Die Servicementalität in der Sterbehilfe

In einer demoralisierten Gesellschaft wird der Ruf nach Legalisierung der Sterbehilfe immer lauter - da ist ein Haken dabei.

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Viele Menschen sind plötzlich mit einer furchtbaren Gewißheit konfrontiert: Sie werden mitten im Leben von einer sicher tödlichen Erkrankung befallen oder sehen am Ende ihres Lebens einem sicheren Siechtum entgegen. Die eben noch gesunden, zum Sterben eigentlich noch zu jungen Menschen durchlaufen die psychologisch bekannten Stadien der Auseinandersetzung mit der Krankheit, zunächst die Abwehr der Erkenntnis, schwer krank zu sein, dann den heroischen Kampf mit der Krankheit, die bittere Resignation nach der Niederlage und schließlich die Akzeptanz des eigenen Todes. Eine ars moriendi aber gibt es nicht mehr, eine Tröstung aus christlichem Geist wird kaum noch geglaubt, also wird nach Wegen gesucht, ein langes, vermeintlich sinnloses Leiden im Sterben zu verhindern. Auch viele alte Menschen wollen keinen Verfall im Pflegeheim, in völliger Abhängigkeit von sadistischen Pflegern, um es mit Michel Houellebecq zu sagen. Auch sie wollen, solange es noch geht, vorher selbstbestimmt sterben.

SterbeHilfe Deutschland e. V. schreibt auf ihrer Webseite: "Wir unterstützen Sie in Ihrem Wunsch nach einem selbst bestimmten Lebensende. Bei hoffnungsloser Prognose, unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung setzen wir uns für einen begleiteten Suizid ein." DIGNITAS (mit dem Slogan Menschenwürdig leben - Menschenwürdig sterben) äußert sich in einer 31-seitigen Stellungnahme zum Ablauf der Sterbehilfe gleich eingangs: "Der Verein [...] besteht somit bereits seit zwölf vollen Jahren, und er hat in dieser Zeitspanne insgesamt 1067 Menschen geholfen, ihr Leben sanft, sicher, ohne Risiko und zumeist in Anwesenheit von Familienmitgliedern und/oder Freunden zu beenden. In derselben Zeit hat DIGNITAS mehreren Tausend Menschen geholfen, trotz schwieriger gesundheitlicher Lage weiterzuleben." Ganz richtig wird bemerkt, dass allein die Möglichkeit, selbstbestimmt sterben zu können, schon viele Menschen beruhigt und erst einmal abwarten läßt. Aber da steckt auch schon ein Problem.

Zunächst hört sich das alles gut an. Diese Vereine behaupten, nicht kommerziell zu sein. Natürlich gibt es trotzdem Mitgliedsbeiträge; Konten werden genannt. Naturgemäß kostet so etwas Geld. Es ist aber nicht dies, was mich primär stört, es ist eine gewisse Unschärfe bei der Definition dessen, was "hoffnungslos", "unerträglich" oder "unzumutbar" sein soll, sowie die Servicementalität des Ganzen. Es gibt keine scharfen Grenzen bei der Definition der oben genannten Zustände, kann sie gar nicht geben. Darum wird auch immer darauf verwiesen, man nehme den Sterbewunsch des jeweiligen Menschen ernst. Die individuelle, subjektive Hoffnungslosigkeit, Unerträglichkeit und Unzumutbarkeit wird zum Maßstab einer objektiven Handlung, nämlich der Tötung eines Menschen gemacht. Das wäre dann einigermaßen in Ordnung, wenn der jeweilige Mensch sich in Einsamkeit und Freiheit selbst töten würde. Bei der Sterbehilfe wird aber eine scheinneutrale Prüfung des Sterbewunsches durch einen Arzt oder mehrere Ärzte durchgeführt, die so ausführlich und zwanglos sein kann wie sie will und doch immer mit der subjektiven Richtigkeit des individuellen Sterbewunsches kollidiert, weil der Arzt als Fremder sein Placet gibt für eine Tat, die nur der Sterbewillige selbst authentisch vertreten kann. Mit anderen Worten soll der Arzt dem Sterbewilligen die Verantwortung abnehmen. Das kann nicht richtig sein. Schon gar nicht mit meinem ärztlichen Verständnis ist es zu vereinbaren, dass der Arzt dann ein Rezept für ein tödliches Medikament ausstellt - ein klarer Verstoß gegen den Hippokratischen Eid.

