Drachenwirbel am Muttertag

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Nein, ich schreibe nicht von Hausdrachen. Auch nicht von einer Geschichte mit Feuer speienden Drachen. Sondern von Winddrachen aus synthetischem Stoff (leider keine an Mittwoch- und Samstagnachmittagen in eigener Werkarbeit erstellten). Nach dem Mittagschlaf blies ein kräftiger Wind, der an den Fensterläden rüttelte. Meine Frau meinte kurz entschlossen: "Wir fahren ein Stück den Hausberg hoch, um Drachen steigen zu lassen." Wir packten unsere beiden Winddrachen und machten uns auf den Weg. Natürlich erstieg ich den Berg mit meinen drei Ältesten zu Fuss. Wie immer gab es am Anfang ein kleines Murren und später ein flottes Gespräch.

Oben angelangt, blickten wir fasziniert einem anderen Drachenakrobaten zu. Die Windböen peitschten den grossen Vogel durch die Lüfte und manchmal wieder auf den Boden. Meine Jungs schrien begeistert und stürmten geradewegs durch die frisch mit Jauche bespritzte Wiese zu meiner Frau. Unsere kleinen Vögel wurden aus der Verpackung genommen. Zusammenstecken, die Schnüre sorgfältig von der Rolle lassen, den Drachen halten und dann - steigen lassen. Doch, o weh! Wie ein Propeller wickelte sich der Drache wild windend um sich selber. Die Schnüre mussten entwirrt werden. Dann der zweite, dritte, vierte Versuch.

Das Pädagogenherz des Vaters schlug zunächst höher. Wie schön, wenn im Leben nicht alles gleich klappt - im Leben der Söhne wenigstens. Als sich die düsteren Wolken bedrohlich vor uns zusammenballten, blies ich zum Aufbruch. Mit dem Jüngsten erreichte ich noch rechtzeitig ein schützendes Vordach. Meine Frau half dem Ältesten, den Drachen zusammen zu rollen. Mittlerweile blies es so heftig, dass sie den Entschluss fassten, mit dem Drachen unter das Dach zu laufen. Der Drache wickelte sich um die Füsse meines Ältesten und er fiel hin, direkt neben dem Bahngeleise. Eine Frau eilte zu Hilfe, um die Schnüre vom Fussgelenk zu wickeln.

Mein Vierter schluchzte unentwegt, zitterte am ganzen Körper und schrie: "Wir hätten nicht gehen sollen!" Ich nahm ihn auf meine Knie, und wir beteten zusammen. Er schluchzte weiter und wollte sich kaum beruhigen. "Ich will, dass der Sturm aufhört." Doch dies stand nicht in seiner Macht. Zwanzig Minuten später kam der nächste Zug. Und siehe da: Der Wind hatte aufgehört zu blasen, sogar einige Sonnenstrahlen zeigten sich. Er strahlte mich an: "Ich glaube, Gott hat auf mein Gebet gehört."

In der anschliessenden Reflektion war die grosse Frage: Könnte der Drache den Buben hochheben? Gelehrt gab meine Frau zu bedenken: "Actio gleich reactio. Sonst wäre der Drache gerissen." Wir waren uns unsicher, ob dieses Prinzip sich auch auf Drachen anwenden lässt. Wir erreichten vor den ersten grossen Tropfen das schützende Zuhause. Was für ein Muttertag!

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: MicroHirn

Sollte der Drache groß genug sein, der Wind stark genug und die Drachenschnur stabil, dann könnte der Lütte tatsächlich in die Lüfte entschweben. Gewichskraft und Muskelkraft können natürlich durch die Autriebskräfte überwunden werden, das ändert nichts an dem Wechselwirkungsprinzip von Reactio und Actio, welches sich ja an der Drachenschnur vollzieht.
Die Erde zieht den Apfel am Baum an und der Apfel die Erde - klassisches Beispiel für dieses Prinzip. Was wird passieren, wenn die Haltekraft des Apfel am Baum aufhört? Genau, die Kräfte sind nicht im Gleichgewicht, trotz dieses Wechselwirkungsprinzips.

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