Ein völlig überfüllter Zug und Mozarts Noten

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Wenn sich Chinesen in Massen bewegen, tun sie das äusserst diszipliniert. Es scheint, sie sind nicht aus der Ruhe zu bringen. 

 

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Gestern beispielsweise, fiese Zugfahrt von Guilin nach Nanning. Wir waren schätzungsweise 2000 Leute in diesem Wartesaal.

Die Goldene Woche war vorbei, die Studenten mussten zurück in die Uni-Stadt Nanning.

Mit Verspätung öffneten zwei Bahnbedienstete zunächst die Glastüren und anschliessend die verchromten Absperrgatter. Und dann passierte einfach nichts. Zwar standen die ersten in den vier sich bildenden Schlangen ein, darunter die fünf Europäer.

Erst als die Lautsprecheransage erklärte, man könne jetzt einsteigen, setzten sich der Wartesaal in Bewegung.

Kein Drängeln, kein Stossen, kein Überholen.

Als alle eingestiegen waren, stand der Zug nochmals eine Dreiviertelstunde im Bahnhof. Jetzt muss man sich vorstellen, dass die Waggons nicht nur bis auf die letzte der Dreibanksitzreihe gefüllt waren, die Zugpassagiere standen auch in den Gängen zwischen den Sitzreihen links und rechts und überhaupt überall dort, wo man noch eine Lücke zum Hinstehen gefunden hatte.

Wären wir in der Schweiz gewesen, sagen wir im ICE von Zürich nach Basel, die Leute wären glatt ausgeflippt.

Dass Eigenartige: man hat überhaupt nicht das Gefühl, es sei eng. Wer zum Beispiel auf die Toilette muss, und das müssen auf einer siebenstündigen Zugfahrt ungefähr die Hälfte der Fahrgäste, schlängelt sich dem Gang entlang, die, die vor der Toilettentür stehen, treten einen Schritt zurück. Und dann das Ganze umgekehrt zurück.

Selbst die Kleinsten ergehen sich nicht in Zwängereien. Sie werden weitergereicht von der Mutter zum Vater und weiter zur mitreisenden Grossmutter. Und wieder zurück.

Und man kommt ins Gespräch.

Weil irgendjemand immer drauf wartet, endlich mal das in der Schulde und auf der Uni gelernte

Englisch endlich mal anwenden will.

Nun ist es ja so, dass ich vor Jahren mal zwei Jahre Chinesischunterricht genossen habe. Geblieben sind ein paar Sätze und Schriftzeichen. Doch jetzt musste auch noch einsehen, dass ich kein einziges Wort richtig aussprechen kann.

Nicht mal ein zweisilbiges wie Ruishi (Schweiz).

Das liegt an der Betonung und an der Tonlage. Die chinesische Grammatik ist relativ einfach, die Schriftzeichen logisch aufgebaut und weil es sich um Piktogramme handelt, könnte man sie selbst dann lesen, wenn man kein Mandarin spräche. 20131008-094704.jpg

Eigentlich verhält es sich wie bei einem Notenblatt von Mozart.

Das sieht gür den musikalischen Analphabeten ähnlich kompliziert aus, wie ein chinesisches Schriftstück.

Zwar kann Ich lernen, wie man diese Noten liest. Doch eine andere Sache ist es dann, wenn ich die Noten vorsingen soll. Wenn ich nicht über ein sehr gutes Musikgehör zählen kann, werde ich kaum je die exakte Tonlage treffen. Mein Vortrag würde also nach allem möglichen tönen, nur nicht nach Mozart.

Genauso verhält es sich mit der chinesischen Sprache.

Dieses Unvermögen hat Konsequenzen. Zum Beispiel, wenn man mit einem Taxi zu einem bestimmten Hotel fahren möchten. Es gelingt nie, einen Namen im Grunde genommen simplen Namen wie “Jinhua Hotel” so auszusprechen, dass ein Chinese das versteht.

Es bringt auch nichts, den Fahrern einen Screenshot des Hotelnamens auf Chinesisch zu zeigen. Oder gar Google aps.

Die zeigen keinerlei Interesse, einen nachts um zehn auf dem immer noch belebten Bahnhofvorplatz einsteigen zu lassen. Ein energischer Herr rief für uns schliesslich ein Taxi und ein Polizist gab dem Fahrer den Auftrag/Befehl uns zum Jinhua Hotel zu fahren.

Heute Abend fährt unser Zug nach Hanoi.

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Beitrag erschien zuerst auf: arlesheimreloaded.ch

 

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Stefan

Schöne Reise durch einen faszinierenden Kontinent. Die Gastfreundschaft der Menschen in Vietnam ist ausgeprägt. Man kann auch mit kleinen Motorrädern geführte Touren machen. Habe ich auf meiner Website z. B. http://fadingcolors.com/ocean-jungle-and-hospitality/ beschrieben.

VG Stefan

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