Damit komme ich zu dem, was ich Service- oder Versorgungsmentalität bei der Sterbehilfe nenne. Wenn die Sterbewilligen wirklich sterben wollen, warum töten sie sich nicht selbst? Zugegeben ist dies eine letzte heroische Tat eines Menschen, wenn sie denn wirklich selbstbestimmt und frei (und nicht von Depressionen und akuter Verzweiflung - oder Fanatismus - gelenkt) ist. Sie erfordert großen Mut. Aus den Briefen und Berichten von Selbstmördern kann man viel lernen; nehmen wir nur die von Heinrich von Kleist (bzw. Henriette Vogel, die er erschoss); Arthur und Cynthia Koestler oder André und Dorine Gorz. Sie alle wollten sterben, weil sie sich subjektiv in auswegloser Lage wähnten und waren in der Lage, sich (subjektiv rechtzeitig) selbst zu töten. Allerdings nahmen sie jeweils Menschen mit in ihr Sterben, was ich hier aber ausklammere, weil es nochmals etwas Anderes ist. Wenn nun jemand sterben will, aber sich nicht selbst in Freiheit töten kann, warum soll jemand Anderes ihm helfen? Der selber dann auch noch weiterlebt? Weil es sich in Gemeinschaft leichter sterben lässt? Wellness-Sterben? Doch wohl nicht - jeder stirbt allein. Warum der zweifelhafte Versuch, die subjektive Ausweglosigkeit sich auch noch von Anderen bestätigen zu lassen? Und vor allem: Warum Andere mit hineinziehen in die ganz eigene Tragödie? Hier bleibt immer der Verdacht, dass der oder die Betreffende eigentlich gar nicht wirklich sterben will und, man verstehe mich nicht falsch, "partners in crime" sucht, die es ihm leichter machen, ihn möglicherweise erst wirklich zur Selbsttötung bringen. Hier soll Menschen der Suizid an sich abgenommen werden. Auch das kann nicht richtig sein.

Um noch einmal klarzustellen: Weder ist Selbstmord für mich ein "Mord" im eigentlichen Sinn noch halte ich ihn für irgendwie kriminell. Aber beim Sterben einen Service zu suchen erscheint mir mehr als dubios. Der italienische Meisterregisseur Mario Monicelli stürzte sich vor einigen Tagen im Alter von 95 Jahren in einem Krankenhaus in Rom aus dem Fenster. Monicelli wurde wegen Prostatakrebs behandelt. Dieser Schritt eines uralten Mannes ist sehr zu respektieren, sagte auch Monsignore Elio Sgreccia, Kardinal und Bioethiker, aber er fügte hinzu: "Wer den Selbstmord einer Person nützt, um die Legalisierung der Euthanasie zu fordern, mißbraucht die ganz persönliche Tragödie eines Menschen. [...] Wann immer ich in der Zeitung lese, wie eine Minderheit den traurigen und schmerzhaften Fall eines Selbstmordes unberechtigt für politische Zwecke nützt, fällt mir nur ein Wort dazu ein: Mißbrauch. Es wird der extreme Akt einer Person mißbraucht, die im Selbstmord endet, ohne, daß diese Person noch etwas zu den dramatischen Motiven sagen kann.” In den meisten Fällen herrsche eine dramatische Dunkelheit bei vermeintlicher Luzidität vor, welche die Tragödie eine ganz persönliche sein lasse. “Wenn jemand zu respektieren ist, dann ist es Monicelli, nicht der Selbstmord. Mir scheint, daß unter jenen, die nun von Respekt reden, ihn gar nicht respektieren. [...] Der Selbstmord ist nicht zu respektieren, zu respektieren ist Monicelli als Person. Lassen wir Gott das Urteil über seinen Schritt, den die Lehre der Kirche immer als moralisch nicht erlaubt bezeichnet hat. Wenn jemand nicht gläubig ist, dann kann er angesichts eines solchen Schrittes immer den Weg des Schweigens wählen. Auch das Schweigen ist eine tiefe Ausdrucksform des Respekts”, so der ehemalige Präsident der päpstlichen Akademie für das Leben, der Gottseidank der barbarischen Unsitte früherer, trauriger Zeiten, in denen die Kirche Selbstmördern das kirchliche Begräbnis verweigert hat, eine Absage erteilt: "Die Kirche verurteilt nicht." Dazu hat sie leider lange gebraucht.

