeuten, dass das Wohl der Kinder der einzige Grund für die Unauflöslichkeit der Ehe sein sollte oder für die Forderung, dass sich Eheleute um den Erhalt der Ehe bemühen sollten … aber auch nicht der Schlechteste. Die Aussage Jesu, dass das, was Gott zusammengeführt hat, der Mensch nicht trennen soll, setzt der Papst darum in Beziehung zur Warnung vor der Empörung über Kinder:
Wenn ein Mann und eine Frau sich darum bemüht haben, „ein Fleisch“ zu bilden und eine Familie gründen, und dann zwanghaft an das eigene Bedürfnis nach Freiheit und Genugtuung denken, stellt diese Verzerrung einen gravierenden Angriff auf das Herz und das Leben der Kinder dar. Oftmals weinen Kinder alleine und im Verborgenen… […] Wir müssen dies begreifen. Ehemann und Ehefrau sind ein Fleisch. Ihre Kreaturen sind jedoch das Fleisch ihres Fleisches. Wenn wir an jene Härte denken, mit der Jesus Erwachsene dazu ermahnt, sich nicht über die Kleinen zu empören – wir haben die entsprechende Stelle des Evangeliums vernommen (vgl. Mt 18,6) – so können wir auch seine Worte zur schwerwiegenden Verantwortung des Behütens der den Ausgangspunkt der menschlichen Familie bildenden ehelichen Bindung besser verstehen (vgl. Mt 19,6-9). Wenn ein Mann und eine Frau zu einem Fleisch geworden sind, wirken alle von Vater und Mutter begangenen Verletzungen und Vernachlässigungen auf das lebendige Fleisch der Kinder ein.
Mutter, Vater und Kinder, sie bilden also in einer Familie eine Einheit. Ich habe an verschiedenen Stellen schon mal darauf hingewiesen, dass das sakramentale Band der Ehe zwischen den Eheleuten wirkt: Man ist miteinander verheiratet, nicht mit den Familien des Ehepartners und auch nicht mit den Kindern. Das heißt aber nicht, dass nicht insbesondere die Kinder von diesem Band profitieren … oder eben manchmal mehr als wir selbst leiden, wenn wir dieses Band zu sehr anspannen oder reißen lassen. Dabei hat der Papst hier offenbar dramatische Verletzungen im Blick, die in einer „normalen“ Ehe vielleicht gar nicht vorkommen. Doch in jeder Ehe, in jeder Familie gibt es Spannungen, und wenn Ehepartner sich gegenseitig kleine seelische Verletzungen zufügen, die sie sich hoffentlich vergeben können, dann ist doch auch die Wahrnehmung der Kinder im Blick zu halten.
Was aber, wenn die Spannungen, wenn die zugefügten Verletzungen zu groß werden? Einige Medien konnten sich gestern nicht mehr einkriegen, weil der Papst etwas dazu gesagt hat, was in deren Denkhorizont in der katholischen Kirche eine Neuerung darstellt:
Andererseits existieren tatsächlich Fälle, in denen eine Trennung unvermeidlich ist. Zuweilen kann es sogar aus moralischer Perspektive notwendig werden, den schwächeren Ehepartner oder kleine Kinder den durch Arroganz und Gewalt, Erniedrigung und Ausbeutung, Unbeteiligtheit und Gleichgültigkeit zugefügten Verletzungen zu entreißen.
Ist das nun ein Dammbruch in der Ehepastoral der Kirche? Ist eine Trennung trotz Ehe plötzlich in Ordnung? Das ist es natürlich nicht. Im Kontext geht es dem Papst ganz klar um die Kinder, die in einem solchen Umfeld zu schützen sind, weil sie sich selbst nicht schützen können. Ob es tatsächlich in vielen Beziehungen einen „schwächeren Ehepartner“ gibt, muss man sicher im Einzelfall beurteilen, aber auch der hat ein Schutzbedürfnis und -recht vor Gewalt und Erniedrigung. Vergessen wird bei den diesbezüglichen Zitaten auch der nachfolgende, abschließende Teil der Katechese, der deutlich macht, dass der Erhalt der Ehe zunächst mal Priorität haben sollte:
Gott sei Dank fehlt es nicht an Menschen, die durch den Glauben und die Liebe zu den Kindern gestützt ihre Treue zu einer Bindung bezeugen, an die sie geglaubt haben, die sie jedoch nicht mehr lebendig machen können. Allerdings spüren nicht alle Getrennten diese Berufung. Nicht alle vernehmen in der Einsamkeit den vom Herrn an sie gerichteten Aufruf. Rund um uns befinden sich verschiedene Familien in so genannten irregulären Situationen – dieser Ausdruck gefällt mir nicht – und wir stellen uns viele Fragen. Wie können wir ihnen helfen? Wie können wir sie begleiten? Wie können wir sie dahingehend begleiten, dass die Kinder nicht zu Geiseln des Vaters oder der Mutter werden?
Bitten wir den Herrn um einen großen Glauben, um die Realität mit dem Blick Gottes zu betrachten, und um große Barmherzigkeit, um uns den Menschen mit seinem mitleidsvollen Herzen zu nähern.
Das, so scheint mir, könnten wegweisende Worte in der Geschiedenenpastoral sein, auch im Hinblick auf die Familiensynode, die sich auch mit dem Thema des Umgangs der Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen beschäftigen wird: „Wie können wir ihnen helfen? Wie können wir sie begleiten? Wie können wir sie dahingehend begleiten, dass die Kinder nicht zu Geiseln des Vaters oder der Mutter werden?“ Das sollten die ersten Fragen sein, die uns als Christen, auch in den Gemeinden umtreiben sollten, wenn wir von „irregulären Situationen“ erfahren, nicht sakramentale Konsequenzen, so sehr die auch notwendig sind.
Kinder jedenfalls, vor allem die, die wie der Papst sagt „oftmals alleine und im Verborgenen weinen“ bedürfen des Schutzes ihrer Familie, sie bedürfen generell einer Familie. Als das Fleisch des einsgewordenen Fleisches der Ehepartner haben sie Anspruch darauf, dass wir sie schützen, nicht nur materiell sondern auch und vor allem ihre verletzlichen Seelen. Darum ging es dem Papst offenbar, und viel von dem, was man sich in Ehe-, Krisen- und Geschiedenenpastoral vorstellen kann, muss sich auch an diesem Anspruch messen lassen.
Vielleicht war diese letzte Katechese des Papstes vor der Sommerpause auch ein Wink, sich für die Synode im Herbst von den immergleichen kirchenrechtlichen Fragestellungen zu lösen und in den Blick zu nehmen, wie man Ehepartnern und Kindern in schwierigen Situationen wirklich helfen kann. Das täte jedenfalls zu Papst Franziskus besser passen als lehramtliche Äußerungen zum Eucharistieverständnis im Blick auf wiederverheiratete Geschiedene, die vielleicht notwendig sind, die Problemsituationen in den Familien aber nicht lösen werden.
Zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de
Kommentare zum Artikel
Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.
Alles schön und gut, was der Papst dazu sagt, aber seit sowohl katholische als auch evangelische Kirche sich vor drei Jahren sehr schnell und bereitwillig für die Legalisierung von Körperverletzung an Jungen durch Beschneidung ausgesprochen haben, klingt dieses Eintreten für den Schutz der Kinder doch sehr unglaubwürdig. Die Kirchen haben damals gezeigt, dass sie aus den Missbrauchsfällen an Jungen in krichlichen Einrichtungen nichts, aber auch gar nichts, dazu gelernt haben - zumindest nicht, was die Einstellung zu Gewalt an Jungen angeht.