Elterliche Zuwendung beeinflusst Gehirnprozesse

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Wer mit Kindern arbeitet und von deren Müttern sorgfältig die Vorgeschichte ihrer Kinder erfragte, konnte es lange schon wissen: Es sind vorrangig die ersten Lebensjahre, in denen sich Erfahrungen in das Gehirn geradezu eingraben – bei sorgsamer Pflege mit dem Ergebnis seelischer Stabilität oder – bei unzureichenden Eindrücken - mit geringerer Belastbarkeit, mit vielfältigen seelischen Erkrankungen, die sich aber erst später manifestieren.

Das ist unbequemes Wissen, es steht dem Zeitgeist entgegen. Obgleich die Zahl der seelisch Gestörten weiter zunimmt, wird hieraus nicht die notwendige Schlussfolgerung gezogen.

Die neue Hirnforschung aber liefert bestätigende Ergebnisse und untermauert Praxiserfahrungen, so dass diese nicht länger verleugnet werden sollten. Auch zeigen Erkenntnisse der Epigenetik, dass sich in der ersten Lebenszeit sogar die Gene im sich konstituierenden Gehirn durch Fehlschaltungen negativ verändern können!

„Potentielle Ansatzpunkte für eine epigenetische Prägung unseres Charakters gibt es genug“, schreibt der Biologe Dr. Spork in seinem den Stand der epigenetischen Forschung zusammenfassenden Buch „Der zweite Code“ und zitiert u.a. den Epigenetiker Dr. Meany: „Vergleicht man die Genaktivität im Hippocampus erwachsener Nachkommen von Ratten, die ihre Jungen besonders viel oder besonders wenig geleckt und gepflegt haben, so zeigen sich Unterschiede bei ein paar hundert Genen.
Das legt nahe, dass die Intensität der mütterlichen Zuneigung das epigenetische Programm im Gehirn der Nachkommen im großen Stil verändert. Neben den Stresshormonen beeinflussen eine Vielzahl weiterer Botenstofe die Erregbarkeit der Gehirnzellen – und damit das Verhalten von Tier und Mensch“ (Spork S.101).

Diese Forschungsergebnisse bestätigen praktische Beobachtungen. Die Psychologin Allison Fries untersuchte Kinder, die von ihren leiblichen Eltern vernachlässigt worden waren und deshalb längere Zeit in Heimen gelebt hatten. Später wurden die Kinder adoptiert und wuchsen in normalen Verhältnissen auf. Dennoch hatte die mangelnde Fürsorge in ihrer frühesten Kindheit Spuren im Regulationssystem des Stresshormons Cortisol hinterlassen: „Die schwersten Ablehnungserfahrungen waren verbunden mit den höchsten gemessenen Cortisolspiegeln, je größer die Vernachlässigung in frühester Kindheit war, desto empfindlicher reagierte das Stressaktionssystem auch noch nach Jahren danach“ (Spork S.105). Auch eine gesunde psychische Entwicklung - und damit eine Verringerung von Krankheiten wie Diabetes und Adipositas nimmt durch Schaltungen im perinatalen Zeitraum ihren Anfang: Epigenetiker empfehlen z.B. das Stillen nicht nur zur Vorbeugung gegen Depressionen, sondern auch zum Absenken des Risikofaktors Übergewicht (Spork S.159).

„Die Erkenntnisse aus Montreal, Trier, Madison und vielen anderen Laboratorien auf der Welt untermauern jedenfalls, was sensible Eltern intuitiv schon immer gespürt haben und Psychologen mit ihren Analysen schon oft belegen konnten: Ein Kind entwickelt sich besser, wenn es in einer Umgebung aufwächst, die Geborgenheit und sinnvolle Anregungen aller Art zugleich bietet. Die Epigenetiker decken allmählich auf, welche positiven Prozesse im Gehirn der Kinder angestoßen werden, wenn Erwachsene sie lieb haben, ihnen häufig vorlesen, sich viel mit ihnen unterhalten und sich die Zeit nehmen, so oft es geht mit ihnen zu spielen“ (Spork S.110f).

Diese Erkenntnisse kommen mir so bekannt vor, als hätten die Autoren im Auditorium meiner Vorträge gesessen, wie ich sie seit vierzig Jahren halte, um geschwächten Lebensschicksalen vorzubeugen. Hofen wir, dass diese wissenschaftlichen Befunde endlich mehr Gehör finden.

 

Der Artikel erschien im Newsletter von "Verantwortung für die Familie e.V.", Ausgabe 01/2010.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Sepp

Christa Meves spricht die Wahrheit aus, die so viele verschweigen. Ich selber musste vor ca. 7 Jahren in der dritten Klasse an einer Sexualkundestunde von "pro familia" teilnehmen.
Als ich meinen Eltern das Gesagte schilderte, machten meine Eltern Druck und ich musste die weiteren Stunden nicht mehr teilnehmen. Allerdings hat schon diese eine Stunde Schädigung hinterlassen.

Ich danke Ihnen, Frau Meves für Ihre guten Ratschläge in Büchern wie "Auf dich kommt es an".

Gravatar: Friedemann

Dieser Artikel ist noch einmal ein Extrakt eines wichtigen Teils des umfangreichen Lebenswerkes von Frau Meves, das sie in über 100 Büchern festgehalten hat. Auch wenn ich der Überzeugung bin, dass wissenschaftliche Fachausdrücke wie epigenetisch und Kortisol nicht immer richtig in ihrer Bedeutung von ihren Lesern eingeordnet werden können, sollten sie nicht in ihren Texten fehlen, zeigen sie doch, dass ihre Aussagen und Vorhersagen - getroffen noch vor einer wissenschaftlichen Beweisbarkeit vor über 20 Jahren - schon etwas prohetisches an sich hatten. Auch wenn man mit Instinkt, wie es die Tiere tun, und gesundem Menschenverstand schon viel früher, seit Anbeginn der Menschheit, begriffen hatte, wie wichtig elterliche Zuwendung ist, wird sie durch feministische Ideologien zunehmend in Frage gestellt. Es ist der große Verdienst von Frau Meves, ein Bollwerk gegen diesen gefährlich unwissenschaftlichen Zeitgeist zu sein.

Gravatar: Friedrich Dominicus

"Ein Kind entwickelt sich besser, wenn es in einer Umgebung aufwächst, die Geborgenheit und sinnvolle Anregungen aller Art zugleich bietet."

Und was fällt unseren Politiker Strategen dazu ein. Gesetze. Kita-Plätze und dann natürlich das Lamentieren wir ungerecht es doch sei, daß Kinder in "intakte(re)n" Familien in der Schule besser darstünden.

Gravatar: maromano

Was ist hier gemeint, wenn gesagt wird, diese Erkenntnisse seien “unbequemes Wissen” bzw. stünden dem „Zeitgeist entgegen“? Dem vermeintlich feministischen vielleicht? Falls ja würde ich dies nicht verstehen. Diese Studien sprechen doch immer nur von der Notwendigkeit von Zuwendung und Pflege. Die Schlussfolgerung der Autorin, diese müsse von der Mütter stammen („Das legt nahe, dass die Intensität der mütterlichen Zuneigung…“), ist doch nur ihre Interpretation. Wie soll hier wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass die geforderte „elterliche Zuwendung“ allein oder hauptsächlich durch die Mutter ausgeübt werden muss?

Gravatar: Nicole Bandermann

Ich bin total begeistert von diesem Blog! Viele Grüße

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