Worum es mir geht: Ich sehe bei der Euthanasie, denn das ist Sterbehilfe trotz der notwendigen und richtigen Abgrenzung von den Mordprogrammen der Nazis, grundsätzlich einen Damm gebrochen. Leiden lindern ist ärztliche Pflicht, nicht töten, auch nicht auf Wunsch. Dass der Sterbewillige bei der Sterbehilfe selber die Tablette schluckt, heisst sich in die Tasche lügen: Man hat ihm auf bürokratischem Wege die Tablette verschafft. Man ist Schreibtischtäter, da können die Motive gut gemeint sein wie sie wollen. Der Mensch kann nur hoffen, wenn es denn soweit ist und er mit der furchtbaren Gewißheit von Leiden und Tod konfrontiert ist, die Kraft zu haben, in der Unbegreiflichkeit des Leidens die Unbegreiflichkeit Gottes aufscheinen zu sehen (K. Rahner) und so, unter medizinischer Linderung, einen natürlichen und guten Tod zu sterben oder, wenn er die Verwegenheit hat, sich absolut zu setzen, die Kraft zu haben, sein Leben selbst zu beenden, worüber uns, die wir diese ganz persönliche Entscheidung gar nicht komplett nachvollziehen können, kein Urteil zusteht.

 

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Adorján F. Kovács

@Muine
Vielen Dank für Ihren nachdenklichen, tief ernsten Kommentar. Leider bin ich nach 20 Jahren an einer Universitätsklinik, dabei meist mit Krebsbehandlung betraut, kein Laie mehr in diesen Fragen, also insbesondere kein Laie gegenüber den "vielfältigen Problematiken und Hintergründen eines Sterbewunsches". Manchmal wünsche ich mir, diesbezüglich weniger gesehen und erlebt zu haben. Ich habe es aber geschafft, noch keinen Menschen umgebracht zu haben. Ihre Beispiele gehören natürlich zu den furchtbarsten ihrer Art, und ich will gestehen, dass ich da irgendwo ratlos bin. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass nicht die individuelle(!!) und mitmenschliche (!!!) Sterbehilfe an sich, wohl aber eine offizielle gesetzliche Regelung in einer säkularen, kapitalistischen Gesellschaft wie der unsrigen einen Damm bricht. Und schließlich möchte ich doch betonen und darum bitten, dass man ohne Tabu in dieser Sache Klartext redet: nicht "assistierter Suizid" und wie diese Euphemismen alle lauten - nein, dann muss auch ungeschminkt ausgesprochen werden, dass ein Mensch geplant umgebracht wird, weil er/sie es will.

Gravatar: Adorján F. Kovács

@Freigeist
Es finden sich immer für alles Leute. Das ist kein Argument.

Gravatar: Freigeist

Kein Arzt ist verpflichtet, aktiv Sterbehilfe zu leisten. Aber es werden sich welche finden, die Verständnis haben für die ausweglosen Situationen von todkranken Personen. Es wird hilfsbereite Ärzte geben.

Gravatar: Adorján F. Kovács

@Freigeist
Der christliche Begriff des "guten Todes" widerspricht nicht der realen Grauenhaftigkeit manchen Sterbens, die ich aus meiner Arbeit sehr wohl kenne. Er impliziert eine bestimmte Einstellung zum eigenen Ende hier auf dieser Welt. Ich betone nochmals, dass es oberste ärztliche Pflicht ist, Schmerzen zu lindern, um dem Tod sein Grauen wenigstens physisch zu nehmen.

Gravatar: Freigeist

Sie schreiben vom "guten Tod". Die Realität ist eine andere - der Sterbeprozess ist grauenhaft, z.B. bei Krebs.

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