"Diese Grenze darf nicht überschritten werden"

Die Euthanasie-Debatte in Frankreich setzt Maßstäbe - Senat lehnt Gesetzentwurf über aktive Sterbehilfe ab - Ein Beispiel für Deutschland?

 

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Die Wortschöpfung hat etwas Verräterisches: Militants de la mort accompagnée – militante Anhänger der Sterbebegleitung übersetzt den Begriff nur schwach. Genauer heißt es: Militante Anhänger der Begleitung in den Tod. Und im Bewusstsein bleibt eigentlich nur: Militante Anhänger des Todes, „militants de la mort“. Vielleicht ist es die Härte des Begriffs, und auch die offene Debatte um den Begriff Euthanasie, die die französische Politik vor einer Aufweichung des Tatbestands und einer Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe (wie harmlos kommt der deutsche Begriff daher) abhält. Der Senat hat jedenfalls am Dienstag einem entsprechenden Gesetzentwurf nicht zugestimmt. Es bleibt beim Verbot der aktiven Sterbehilfe in Frankreich.

Die Debatte hat allerdings auch gezeigt, dass dieses Thema in einer alternden Gesellschaft nicht mehr zu verdrängen ist. Lange galt es als Tabu-Thema - in Deutschland wird schon die Begrifflichkeit aus historischen Gründen tabuisiert. In den letzten Tagen hat sich sogar Premierminister Francois Fillon in die Debatte eingemischt. In einem Gastbeitrag für die Zeitung Le Monde sprach er sich deutlich „gegen die aktive Begleitung in den Tod“ – man sieht förmlich, wie der Patient geschubst wird – aus, zeigte aber auch Verständnis für die Verzweiflung derjenigen, die einen nahen Verwandten oder Freund am Ende des Lebens begleiten. Für Fillon ist die Grenze klar: „Die Frage ist, ob die Gesellschaft in der Lage ist, sich per Gesetz das Recht zuzusprechen, töten zu dürfen. Ich glaube, diese Grenze darf nicht überschritten werden“. Mit anderen Worten: Die Gesellschaft könne und dürfe nicht über Leben und Tod verfügen. 

Es sind die Schlüsselsätze in seinem Beitrag, eingerahmt von viel Verständnisformulierungen und der Ablehnung von Strafandrohung. Fillon wies im Gegenteil darauf hin, dass man vielmehr die palliative Sterbehilfe ausbauen müsse, so wie Präsident Sarkozy es auch schon 2008 angeordnet habe, als er die passive Sterbehilfe zu einer „absoluten Priorität“ erhoben habe. So sei ein Programm verabschiedet worden, das die Zahl der Betten für Sterbende in den Krankenhäuser bis 2012 um 1200 erhöhe und satt für hunderttausend palliativ zu begleitenden Patienten werden die Mittel für zweihunderttausend bereitgestellt. Außerdem würde der Codex für medizinische Berufe entsprechend geändert und seit März 2010 gebe es eine Art Lohnersatz von 53 Euro pro Tag drei Wochen lang für die Arbeitnehmer, die die Möglichkeit einer „solidarischen Familienzeit“ in Anspruch nehmen, um ihre Angehörigen zu pflegen. Fillon: „Unsere Strategie ist klar: Wir wollen den Ausbau der palliativen Pflege und lehnen den therapeutischen Drang zum Tod ab.“

Die klare Stellungnahme des Premiers unmittelbar vor den Beratungen im Senat über das Gesetz hat sicher dazu beigetragen, dass es mit deutlicher Mehrheit in der Nacht zum Mittwoch abgelehnt wurde, obwohl der Senatsausschuss für Soziales sich dafür ausgesprochen hatte. Gerade das positive Votum des Ausschusses für einen Gesetzentwurf, der noch nicht einmal eine Konsultationspflicht vor der Tötungstat noch eine Informationspflicht gegenüber der Familie des Kranken und eine Kontrolle erst nach dem Tod vorsieht, hat das bürgerliche Lager dann doch aufgeschreckt. Auch Gesundheitsminister Xavier Bertrand meldete sich zu Wort und warnte vor einem Systemwechsel. „Die Franzosen wollen die Begleitung und dass man unerträgliche Schmerzen vermeidet,“ sagte er dem Radiosender RMC, und das sei logisch, heiße aber nicht, dass man in das Extrem verfalle und die Begleitung abbreche durch Töten. „Das wäre eine andere Logik, ein Systemwechsel“, und er wolle diesen Wechsel nicht vollziehen. Am Dienstagabend nahm Bertrand auch an der Debatte im Senat teil und plädierte energisch für einen Ausbau der palliativen Hilfen und des Gesetzes Leonnetti aus dem Jahr 2005, auf das sich auch sein Premier Fillon bezogen hatte. Auch der Minister für Europäische Angelegenheiten, Laurent Wauquiez, schaltete sich in die Debatte ein und warnte vor einem Dammbruch. 

Das Gesetz, das von drei Senatoren, dem Bürgerlichen Alain Fouché, dem Sozialisten Jean Pierre Godfroy und dem Kommunisten Guy Fischer eingebracht worden war, hatte auch in der Bevölkerung zu einem Ansturm von Mails und Petitionen bei den Abgeordneten und Senatoren geführt. Es wurde schließlich mit 170 zu 142 Stimmen abgelehnt, obwohl zwei weitere Vorschläge es schon reichlich verwässert hatten, um eine Regelung zu erreichen. Denn die Euthanasie-Debatte bewegt Politik und Betroffene seit mehr als zehn Jahren. Spektakuläre Fälle von Todkranken bringen sie immer wieder in die Schlagzeilen, so dass auch die Regierung 2005 das Palliativgesetz beschloss und Präsident Sarkozy 2008 dieses Gesetz ausweitete. Die Modifikation des Codex für medizinische Berufe dürfte die Debatte demnächst wieder beleben. Mit der Stellungnahme der Regierung Fillon allerdings sind Grenzen gesetzt worden. An ihnen könnte sich übrigens auch die deutsche Bundesregierung orientieren. Auch sie kommt an der Alterung der Gesellschaft und den damit einhergehenden Fragen nach Pflege und Sterben nicht vorbei.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Crono

Frau Schellen, nehmen Sie den @Freigeist nicht so ernst, er ist halt nur einer von den unproduktiven "68-gern" Schwätzern.

Gravatar: Marie Luise Schellen

@Freigeist
Sie können niemandem vorschreiben einen
Menschen ZU TÖTEN damit er keine Schmerzen hat.
Würden Sie das tun? Ja oder nein.
Ich warte auf Ihre Antwort, und weichen Sie bitte nicht aus und sagen, dass Sie kein Arzt sind.

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