Eyjafjallajökull und Heuchelei

Man könnte an der Demokratie verzweifeln mit Blick auf so manches Chaos: All dieser Zank, kaum Entscheidungen. Geschwätz und Gezeter, Hysterie und Feigheit. Wahnwitzige Diskussionen in den Talkshows, mit denen das Volk gefüttert und manipuliert werden soll: Äpfel werden mit Birnen verglichen, schwierigste Themen, die in Stunden oder Tagen zu erörtern wären, mit Schlagwörtern abgehandelt. Schnellgerichte und Exekutionen!

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Keine Autoritäten mehr. Keine Visionen. Keine Wahrheiten. Vielmehr taumeln wir von einer Improvisation in die nächste, purzeln vom Relativismus zum Konsequenzialismus - und enden in der Heuchelei. Hängen an der Suchtnadel nach Katastrophen: Hindukusch, Haiti, Vulkanasche, Ölpest, Missbrauchsskandal, griechischer Konkurs, Inflation. Ein Thema nach dem anderen wird durchgepeitscht, eine Sau nach der nächsten durchs Dorf gehetzt. Skandale, Gefahren, Dramen. Die Maschen der Gesetze werden immer enger gezurrt, die der Moral immer weiter gelockert. Alles scheint erlaubt. Wo sind noch Grenzen? Wer steckt noch Koordinaten ab? Was eigentlich ist noch „normal“? Was heißt überhaupt „Moral“? Vieles ist so irrational, so flutschig, dass selbst Kopfschütteln längst ermüdet. Ganz gleich, wo man hinschaut. Ein Tollhaus!

Die Dominanz der Groteske: Picken wir ein paar Beispiele hierfür heraus: den Krieg im Aus- und Inland. Wieder brannten Autos in den Straßen. Wieder wurden Läden geplündert. Läden und Autos „kleiner Leute“, für die die Linken sich doch so gerne engagieren. Wieder flogen Flaschen, Molotowcocktails und Steine auf Polizisten bei den 1.-Mai-Randalen in Berlin und Hamburg. Mindestens 130 Beamte wurden verletzt. 487 Randalierer werden in zwei Tagen festgenommen, acht Chaoten kommen in U-Haft. Mehr nicht! Warum nicht?

Politische Motivation oder reine Randale? Weiß von den Randalierern überhaupt jemand, wofür der 1. Mai als Feiertag steht? Längst ist es der Festtag der linksradikalen Autonomen, Neonazis, Straßenschläger und - man reibe sich die Augen - „erlebnisorientierter Jugendlicher“, wie sie Polizeipsychologen verharmlost nennen. Es sind 16-, 17-Jährige, denen es einfach Spaß macht, Steine auf Polizisten zu werfen, Autos mit Benzin zu übergießen. Was passiert mit ihnen?

Hier geht es um Lust am Krawall, um einen Veitstanz, bei dem man mit dem Leben von Polizisten spielt. Wahnsinn: Warum stürmt die Polizei nicht die linken Szenelokale, in denen sich die Autonomen Mut antrinken, bevor es „losgeht“? Fast jeder Taxifahrer in Berlin und Hamburg weiß, wo man sich zuvor besäuft! Warum verwehrt man den Polizisten Gummigeschosse, wenn man schon kein Militär einsetzt? Nicht die Polizei ist der Aggressor, sondern der Mob.

Blicken wir auf den anderen Krieg: den in Afghanistan. Auch hier fasst man sich an den Kopf: Seit der Zeit der großen Koalition durfte das Wort „Krieg", das in diesen unkriegerischen Zeiten die Nerven vibrieren und die Ohren dröhnen lässt, keinesfalls in den Mund genommen werden. Die verbalen Eiertänze, die aufgeführt wurden, um die Bevölkerung in falscher Sicherheit zu wiegen, waren an Lächerlichkeit kaum noch zu überbieten.

