Ein schräger Preis für die Königin

Die jordanische Königin Rania hat 2015 den Rathenau-Preis erhalten. Die in deutscher Geschichte gewöhnlich schlecht gebildete und mangelhaft beratene Kanzlerin Merkel hielt die Laudatio.

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Das Institut, welches den Rathenau-Preis vergibt, verkündet seinen Sinn: Er soll an das Leben und Wirken des am 29. September 1867 in Berlin geborenen und später erfolgreich und berühmt gewordenen Industriellen, Essayisten und Außenpolitikers erinnern und sein Werk und sein Eintreten für demokratische Grundwerte, Völkerverständigung und Toleranz wieder einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen. Was an diesem Außenminister und seinem Geist liberal war, bleibt ein Geheimnis der hinter dem Institut stehenden Hintermänner, darunter einigen FDP-Größen wie Christian Lindner und Dr. Werner Hoyer. 

Walther Rathenau glaubte zeitlebens an das Märchen vom jungen idealistischen und unverbrauchten Osten. Bereits im Juli 1898 hatte er in Maximilian Hardens Zeitschrift „Zukunft“ unter dem Titel „Transatlantische Warnsignale“ den bevorstehenden Kampf um die Welthegemonie zwischen dem jungen Russland und dem alten England prognostiziert, um Deutschland den imperialistischen Kampf an der Seite Russlands zu empfehlen. „Uns aber weisen alle Zeichen nach Osten und Aufgang“. Solche Konzepte hatten mit der Bismarckschen Gleichgewichtspolitik zur Bewahrung des europäischen Friedens nichts mehr zu tun, hier ging es Rathenau um die Neuaufteilung der Erde und den Platz an der Sonne. Die Einschätzung, daß Rußland und England sich verzanken würden war darüber hinaus grob falsch. Immer wenn es gegen Deutschland ging hielten Rußland und England zusammen.

Walther Rathenau wurde sofort nach Kriegsausbruch im August 1914 Leiter der Kriegsrohstoffabteilung (KRA), die bald zu einer obersten Reichsbehörde ausgebaut wurde. Rathenau machte sich zum Büttel bei der Beschaffung von Rohstoffen in den besetzten Gebieten und formte eine staatlich gelenkte Mangelbewirtschaftung als Mischung aus staatlichen Eingriffen und industrieller Selbstverwaltung, in deren Gefolge rund 200 Kriegsrohstoffgesellschaften gegründet wurden. Diese Gesellschaften waren letztlich Zwangssyndikate, in denen alle Produzenten der kriegsnotwendigen Erzeugnisse vereint wurden. Von diesen Zwangsvereinigungen hat sich die deutsche Wirtschaft bis 1945 nicht mehr verabschiedet. Was war an dieser Zwangswirtschaft liberal?

Rathenau setzte sich für eine aktivere Rolle des Staates bei der Sicherung der Zukunftsinteressen Deutschlands ein. In seiner Schrift "Von kommenden Dingen", die 1916 verfaßt wurde, schrieb er: "Das Ziel aber ist der materiell unbeschränkte Staat. Er muß mit seinen Mitteln dem Bedürfnis vorauseilen, nicht nachhinken...Er soll eingreifen können in jeder Not, zu jeder Sicherung des Landes..." Und: "Die Rohstoffabteilung wird auch im Frieden nicht zu bestehen aufhören, sie wird den Kern eines wirtschaftlichen Generalstabs bilden." Was war an diesem planwirtschaftlichen Orwellschen Superstaat liberal?

Er erwartete vom Staat die Schaffung kolonialer Großräume und bereiste mit dem Staatssekretär des Reichskolonialamtes Bernhard Dernburg Ost- und Südafrika. Ganz im Stil der Zeit schrieb er in seinen "Erwägungen über die Erschließung des Deutsch-Ostafrikanischen Schutzgebiets", daß wir hoffen dürfen, daß die Erziehung zur Kolonisation abermals dem deutschen Geist ein Gebiet erschließen werde, das seiner irdischen Mission entsprechen werde. Kurz vor dem Ende des Weltkriegs, kurz vor dem militärischen Zusammenbruch an der Westfront, nach dem deutschen Sieg im Osten veröffentlichte er einen Aufruf "An Deutschlands Jugend": "Neu wird unsere Lebensweise, unsere Wirtschaft, unser Gesellschaftsbau und unsere Staatsform. Neu wird das Verhältnis der Staaten, der Weltverkehr und die Politik. Neu wird unsere Wissenschaft, ja selbst unsere Sprache." Alle Prognosen sollten sich leider bewahrheiten, allerdings unter nationalsozialistischen Vorzeichen. Selbst die Sprache wurde reformiert - statt von der Nase sprach man vom Gesichtserker - von der Staatsform, dem Verhältnis der Staaten zueinander und der neuen Lebensweise in Konzentrationslagern ganz zu schweigen. Was war daran liberal?

