Die Märkte, die Demokratie und Deutschland

Für den Primat des Politischen. Eine vorsichtige Mahnung.

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Der von mir ob seiner scheinprophetischen Qualitäten nicht immer geliebte Frank Schirrmacher hat am Mittwoch einen wunderbaren Artikel in der FAZ veröffentlicht, der sich mit dem mittlerweile obsoleten Referendum in Griechenland beschäftigte. Er konstatiert einen „Kurssturz des Republikanischen“. Diesmal kann man ihm nicht widersprechen. Denn egal wie man zu der unglücklichen Aktion des griechischen Ministerpräsidenten Papandreou steht, die entsetzten, ja wütenden Reaktionen auf die Ankündigung einer Volksabstimmung zeigten, dass „wir jetzt Ratingagenturen, Analysten oder irgendwelchen Bankenverbänden die Bewertung demokratischer Prozesse“ überlassen. Denn, das muss klar gesagt werden, es sind eigentlich nicht diese Institute, deren Meinung hier von Interesse sein dürfte.

Aber sie sind ganz offenbar von Interesse, wodurch überzeugend dargelegt wird, dass ein „Primat des Ökonomischen“ besteht. Die politischen Begriffe der Demokratie werden zum Ramsch. „Das absolute Unverständnis über Papandreous Schritt ist ein Unverständnis über demokratische Öffentlichkeit schlechthin – und auch darüber, dass man für sie bereit sein muss einen Preis zu bezahlen.“ Diesen Preis wollen die Märkte nicht bezahlen und faseln schon davon, dass eine Militärdiktatur in Griechenland das Beste wäre. Nicht untypisch für die Plutokraten: schon Diktatoren wie Napoleon oder Hitler haben sie in die Steigbügel geholfen.

Die Politik ist großenteils selbst schuld. Wer sich in seinen politischen Entscheidungen von allerlei „Expertengremien“ nicht nur beraten lässt, sondern eine quasi „wissenschaftliche Expertise“ einholt, die ein nicht hinterfragbares So-und-nicht-anders suggeriert, wo also auf eine Beratung nicht eine politische Entscheidung aufgrund eines Abwägens folgt, sondern ebendiese Entscheidung nur eine alternativlose Konsequenz aus der „wissenschaftlichen Expertise“ ist, der darf sich nicht wundern, wenn diese nicht demokratisch legitimierten „Experten“ zu den eigentlich wichtigen Leuten werden. Gott schütze uns vor dem Sach- und Fachverstand der Ökonomen! Ökonomie, und da können ihre Vertreter sagen, was sie wollen, ist keine exakte Wissenschaft. 

Schlimmer noch: „Die angebliche Rationalität finanzökonomischer Prozesse hat dem atavistischen Unterbewusstsein zum Durchbruch verholfen. Dass man ganze Länder als faul und betrügerisch beschimpfen konnte, schien mit der Ära des Nationalismus untergegangen und vorbei.“ Schirrmacher hat recht. Diese alte und wieder neue Haltung ist auch auf diesen Seiten zu beobachten, leider. Dass Deutschland als größter Nettozahler Europas natürlich auch das größte Mitspracherecht in Europa beansprucht, mag in Ordnung sein. Ob dabei der Ton Frau Merkels der richtige ist, wird sich zeigen. Im Juni letzten Jahres habe ich schon in einem Blog auf den neuen Stolz der Berliner Republik hingewiesen. Ich glaube, dass Deutschland über 20 Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung auf dem gefährlichen Wege ist, zu zeigen, dass seine von Mitterand und anderen beabsichtigte „Bändigung“ durch den Euro misslungen ist. Diesmal werde ich versuchen, ein Prophet zu sein. Ich glaube, dass es Deutschland auch im dritten, diesmal noch friedlichen Anlauf nicht gelingen wird, die Hoheit über Europa zu erringen.   

Postskript: Der Primat des Politischen über die Ökonomie kann natürlich nur funktionieren, wenn das Politische nach außen nicht hegemonial und nach innen nicht diktatorisch ist. Das hat auch Jürgen Habermas so gesehen, der einen Tag nach unserem Blog folgenden Artikel veröffentlichte. Europa hat, wann immer multinationale Großreiche auf seinem Boden existierten, meist schlechte Erfahrungen mit einem Mehrheitsnationalismus gemacht (auch unter Berücksichtigung der Habsburger Doppelmonarchie) - das sollte nicht von einem Finanznationalismus liquider Staaten abgelöst werden, was übrigens auch nicht dem Primat des Politischen entspräche.

 

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Adorján Kovács

Deutsche Befindlichkeiten. Eine Umkreisung

Artikel und Essays.

