Nicht lange noch, und alle Kunst ist so langweilig und domestiziert wie die deutschen Leitmedien. Das Essener Folkwang-Museum hat jetzt eine Ausstellung mit Polaroid-Fotoarbeiten des bekannten Malers Balthasar Klossowski, genannt Balthus, abgesagt. Der Grund sind sehr reale Befürchtungen um juristische Querelen. Denn der Entscheidung ging eine heftige Debatte worum? - natürlich um Pädophilie in der Kunst voraus.
Ein hochaktuelles Thema: Pädophilie bei den 68ern, Pädophilie bei den Grünen, Pädophilie im Internet, pädophile Freier und pädophile Väter. Schon richtig, dass der Schutz von Kindern vor Missbrauch konsequent vorangetrieben werden muss. Aber wie ist das bei der Kunst? Die Zeiten der Freiheit scheinen auch hier, wie in so vielen Bereichen, vorbei zu sein, zumindest weht ein moralinsaurer Wind. Die Moralapostel der Korrektheit führen ihren Krieg nun auch auf diesem Gebiet. Die Kunst hat ihre Skandale früher gewonnen, als die Skandalisierten noch altmodisch genannt werden durften. Heute begreifen sich die, die bestimmen wollen, was erlaubt ist, als durch und durch fortschrittlich. Und heute gewinnen sie.
Noch anno 1989 stand im mittlerweile politisch überkorrekten „Spiegel“ folgender Bericht über den Verkauf der Kunstsammlung des Filmregisseurs Billy Wilder zu lesen: „Der Mädchenakt hängt in Billy Wilders Schlafzimmer: Fast lebensgroß ist die Nackte, etwa Zwölfjährige, die vor ihrem Bett steht. Das Bild von 1957 (Titel: »Die Toilette«), das eine spröde Erotik ausstrahlt, hat der französisch-polnische Maler Balthus gemalt, auf dessen Bildern »pubertierende Mädchen in ihren bürgerlichen Interieurs ungeduldig auf die Gewaltsamkeit eines sexuellen Aktes warten« - so der Kunsthistoriker Giulio C. Argan.
Eines Tages, so erzählt Wilder, sei Vladimir Nabokov bei ihm auf Besuch gewesen. Der russische Autor habe all die Picassos, Schieles, Miros in Wilders Wohnung nur eines flüchtigen Blicks gewürdigt, sei dann fasziniert vor der Nackten stehengeblieben, habe Wilders Hand ergriffen, geschüttelt und »Balthus« gemurmelt.
Da das Bild nur auf der Rückseite signiert ist, war Wilder verblüfft, bis ihm „Lolita« eingefallen sei. Über Balthus verständigten sich die beiden fast wortlos: Wilders erster Film, »The Major and the Minor« von 1942, zwölf Jahre vor »Lolita«, handelt von einer (scheinbar) Zwölfjährigen, in die sich ein Major verliebt - ein geschickt gegen die Zensur als Komödie maskierter Lolita-Film.“
Kaum auszudenken, was ein Kunstliebhaber wie Wilder heute an Unterstellungen und Verdächtigungen zu gewärtigen hätte. Und Nabokov? Sein berühmter Roman über einen verzweifelt eine Minderjährige liebenden Literaturwissenschaftler wurde zwar nach seinem Erscheinen heftig attackiert, doch ist es überhaupt nicht mehr statthaft, sich über die angeblich so biederen und verklemmten 50er Jahre zu mokieren. Heute werden diese angeblich dunklen Zeiten der Prüderie locker übertroffen.
Ein David Hamilton könnte seine Filme weichgezeichneter Elfen und Nymphchen nicht mehr machen, und jemand wie Balthus säße heute wohl im Gefängnis. Sicher, es wird argumentiert, seine gemalten Bilder hätten eine künstlerische Distanz, die eine Ausstellung gerade noch erlauben würden. Doch die Polaroids von jungen Mädchen, die er offensichtlich als Vorlagen für seine Bilder verwendet hat, seien klar pädophil inspiriert. Was soll man da zu Degas sagen, der seine kleinen Ballettratten fotografierte, bevor er sie in bronzene Posen goß, die jedem Voyeur das Herz aufgehen lassen.
