Die Ungeborenen

Hugo von Hofmannsthal hatte die geniale Idee, in seiner Erzählung oder besser: seinem Mysterienspiel „Die Frau ohne Schatten“ ungeborene Kinder auftreten zu lassen, die in einer Anderswelt ihren potentiellen Eltern begegnen.

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„Wir bestellen nichts, wir verkünden nichts. Daß wir uns zeigen, ist alles, was uns gewährt ist“, sprechen die kindlichen Schemen. Hier ist nicht der Ort, das unendliche Zartgefühl des Dichters bei der Verwirklichung dieser Szenen zu rühmen, sondern es soll nur der verstörende Gedanke im Raum stehen, man könne einen phantastischen Ort betreten, an welchem man seinen ungeborenen, seinen niegeborenen Nachkommen begegnet. Das muss man erfühlen, darüber muss man meditieren...

In Richard Strauss’ gleichnamiger Oper, deren Libretto der Erzählung vorausging, singen die Ungeborenen sogar, meines Wissens ein singulärer Fall in der abendländischen Musik, wenn nicht aller Kunst („Mutter, Mutter, laß uns nach Hause!/ Die Tür ist verriegelt, wir finden nicht ein,/ wir sind im Dunkel und in der Furcht! Mutter, o weh!“). Andeutungshalber geht es bei einem der beiden Paare, denen in Hofmannsthals Text die Hauptrollen zufallen, um Abtreibung, jene heute mit dem Euphemismus aller Euphemismen „Schwangerschaftsabbruch“ geheißene Tötung des Kindes in statu nascendi. Dass ungefähr jedes dritte werdende Leben in Deutschland „an der Wand der Unwillkommenheit zerschellt“ (Peter Sloterdijk), ist eine Tatsache, zu der man sich irgendwie verhalten muss. Wie für jedes wirkliche Problem gibt es auch für dieses keine einfache Lösung; ein fühlender Mensch kann sich weder ernstlich auf die Seite der rigiden Abtreibungsbefürworter noch auf jene der kompromisslosen Abtreibungsgegner stellen, weil es immer extreme Fälle gibt, die eine Tötung des Fötus als das kleinere Übel, das geringere Vergehen, die verzeihlichere Sünde erscheinen lassen, und es gab Zeiten, wo mir der Begriff „Sünde“ in diesem Kontext wie ein klerikalfaschistisch inspirierter Witz erschienen wäre, doch die Frage wird nicht nur erlaubt, sondern geboten sein, warum die „Mein Bauch gehört mir“-Fraktion sich hierzulande so unangefochten, ja triumphal durchsetzen konnte, warum es so skandalös einfach ist, den „Abbruch“ vornehmen zu lassen, warum die Anlässe dafür zuweilen so gering sein können, warum sich die wenigsten Frauen – und Männer!! – daraus ein Gewissen machen.

Und ich wüsste gern, warum nicht einer – nur einer – unserer modernen Kakophoniker den Schrei der zu Abertausenden abgetriebenen Föten in einem musikalischen Werk ertönen lässt, warum nicht ein einziger unserer kolossal freigeistigen Künstler ihre zerfetzten Körperchen malt oder meißelt oder „inszeniert“, warum keiner unserer preisbehängten Autoren, keiner unserer wunder wie wilden Bühnendichter und Theaterregisseure ihnen eine Stimme gibt, als seien sie wahrhaftig nichts und nichtig, als existierte dieses ungeheuerliche Problem überhaupt nicht.

Beitrag erschien auch auf: michael-klonovsky.de

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Dr. Gerd Brosowski

Hier auf diesem Blog war am 26.3.14 ein Artikel erschienen, in dem von einer Gerichtsverhandlung und einem Urteil berichtet worden war. Ein Deutsch-Afghane hatte seine schwangere deutsch-amerikanische Freundin ermordet. Er hatte die Frau zur Abtreibung ihres und seines Kindes bewegen wollen. Sie aber hatte sich geweigert, und sie hielt auch noch zu ihrem Kind, als er sie mit dem Tode bedrohte. Den ihr scheunentorweit geöffneten Weg zur Abtreibung, zur öffentlich geduldeten und finanzierten Tötung ihres ungeborenen Kindes, beschritt sie nicht.
Offenbar hatte die Frau keine wirksame Hilfe gefunden. Denn schließlich setzte der Vater des ungeborenen Kindes seine Drohungen in die Tat um. Die Frau hielt zu ihrem Kind, sie blieb ihm treu, bis sie den Todesstreich empfing. Was für eine Frau! Nach ihr müsste man Straßen und Plätze benennen.
So weit ich die Sache in der Presse verfolgen konnte, war nur in einem Beitrag – auf der Seite des „christlichen Forums“ – daran erinnert worden, dass der Mann nicht nur seine Freundin ermordet hatte, sondern dass nur kurze Zeit nachdem der Herzschlag der Mutter aufgehört hatte, auch der ihres und seines (!) Kindes für immer verstummte. Und in den Internetforen ging es nur darum, dass der Richter in seiner Urteilsbegründung die religiös-kulturelle Prägung des Mannes im Sinne einer Entlastung eingebracht hatte. In der Tat ein großes Ärgernis, aber was mich erschüttert hat, war, dass kaum von einem Doppelmord die Rede war und dass die große Heldin der Tragödie, die bis in den Tod dem Kind getreue Frau, nicht gewürdigt wurde. Ja, eine Tragödie, und ein großer Stoff für einen Dramatiker. Hallo Künstler, übernehmen Sie!

Gravatar: MAX

WARUM ???
Ist es die Angst vor vor der EMANZEN-MAFIA
oder der Steuer-Betrügerin mit ihrer EMMA ???

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