Man kann über Sinn und Unsinn des Afghanistan-Einsatzes diskutieren. Keine Frage. Nicht aber darüber, dass deutsche Soldaten am Hindukusch nicht nur Brunnen bauen und Polizisten ausbilden, sondern kämpfen. Und so auch töten müssen. Und in Kauf nehmen, getötet zu werden. Dafür aber benötigt das Militär eine möglichst optimale Ausrüstung, schweres Gerät. „Kriegs“gerät halt, und nicht nur Sanitasche, Mörtel und Kelle. Die aber fehlen. Vor allem aber brauchen die Soldaten Rückhalt von „daheim“. Von der Politik, der Bevölkerung, der Öffentlichkeit. Auch die fehlen. Alleingelassen fühlen sie sich. Verheizt. Für wen kämpfen sie hier eigentlich?

Zugleich widert sie der monatelange Zinnober rund um den „Fall Oberst Klein“ an. Es herrscht Krieg, da gibt es Befehle, die häufig in Sekundenschnelle erteilt werden müssen. Politiker, die gemütlich in deutschen Ausschuss-Sesseln hocken, statt im afghanischen Dreck zu liegen, scheinen das nicht zu begreifen. Arroganz oder Naivität? Und unsere deutschen Soldaten an der Front sind gefrustet vom Gekeife und Gezeter der Künasts, Roths und Konsorten. Es darf und kann jetzt niemanden mehr interessieren, wer im „Fall Oberst Klein“ die Aktendeckel von links nach rechts getragen hat! Der Fall ist erledigt.

Wo Krieg herrscht, gibt es Tote. Seit 2003 starben in Afghanistan 43 Soldaten. Haben wir doch mit Blick auf die Opferzahlen vergangener Kriege den Mut zu sagen: Gott-sei-Dank „nur“ 43 Soldaten! Stattdessen: Parlamentsdebatten toben, die Kanäle bringen Sondersendungen, die Bundeskanzlerin wird gar nachts um 4.30 Uhr geweckt, weil drei Soldaten bei einem Anschlag ums Leben gekommen sind. Es ist tragisch, furchtbar - für die Opfer und ihre Angehörigen. Aber es sind Berufssoldaten. Das muß man sagen dürfen.

Und schließlich die Kirche: Gewalt, sexueller Missbrauch, Vertuschung - der katholischen Kirche bläst der Wind kräftig ins Gesicht. Unstrittig ist: Es gibt Straftaten, für die sich Verständnis aufbringen lässt. Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen Kindern oder Jugendlichen gehört sicher nicht dazu. Es ist ein Verbrechen, das Ekel und Abscheu beim Betrachter hervorruft und den Opfern häufig lebenslange Traumata beschert. Unbegreiflich, warum Missbrauch Verjährungsfristen kennt.

Im Fokus: „Der Fall Mixa“. Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hatte gegen Bischof Mixa Vorermittlungen wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch eingeleitet. Rasch ergab sich aber, dass überhaupt kein Grund für einen Anfangsverdacht bestand, was die Staatsanwaltschaft auch umgehend bestätigte. Hinzu kam: Ein anonymes Internetportal hatte Namen und Bild des angeblichen Opfers enthüllt. Doch der junge Mann ließ den Vorgang seinem Rechtsanwalt umfassend dementieren. Weder er sei von Mixa missbraucht worden, noch habe er Vorwürfe erhoben. Er habe früher immer zu seinem Bischof gestanden, und er tue dies auch heute. Die Urteile der Öffentlichkeit aber waren da längst gefällt. Schau’n wir mal, was an all den Verdächtigungen, nicht nur an jenen gegen Walter Mixa, dran ist. Warten wir ab, ob auch Silberlinge geflossen sind.

