Ein Abend mit Valentina

Gestern ein wunderlicher Klavierabend mit Valentina Lisitsa im Prinzregententheater.

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Man kennt die Dame von ihren zahllosen Youtube-Videos, wo sie die gesamte Klavierliteratur und bevorzugt die schwierigen Sachen fröhlich herunterrattert, technisch hochklassig, zuweilen nur einige die B-Note betreffene Wünsche offen lassend. Ihre online-Auftritte machten sie so bekannt, dass sie inzwischen konzertiert – also genau der umgekehrte Weg wie üblich –, und quasi als Erinnerung an die Unkonventionalität ihres Aufstiegs zum relativen Ruhm darf sich die Zuhörerschaft an der Auswahl der dargebotenen Stücke beteiligen. Was sich heuer so gestaltete, dass Frau Lisitsa drei Programmblöcke zur Wahl stellte, das Publikum vor dem Konzert per Stimmzettel wie gewünscht zwei davon auswählte – und die Künstlerin dann doch alle drei spielte.

Das Programm war schlechterdings verrückt: Bachs Chaconne, Beethovens Pathétique und Sturm-Sonate, als zwischenzeitliche Erholung ein paar Stücke von Michael Nyman, nach der Pause die h-Moll-Sonate von Liszt sowie dreizehn Chopin-Etüden (wenn ich richtig gezählt habe, jedenfalls waren mit Ausnahme von op. 10 Nr. 2 sämtliche Kracher dabei), und hätte das Auditorium nicht durch Abwanderung der ersten Erschöpften, die wohl auch noch ihre Bahn bekommen wollten, signalisiert, dass drei Stunden genug seien und das Eintrittsgeld künstlerisch vollauf beglichen, sie säße wohl immer noch da und spielte jetzt vermutlich gerade Godowsky oder Alkan. So aber erkundigte sich die Überfidele mitten im Chopin beim Publikum, wie spät es sei, und machte nach Standing Ovations und zwei Zugaben Schluss, zumal ja noch eine Signierstunde anstand. Als wir unmittelbar nach dem Konzert hinter der Bühne zum Gratulieren bei ihr vorsprachen, wirkte sie eher so, als begänne ihr Auftritt gerade erst. Es war eine erstaunliche Darbietung pianistischen Athletentums. Kein anderer sogenannter Star-Pianist würde sich dergleichen antun – und die als führend gehandelten Damen des Gewerbes wie Khatia Buniatishvili, Hélène Grimaud, Alice Sara Ott, Yuja Wang wären heillos überfordert. Ich fühlte mich an Berichte über die Auftritte von Anton Rubinstein erinnert, der auch Programme von drei Stunden dargeboten haben soll und einmal Chopins b-Moll-Sonate als erste, Mendelssohns Sieben Charakterstücke als zweite Zugabe offerierte (allerdings spielte man damals noch mit Noten). Dass die Lisitsa speziell beim Beethoven ein bisschen viel auf dem Pedal stand und dem Adagio der Sturm-Sonate wenig Anrührendes entlocken konnte, war bei alldem nur eine Petitesse.

Beitrag erschien zuerst auf: michael-klonvsky.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Georg Heinrich Rühl

sehr schön berichtet, ich fühlte mit. Danke.
Doch wer ist Arnold Rubinstein ?

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