Die Mauer muß bleiben!

Besuch bei Kani Alavi, Vorsitzender der Künstlerinitiative East Side Gallery

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Sein Atelier hoch über dem Mehringdamm in Kreuzberg bietet einen spektakulären Rundblick bis weit nach Ostberlin. Kani Alawi hat hier eine riesige Wohnung, die zehn Jahre leer stand, restauriert und zum Atelier ausgebaut. Auf der Rückseite schließt sich ein kleinerer Wohnbereich an. Hier, inmitten seiner Bilder, die nicht nur jedes verfügbare Fleckchen Wand zieren, sondern auch die Möbel und den Fußboden, lebt und arbeitet Kani Alavi. Inzwischen ist er gern hier, obwohl noch etwas Wehmut in der Stimme mitschwingt, wenn er von seinem früheren Atelier direkt am Check-Point- Charly spricht. Er war also der Mauer immer nahe, vor allem, als sie noch stand. Nach dem Mauerfall sah der Künstler mit gemischten Gefühlen, dass die ehemalige Grenzbefestigung anfing, rasant aus dem Stadtbild zu verschwinden. Deshalb unterstütze er 1990 eine Künstlerinitiative, an der Mühlenstraße, wo die Mauer entlang der ehemaligen Protokollstrecke zum Flughafen Schönefeld, vom Osten aus angefasst werden konnte, einen Abschnitt von Künstlern aus aller Welt bemalen zu lassen. Mit Hilfe von über 100 Malern aus aller Welt entstand auf 1,3 km die East- Side – Gallery.

Die Open-Air- Galerie wurde sofort zum Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Es ist der einzige Ort, auf dem ein größerer Abschnitt der einst tödlichen Grenze zwischen Ost und West noch steht. Der Ort erzählt aber weniger von der düsteren Seite der Geschichte, sondern steht für das einmalige Glücksgefühl, das die Deutschen in jenen Novembertagen für kurze Zeit zum glücklichsten Volk der Erde gemacht hat.

Nach zwanzig Jahren hat der Zeit erheblich am längsten Kunstwerk der Welt genagt. Deshalb hat der Verein, dem Alavi vorsteht, dir Initiative zur Restaurierung der Bilder ergriffen. Bereits 43 sind im alten Glanz neu erstanden. Weitere sollen bis zum Herbst denkmalgerecht saniert werden. Aber nicht nur die Elemente bedrohen die Galerie, sondern auch die Stadtentwicklung. Der Grund und Boden, auf dem die Galerie steht, ist privat. Die Eigentümer, die vierzig Jahre wegen der Grenze nicht ihre Grundstücke nutzen konnten, sind nicht erbaut, dass sie weiter darauf verzichten sollen. Am Ostbahnhof gab es eine Brücke über die Spree, die im Krieg zerstört wurde. Nach Willen des Grünen Bürgermeisters von Friedrichshain-Kreuzberg Schulz, soll die Brücke wieder aufgebaut werden. Dafür muss ein Stück Galerie weichen.

Der Bürgermeister, der einer Partei angehört, die sich Bürgerinitiativen und Bürgerentscheide auf die Fahnen geschrieben hat, hielt es nicht für notwendig, den Verein von diesem Vorhaben zu unterrichten. Alavi erfuhr von Bauarbeitern, dass sie demnächst mit Abrißbaggern kommen sollten. Alavi gelang es, einen Baustopp zu erwirken. Er ist sich aber im klaren darüber, dass dieser Baustopp in naher Zukunft aufgehoben werden wird. Dann wird dieses einmalige Denkmal der Freiheit, der Kreativität und des Sieges über den Totalitarismus teilweise verschwinden. Aber wenn Veränderungen an diesem einmaligen Kunstwerk im Interesse der Allgemeinheit wirklich unvermeidlich sein sollten, dann kann man sie nicht, wie Bürgermeister Schulz das versucht hat, hinter dem Rücke der Künstlerinitiative geschehen, sondern nur mit ihr. Die Öffentlichkeit muss in die Planungen für diesen sensiblen Raum einbezogen werden.

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