Die Brisanz einer Ausstellung von Jungmädchen-Aufnahmen in einem Museum dürfte heutzutage von einem (jedem jederzeit möglichen) Besuch jeder beliebigen Kinderporno-Webseite weit übertroffen werden. Die Absage der Ausstellung ist so verlogen wie der Protest dagegen. Der russischen Regierung wird in Deutschland vorgeworfen, mit dem Verbot, vor Kindern von Homosexualität positiv zu sprechen, eine absurde Befürchtung vor der Möglichkeit sexueller Beeinflussung von Kindern zu haben. Was ist denn das Verhalten der Diskutanten im Falle der Balthus-Ausstellung anderes? Sie sind keinen Deut besser. Befürchten sie wirklich, dass die latente Pädophilie der Fotos sich auf die Besucher überträgt?
Was hat der Maler getan ausser Fantasien verbildlicht, die ohne Zweifel nicht nur er hat, sondern die menschlich sind, seien sie gut oder schlecht? Kunst muss nicht moralisch sein. Und schliesslich lebt nicht jeder seine Fantasien aus. Balthus, zweimal verheiratet, starb 2001 in einem gesegneten Alter. Selbst wenn er pädophil gewesen wäre, wovon jedoch nicht das Geringste bekannt ist, würde das an der Qualität seiner Kunst nichts ändern, die übrigens keine sexuellen Akte zeigt. Es sind die Betrachter, die pädophile Haltungen und Handlungen in die Bilder hineinlesen.
Es ist das uralte Spiel, wie man Kunst missversteht. Wer den Künstler mit seinem Werk eins zu eins setzt, hat das Wesen der künstlerischen Fantasie nicht verstanden: Wer glaubt, Romanautoren hätten alles erlebt, was sie beschreiben, täuscht sich und wer Regisseure von Gewaltfilmen für gewalttätig hält, irrt sich gewaltig. Die Kunst setzt Gedanken in Gang, und es sind die Leser, Zuschauer, Betrachter, wir alle also, deren Gedanken und Gefühle in Gang gesetzt werden. Der Künstler mag spielen mit unseren Gedanken, aber noch sind es wir, die verantwortlich sind für das, was wir bei der Betrachtung von Fotos denken. Aber auch wenn wir Gewaltfilme mögen, billigen wir noch lange nicht reale Gewalt.
Übrigens: Was heisst schon pädophil? Wie immer sollte auch hier differenziert werden. Jeder Lehrer muss in gewisser (also nicht sexueller) Weise pädophil sein, um seine Arbeit gut ausüben zu können. Es handelt sich geradezu um eine Grundvoraussetzung seiner Tätigkeit. Die Schwierigkeit und Kunst ist dabei, die notwendigen Grenzen einzuhalten. Das gelingt in aller Regel extrem gut. Mögen die modernen Tugendwächter denken, was sie wollen - vor allem sie selbst scheinen ein Riesenproblem mit ihrer Sexualität zu haben.
Kommentare zum Artikel
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"...zweitens halte ich auch den Vergleich mit Caravaggio für nicht stichhaltig, weil dieser junge (volljährige) Männer als Modell für künstlerische Darstellungen nahm, die nicht im entferntesten mit dem zweifelhaften, viele sagen pornographischen, Ruch der Bilder Balthus’ behaftet sind."
Mhm...ach ja...? Ist das so?
Dann ist der junge Mann, der dem Caravaggio fuer seinen 'Amor als Sieger' Modell gestanden hat, aber definitiv ein koerperlich total zurueckgebliebener volljaehriger Mann gewesen...*kopfkratz*...
Manoel
Ein sehr ordentlicher Artikel, Herr Professor!
Ich habe dazu bezueglich eines winzigen Zitates daraus nur Folgendes zu sagen:
"Es sind die Betrachter, die pädophile Haltungen und Handlungen in die Bilder hineinlesen."