Rathenau gehörte im Weltkrieg zu den Durchhaltefanatikern: „Ein für allemal: wir halten den Krieg beliebig lange aus, an Rohstoff, Nahrung, Menschenzahl, Kraft und Willen, mit mehreren, mit wenigen, mit keinen Genossen."  Er machte der Obersten Heeresleitung im Herbst 1918 zum Vorwurf, den Westmächten die Kapitulation angeboten zu haben: Unter der Überschrift "Ein dunkler Tag" schrieb er in der Presse: "Der Schritt war übereilt. Wir alle wollen Frieden. Wir, die wenigen, haben gemahnt und gewarnt, als keine Regierung daran dachte, der Wahrheit in Auge zu blicken. Nun hat man sich hinreißen lassen, im unreifen Augenblick, im unreifen Entschluß. Nicht im Weichen muß man Verhandlungen beginnen, sondern zuerst die Fronten befestigen.... Hat man das übersehen? Wer die Nerven verloren hat, muß ersetzt werden...Wir wollen nicht Krieg, sondern Frieden. Doch nicht den Frieden der Unterwerfung." Rathenau war offensichtlich entgangen, daß inzwischen die Revolution ausgebrochen war.

Rathenau als Verteidiger demokratischer Grundwerte? Rathenau war sich mit den Bolschewiken über den antidemokratischen Grundsatz der Führungsrolle eines gesellschaftlichen Standes einig. Nur welcher Stand es sein solle, darum stritt er Anfang der 20er Jahre mit dem moskowitischen Kommissar Karl Radek. „Die Diskussion ging nur darum, ob der führende Teil des Proletariats der Organisator der Industrie sein und die besten Teile der Intelligenz in sich aufsaugen könnte, wie Radek meinte, oder ob es nicht gerade umgekehrt sein werde, wie die Herren von der AEG befanden.“ So Gerd Koenen in seinem lesenswerten Buch „Der Russland-Komplex“ . Ob es ein proletarischer oder ein intellektueller neuer Mensch seien sollte, darüber wurde diskutiert, aber nicht über das Ziel des Neuen Menschen an sich.    

1922 wurde Rathenau Reichsaußenminister. Er stand vor der Option, sich um die Erlangung der englischen Unterstützung bei der Revision des Versailler Vertrags zu bemühen, oder den Versuch zu wagen, die Alliierten durch den Abschluß eines Vertrages mit Rußland zu provozieren. Rathenau entschied sich nicht für geduldiges Verhandeln, sondern für die außenpolitische Provokation von Rapallo. Der französische Premier Poincaré verstand das Verhalten Rathenaus als Kriegerklärung für den Status Quo und drohte militärische Intervention gegenüber Deutschland an, die früher als erwartet zur Ausführung kam. Der Rapallo-Vertrag war zwar nicht der Anlaß, aber der Grund für die Ruhr-Besetzung. Der spätere Außenminister Stresemann hatte jahrelang am zerschmissenen außenpolitischen Porzellan zu reparieren und zu kitten. Was war an der Außenpolitik Rathenaus liberal? Rapallo war wohl sein Beitrag zur Völkerverständigung?

Der einzige liberale Lichtblick auf der Preisverleihungsveranstaltung war paradoxerweise die jordanische Königin Rania. Sie hätte eine seriösere Anerkennung verdient.


Literatur:
Thiel, Rudolf: Die Generation ohne Männer, Berlin 1932, Seite 238 und 260
Walter Rathenau: Deutschlands Rohstoffversorgung, Berlin 1916, S. 44
Gerd Koenen: Der Russland-Komplex, C.H.Beck, S. 288
Wolfgang Prabel: Der Bausatz des Dritten Reiches, E-Book über Amazon zu erhalten

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Hajo Blaschke

Herr Prabel, bei allem Einverständnis mit Ihrer Beurteilung von Rathenau muss ich Ihnen hinsichtlich von Rapallo widersprechen. Rapallo hat England und Frankreich nicht mehr provoziert, als beide sich eh schon allein von der Existenz Deutschlands provoziert fühlten. Rapallo war richtig. Mit Rapallo hatten sich die Parias Deutschland und Sowjetrussland zusammengetan. Leider haben viele Inkonsequenzen im Rahmen dieses Vertrages später als kontraproduktiv und gefährlich für Deutschland herausgestellt. Ihre grundsätzliche Einschätzung von Rathenau teile ich.

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