Essen: Die Blaue Eule, 1. Auflage 23.02.2012, Paperback, 318 S., Maße: 21,0 x 14,8 cm, ISBN: 978-3-89924-337-6, Preis: € 36,00.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: HJM

@ Oz74

Sehr geehrte Dame oder sehr geehrter Herr,

Hayek vertritt im 2. Band von "Recht, Gesetzgebung und Freiheit" die Ansicht, dass eine weitgehende Sozialfürsorge funktioniert, solange diese Fürsorge den Wettbewerb nicht zerstört! Hayek argumentiert (so in etwa ab den Seiten 120), dass an allen Personen, ein Mindesteinkommen zu zahlen sei, die aus irgendwelchen Gründen nicht fähig sind, selbst ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Hayek hält dies für möglich, ohne dass die Regeln des Rechts verletzt werden müssen. Dabei ist es m. E. klar, dass Hayek dieses Mindesteinkommen aus Steuergelder finanziert sieht. Dass auch eine liberale Gesellschaft letztendlich, wenn Subsidarität usw. ausgeschöpft sind, Menschen (die aus irgendwelchen Gründen arbeitsunfähig sind) nicht verhungern lassen, sondern diesen Menschen zu helfen sei, ist für Hayek eine Selbstverständlichkeit!
Selbstverständlich werden sich auf solche Positionen im Werke von Hayek die sozialistischen Wahrnehmungsanalphabeten stürzen, um für ihre etatistischen Spiele zur Menschenvernichtung ein liberales Feigenblatt zu benutzen – in Ansätzen sehen Sie dies ja schon an den etatistisch-sozialistischen Ausführungen hier in dieser Zeitung durch Prof. Professor Adorján F. Kovács.

Gravatar: Oz74

Sehr geehrter Herr Kovács,
könne Sie einen Quelle für die Behauptung zitieren, daß Hayek für ein Mindesteinkommen plädiert habe?

Gravatar: Adorján F. Kovács

Ich freue mich immer, wenn meine Artikel kontroverse und nachdenkliche Reaktionen provozieren. Ich glaube aber, dass es ein anarchokapitalistisches Mißverständnis ist, von Hayeks Ansichten zum Staat hier anzuführen. Meines Wissens war er KEIN Vertreter des Laissez-faire, sondern wollte durchaus mehr als nur einen Minimalstaat, ja, er hat sogar - zur Zeit besonders pikant - für ein Mindesteinkommen plädiert. Im übrigen bitte ich darüber nachzudenken, wie anders als politisch eine Änderung der jetzigen Verhältnisse zustande kommen soll.
Ich bin auch keineswegs ein Freund des "französisch-europäisch-sozialistischen Empire" (ein bundesstaatliches Europa könnte deutlich anders aussehen als die EU heute), halte aber die Rolle Deutschlands in der Mitte Europas für riskant - wie sie immer war. Deutschland war immer stärker als seine Nachbarn, aber ohne Verbündete eben nie stark genug. Deshalb muss Deutschland immer sehr vorsichtig zwischen wohlverstandenem Eigeninteresse und Hegemonialstreben abwägen. Natürlich hatte das Deutsche Reich 1914 nicht die alleinige Kriegsschuld, aber die damals formulierten Kriegsziele unterschieden sich nur durch den fehlenden Rassenwahn von denen Hitlers. Wie naiv sind eigentlich die, die glauben, Deutschland hätte ohne Gegenleistungen schon 45 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs seine Wiedervereinigung zugestanden bekommen?

Gravatar: Menschenskind!

Der Primat des Politischen? Hat uns der nicht erst das Unheil beschert?
Ich glaube, Herr Schirrmacher verwechselt da etwas, und Sie, geschätzter Herr Kovács auch.
Außerdem personifiziert Schirrmacher den "Staat". Hypostasierungen sind zwar weit verbreitet, aber sie verraten auch viel über den geistigen Zustand unserer Zeit.

Der Primat des Politischen ist eine Ungeheuerlichkeit. Umgekehrt sollte es sein! Das Primat der Freiheit und der freien Wirtschaft sollten herrschen, dann wären solche Zustände niemals herbeigeführt worden. Wir haben eben leider nicht, sondern bedürfen den Primat des Ökonomischen!

Was Schirrmacher für Ökonomie hält, ist realiter Staatskapitalismus, von dem die Politik nicht getrennt werden kann. Beides sind Geschwister, die sich nun um die letzten Kuchenstücke des Wohlstands balgen. Krieg zwischen Brüdern, wie dazumal bei den Roten und den Braunen, dieses Schauspiel bietet sich uns zur Zeit!

Gravatar: Lisa M.

Also war der 1. Anlauf, ich nehme an, der Autor meint den 1. WK, eine Initiative der Deutschen?
Fein, weiter so mit dem ideologischen Geschichtsgebrauch. Die jetzige "Großkrise" fußt im Kern auf solchen geschichtlichen "Fakten", die seit über 100 Jahren dafür ge-(miss-)braucht werden, um unser Volk zum zahlenden Idioten ohne Eigeninteressen zu erniedrigen.
Wenn das kein ökonomischer Rassismus ist, was dann?
Ich hoffe, dass ich noch den Tag erlebe, an dem die Deutschen als Volk aufhören zu bestehen, nur um zu schauen, wie "toll" dann die Welt sein wird.

Gravatar: Friedrich Dominicus

Niemals wurden andere Experten als nicht Österreicher gefragt und gehätschelt...

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