Sándor Petőfi
Ich seh’ des Ostens Fluren reich an Wonne…
(1847)
Ich seh’ des Ostens Fluren reich an Wonne,
Den Blütenharem der Natur seh’ ich,
Aus ros’gen Augenlidern lacht die Sonne,
Aus dem Gesäum’ gespaltner Wolk’, auf mich;
Ich sehe einen dunklen Palmenwald,
Worin geheimnisvoll flüstert der Wind,
Und der Gesang glänzender Vögel schallt ...
Ob’s Vögel? oder klingend’ Sterne sind? —
Ich seh’ von hohem Berg ein Eiland blau
Im Schoß des Meeres und der Ferne flimmen;
Rings um mich ist es Herbst, dort Frühlingsau,
Den Himmel Wanderkraniche durchschwimmen
Vom Herbst fort in den Lenz; all sein Verlangen
Es schickt’s das Herz den Vögeln hinterher,
Und dieses Sehnen wohl beglückt’s noch mehr,
Als dort, wohin mich’s dränget, anzulangen. –
Ich sehe eine märchenhafte Mondennacht,
Es wacht der Tod, es schlummert was da lebt;
Es huschen durch die Lüfte Geister sacht,
Von ihren Kleidern leicht das Strauchwerk bebt;
Nicht Schreckgespenster aus der Hölle Kluft,
Nein, sel’ge Tote, welche durch die Luft
Geschwebt auf Mondlichts goldnen Fäden leicht
Von deinen Sternen, hoher Himmel, nieder,
Um zu besuchen ihre Lieben wieder,
Zu küssen auf die Lippen leis vielleicht
Den holden Traum, worin die Seligkeit
Des Himmels sie empfinden vor der Zeit.
Ich sehe alles, was das Auge nimmer,
Was nachts allein die Ahnung kann erblicken,
Und zwar in zweier Augen hellem Schimmer,
In der Geliebten dunklen Schwärmerblicken.
(Übersetzung Theodor Opitz, Korrekturen A. K.)
Kovács, Adorján: Sándor Petöfi – »Dichter sein oder nicht sein«. Dichtung und Deutung. Arnshaugk, 2023. 303 S. 420 gr. ISBN 3-95930-276-2. Gb. 34,– € Vorbestellungen hier, Bestellungen nach Erscheinen ebendort oder bei Amazon.
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