Jeder Autor - und auch jeder Bildschaffende arbeitet immer und nur mit der Phantasie seiner Konsumenten! Natuerlich verarbeitet er in seinen Schriften und/oder Bildern seine Vorstellungen von Aesthetik - aber ohne das phantasierte Zutun des Betrachters passiert letztlich gar nichts!
Will sagen:
Jeder Kritiker sollte sich darueber im Klaren sein, dass seine Kritik wesentlich mehr ueber ihn selber aussagt, als ueber den Kritisierten bzw. den Angelpunkt der Kritik.
Sehr direkt ausgedrueckt:
Die dreckige Phantasie hat nicht der, der eine Schrift formuliert oder ein Bild herstellt, sondern stets der, der die Schrift oder das Bild interpretiert!
Die heutigen sogenannten 'Gegner des Missbrauches und auch die Gegner der Paedophilie' haben sich meiner Ansicht nach vor jeder Kritik zu fragen, wie und in welcher Form 'angesprochen' sie selber eigentlich sind...frei nach dem Motto: "Die groessten Kritiker der Elche...sind selber welche!"
Manoel
Nun, der Fall Edathy hat ja jetzt wunderbar gezeigt, wie die herrschende Meinung zu dem Thema ausfällt...
Die Antwort würde mich auch interessieren.
Christian Mayer geht in seinem Kommentar nur auf Beispiele mit Mädchen ein.
Bei Gemälden und Kunst über männliche Kinder und Jugendliche kommt zu dem Vorwurf des pädophilen Aspekts, noch der homosexuelle Aspekt hinzu. Ein doppeltes Tabu.
Dabei zeigt die Geschichte der Kunst, dass männliche Jugendliche nicht minder dargestellt wurden.
Vielen Dank für diesen guten Artikel, Herr Kovács.
Das Problem ist auch in Berlin aktuell. Dort halten die Verantwortlichen des Schwulen Museums als pädophil empfundene Sammlungen unter Verschluss. Es wird erklärt, dass ein Ansehen der Werke nur in wissenschaftlichem Auftrag möglich sei, eine öffentliche Schau aus Angst vor einer vernichtenden Berichterstattung in der taz ausgeschlossen ist. Lieber lässt man die Werke im Archiv verfallen.
Schon beschämend, wozu Hysterie führen kann...
Falls eine Antwort noch möglich ist
bin ich gerne bereit " Weitergehendes auszusprechen." Wie kommen Sie dazu, zu behaupten, ich würde dies nicht wagen?
Was verstehen Sie unter "Weitergehendes "?
Ich möchte abschliessend bemerken, dass der Titel meines Beitrags lautete: Die Freiheit der KUNST.
Ich finde es interessant, dass der folgende bei "Maischberger: Worüber nicht gesprochen wurde" gelaufenen Kommentar die moralisierende Bemerkung der Redaktion nicht erhalten hat:
Karin Weber sagt:
14. Februar 2014 um 08:45
@ Marcel
Ich weiß nicht, wie weit man in der Schule bei der Erläuterung der Homosexualtität geht. Ich habe mir sagen lassen, dass viele der Betroffenen zur Vermeidung des “Eindringschmerzes” gar Tabletten nehmen und das im Alter dies auch zur Inkontinenz führen kann, weil die Muskulatur des Schließmuskels erschlafft ist. Vielleicht könnte @aLuckyGuy, @DerLektor oder @Berta von Frosch uns das hier mal näher erklären.
Klar klingt das jetzt nichts so toll, aber es ist die Lebenswirklichkeit, der die Regenbogenleute sich freiwillig aussetzen. Unsere Kinder haben da keine Wahl und besorgte Eltern, die die Seelen ihrer Kinder schützen wollen, werden in Beugehaft genommen.