Natürlich aber geht es um den Papst. Die letzte moralische Instanz der Welt will man endlich schlachten. Den schändlichen Missbrauch missbraucht man, um der katholischen Kirche Heuchelei und Unglaubwürdigkeit zu attestieren. Das Ziel: Die Kirche solle doch in Zukunft besser schweigen - und zwar bei allen Fragen rund um Sexualität, Abtreibung, Euthanasie und Stammzellenforschung. Vielleicht dürfe sie sich noch zu sozialen Fragen und Bewahrung der Schöpfung äußern, wenn man sie denn mal fragen würde. Gerne sähe man in Zukunft wohl auch, dass der „Runde Tisch“ den katholischen Orden, Pfarreien und geistlichen Gemeinschaften staatliche Blockwarte implantieren werde. Und sicher hat der „Runde Tisch“ auch die Kirchensteuer im Visier. Denn empört und mit Betroffenheit werden die üblichen Verdächtigen sich vehement dagegen wehren, einen solchen „amoralischen Laden“ mit sauberem staatlichen Geld zu alimentieren.

Nichts soll beschönigt, wohl aber manches zurechtgerückt werden: „Weltweit gibt es über 400.000 Priester, über eine Million Ordensleute, und Millionen katholischer Laien, die sich für Arme, Kranke, für eine bessere Gesellschaft engagieren und sogar bereit sind, dafür ihr Leben zu geben“, schreibt der Autor Peter Seewald. „Die Kirche unterhält über 70.000 Krankenhäuser, Krankenstationen, Leprastationen, Behindertenheime, Waisenhäuser und Kindergärten. Weltweit besuchen 40 Millionen Schüler katholische Schulen (in Deutschland 370.000 bei steigender Nachfrage).“ In Deutschland sind nach Angaben des Kriminologen Christian Pfeifer 0,1 % der Missbrauchstäter Mitarbeiter der katholischen Kirche.
Die Bischöfe und sogar der Papst haben gehandelt, ihr tiefes Mitgefühl mit den Opfern bekundet, glaubhaft Reue gezeigt, Schuld eingestanden und Aufklärung versprochen. Die katholische Kirche hat in diesen Tagen in Deutschland nichts unversucht gelassen, um auch die letzte vor 30 Jahren in einer kirchlichen Schule von einem Lehrer ausgeteilte Ohrfeige an das Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Doch nun ist es gut. Jetzt wird es Zeit, dass Pfingsten wirkt, und der Heilige Geist allen kirchlichen Verantwortungsträgern in Deutschland die Kraft gibt, gemeinsam offensiv und selbstbewusst nach vorne zu schauen, das Positive in der Kirche, ihre Leistungen und Verdienste zu betonen, statt sich täglich erneut Asche aufs Haupt zu streuen.

Nein, kein Frühling für Optimismus. Ob Gott sich das alles gefallen lassen wird? Es ist nur ein Bild, doch es zu betrachten, erheitert: Als die Heuchelei allerorten zu heftig und der Papst zu sehr gedemütigt wurde, öffnete Gott mit einem Fingerschnipsen für einen kurzen Augenblick nur einen einzigen unserer Tausenden Vulkane auf einer kleinen Insel und ließ ihn ein paar Tage Asche spucken: der Eyjafjallajökull. Und schon brach das Chaos aus. Seitdem spuckt er immer wieder! Man sollte den Schöpfer der Welt nicht zu sehr beleidigen...

 

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe der KOMMA (Nr. 69/70)



 

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Der einsame Christus

Wachet und betet mit mir!
Meine Seele ist traurig
bis an den Tod.
Wachet und betet!
mit mir!
Eure Augen
sind voll Schlafes, -
könnt ihr nicht wachen?
Ich gehe,
euch mein Letztes zu geben -
und ihr schlaft ...
Einsam stehe ich
unter Schlafenden,
einsam vollbring ich
das Werk meiner schwersten Stunde.
Wachet und betet mir mir!
Könnt ihr nicht wachen?
Ihr alle seid in mir,
aber in wem bin ich?
Was wißt ihr
von meiner Liebe,
was wißt ihr
vom Schmerz meiner Seele!
O einsam!
einsam! Ich sterbe für euch -
und ihr schlaft!
Ihr schlaft!

Christian Morgenstern

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