Es ist der Mörder, nicht der Mord

Kann sich noch einer an ‚Tom Dooley’ erinnern? Das ist lange her. Damals lebte ich als glückliches Kind noch ganz entspannt im Hier und Jetzt und hatte noch kein rechtes Verhältnis zu den Massenmedien. Als ich das Lied

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- es war an einem Sonnabend - im Radio hörte „Alles vorbei, Tom Dooley ... morgen, dann bist du tot!“, war ich erschüttert. Als ich es in der nächsten Woche wieder hörte, beschlich mich der Verdacht, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte, müsste es jetzt nicht heißen: „Seit letzten Sonntag bist du tot“? Wie auch immer: Ich habe dazu eine Quizfrage, bei der es nichts zu gewinnen gibt: Wer hat das gesungen?

Die Antwort ist nicht leicht, sie ist nicht eindeutig. Richtig: Es waren mehrere. Das war nicht ungewöhnlich. In den ersten Hitparaden der Nachkriegszeit finden wir gelegentlich noch ein und denselben Titel, gesungen von verschiedenen Interpreten.

Die Zeiten haben sich geändert. Es hat sich mehr und mehr eine Verkaufstrategie heraus gebildet, bei der die Parole gilt „It’s the singer, not the song!“ Also: Auf den Sänger kommt es an, nicht auf das Lied. Damit hoffte man, die privaten Gewinne zu erhöhen, indem man vom gesellschaftlichen Reichtum profitiert, von gemeinfreien Traditionals, vom Blues-Schema oder notfalls von den gefürchteten drei Akkorden, die so sehr Allgemeingut sind , dass man sie noch im besoffenen Zustand hinkriegt. Hauptsache der richtige Sänger macht den Mund auf. Die Schallplatte dreht sich dann nur noch um ihn, um den sympathischen Profiteuer, der die Noten eines bekannten Liedes mit seiner persönlichen Note versieht. So machte man „mehr draus“ - wie Coca Cola: Coke macht mehr draus.

In der Szene der Liedermacher gab es eine vergleichbare Entwicklung, da setzte sich ein Trend durch, der die Identität des Sängers höher bewertete als die Aussagen seiner Lieder. Wenn jemand aus einem Land kam, in dem Unterdrückung herrschte, wurde ihm bereitwillig ein Mikrophon hingestellt, egal wie gut sein Instrument gestimmt war. Auf den ersten Blick wirkt das menschenfreundlich. Man übersieht dabei allerdings die Nebenwirkung. Denn wenn man sich darauf versteift, dass es einen gibt, der genau der Richtige ist (auch wenn man bei seiner Qualifizierung Abstriche macht); dann gibt es auf der anderen Seite auch die Falschen – und die können sagen, was sie wollen, die bleiben immer die Falschen.

Immerhin sind die alten Musiker mit ihrem Oldie-Repertoire nun gut vorbereitet auf die leidige Wer-Was-Verwechslung, die heute den Diskurs verdirbt und ganz nebenbei eine neue Ungerechtigkeit hervorgebracht hat; sie erkennen womöglich den alten Spruch im neuen Gewand – in der Haltung, die man so zusammenfassen kann: „Auf den Täter kommt es an, nicht auf die Tat.“ Wenn ein Türke einen Deutschen umbringt und gleichzeitig ein Deutscher einen Türken, dann ist in beiden Fällen einer tot, doch wir bewerten nicht beide Taten gleich, und nur in einem der beiden Fälle kann noch strafverschärfend ein ausländerfeindlicher Hintergrund dazukommen.

Egal WAS gesagt wird, sofort taucht die Frage auf: WER sagt das? Ein Gutachten, das unter Verdacht steht, dass ein Vorverurteilter dafür gezahlt hat, kann noch so fundiert sein, im Halbdunkel der Erinnerung spukt sofort Jürgen Habermas und das „erkenntnisleitende Interesse“ herum, schon klicken wir eilig weiter. Denn in dem richtigen WER steckt bereits das Vorurteil, mit dem wir das WAS betrachten wollen. Dabei soll es bleiben. Und je weniger die eigene Position diskursfähig ist, desto mehr wird die Gegenseite dämonisiert, der man längst unterstellt hat, dass sie zu differenzierter oder womöglich selbstkritischer Stellungnahme sowieso nicht in der Lage ist.

Manchmal entdecke ich in einem Buchladen im Regal FRAUEN etwas von Claire Goll (die ich besonders mag) und finde dann schnell die Stelle, an der sie schreibt: „Ich bin eine Anti-Feministin, falls es so etwas gibt“. Bei ihr ja. Das Buch steht an der richtigen Stelle, da kommt es nicht drauf an, was drin steht. Frauen müssen nicht erklären, WAS anders werden soll, wenn mehr von ihren Geschlechtsgenossinnen in den Chefsesseln sitzen, Hauptsache sie sitzen da. Es geht auch nicht darum, WAS an den Unis gelehrt werden soll, Hauptsache sie kriegen die Stelle.

Wer dagegen unter dem Verdacht steht, ein „Ewig Gestriger“ zu sein; wer als Rechtspopulist oder Neoliberaler gilt; wer von der Raucher- oder Atomlobby gekauft ist (oder ganz allgemein von der Industrie, von der Schulmedizin oder den gewissenlosen Besserverdienenden); wer als typischer Vertreter des Patriarchats gilt, wer eine Phobie hat, wer kein unmittelbar Betroffener ist, und leider auch nicht zu einer der bevorzugten Gruppierungen gehört, die neuerdings zu ihrem Gunsten Diskriminierung geltend machen können; der kann unsere schreckliche Welt sowieso nicht richtig erkennen und sollte sich gar nicht erst dazu äußern.

Da juckt es den Veteranen des politischen Liedes in den Fingern: Jetzt heißt es wieder: „Auf welcher Seite stehst du, he?“ Auf der richtigen natürlich; denn: „Die Partei, die Partei, die hat immer recht, und Genossen, es bleibet dabei ...“ Nur dass jetzt andere Bonzen dran sind, andere Gesinnungsgewinnler. Die gefallen mir auch nicht. Die erinnern mich leider an einen ungeliebten Lateinlehrer, der - als er einmal selber zu spät zum Unterricht kam - grinsend erklärte: „Quod licet Jovi, non licet bovi“ (Für Nichtlateiner: Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Rindvieh nicht erlaubt).

Schon damals habe ich nicht zu den Jovis gehört. Und ich fürchte, dass ich wieder nicht der Richtige bin, der die Frage stellen darf: Woher haben die neuen Jovis eigentlich ihre Lizenz zum Heucheln? Die denken wohl, sie dürften just das machen, was sie den anderen vorwerfen. Die richtigen Schlagersänger und die telegenen, uneigennützigen Charity-Engel dürfen selbstverständlich Geld verdienen und sich ihr Mitgefühl gut bezahlen lassen, die Umwelt- und Gleichstellungsbeauftragten natürlich auch. Die Aktivisten, die sich in einem permanenten Ausnahmezustand wähnen, dürfen Krieg spielen und dürfen entsprechend - um der guten Sache willen - Propagandalügen in die Welt setzen. Das Frauenministerium darf Statistiken fälschen, um eine „Männergewalt“ zu konstruieren. Der Klimarat darf mogeln und Zahlen nicht etwa schönen, sondern verschlimmern. Sie alle folgen dabei der Terroristen-Weisheit, dass der Zweck die Mittel heiligt.

Doch wie sagte schon Frau Hegel so treffend: „Die Mittel verraten die Wahrheit über den Zweck.“

Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 25.01.2010 auf der "Achse des Guten"

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