"Warum sollte es nicht auch möglich sein, dass einfühlsame Erwachsene mit gewissenhaftem Umgang Kinder auch bei sexuellen Dingen nicht anders auf ihr späteres Leben vorbereiten, wenn sie es selbst wünschen, wie sie auf sehr viel anderen Gebieten dazu sogar gezwungen werden zu lernen, was sie als Erwachsene können sollten?"
Es ist allein an diesem Satzbeispiel ersichtlich, dass der Verfasser schwadroniert und selbst er es nicht wagt, Weitergehendes auszusprechen.
Sehr geehrter Herr Professor Kovàcs,
Ihren Ausführungen kann ich in (fast) allen Punkten beipflichten und finde vor allem ihre letzten Bemerkungen, wer mit dieser Problematik das grösste Problem hat, sehr treffend, aber auch mutig!
Im obigen Kommentaraustausch bin ich voll mit Ihnen einig, weil ich einfach nicht verstehe, weshalb man sich an der Schönheit der Jugend nicht erfreuen dürfte, aber auch nicht, weshalb man einem Mädchen mit Fotografieren Schaden zufügt, weil es nicht wissen könne, wie es später einmal dazu stehen wird, dass es nackt fotografiert wurde. Ist denn Nacktheit eine "Sünde" und müssen sich Menschen schämen, wenn sie sich bewusst so fotografieren lassen?
Wo ich mit Ihnen nicht ganz einig gehe, ist Ihre Verbindung der beiden Bemerkungen: "Pädophilie bei den 68ern, Pädophilie bei den Grünen, Pädophilie im Internet, pädophile Freier und pädophile Väter. Schon richtig, dass der Schutz von Kindern vor Missbrauch konsequent vorangetrieben werden muss."
Ich bin absolut einverstanden, dass man Kinder nicht "missbrauchen" soll. Das ist sowieso ein unmöglicher Begriff. Man kann nur Sachen ge- oder missbrauchen. Wer ein Kind "braucht", ist an einer Sache interessiert, für die er es benötigt. Er missbraucht also nicht das Kind, sondern verübt an ihm ein Sache, die ihm Schaden zufügt und ihm selbst Befriedigung bringt oder er sich davon solche erhofft. Kinder kann man weder ge-, noch missbrauchen, es ist eine Sache, die missbräuchlich an ihnen ausgeübt wird!
Deshalb kann ich mit dem ersten Teil Ihrer Bemerkungen nicht einverstanden sein, weil Sie - wohl nicht in dem Sinne beabsichtigt - "Missbrauch " mit "Pädophilie" verbinden. Wie Sie aber weiter unten in Ihrem Bericht richtig feststellen, muss jeder Lehrer in gewisser Weise "pädophil" empfinden, um ein guter Lehrer zu sein. Dass er das nicht sexuell sein muss, ist klar, aber warum soll er ein schlechterer Lehrer sein, falls er es auch sexuell wäre? Wird jeder Heterosexuelle seine Sexualität z.B. an seinen weiblichen Mitarbeitenden gegen deren Willen ausüben? Müsste z.B. einem pädosexuellen Lehrer nicht geholfen werden, dass er sich trotz seiner Veranlagung Schutzbefohlenen gegenüber richtig verhält, wenn er mit sich und seinen Gefühlen in Konflikt käme?
Wo sind die Beispiele, wo, wann und wie stark Kinder von Pädophilen wirklich und nachweisbar geschädigt wurden? Ich bin sicher, dass bei den meisten wirklich schädigenden Übergriffen bei genauem Hinsehen nicht Pädophile verantwortlich sind, sondern Menschen, die Kinder als leicht zugängliche Ersatzobjekte für ihre Befriedigung herangezogen haben, aber nicht eigentlich pädophil empfinden. Denn wirklich "Pädophile" können einem Kind nicht willentlich Schaden zufügen, das liegt ja schon in der Bedeutung des Wortes "pädophil". Hätten sie die Möglichkeit, offen über ihre Gefühle zu sprechen und sich bei Problemen von Fachleuten helfen zu lassen, gäbe es auch kaum mehr Kurzschlusshandlungen. Solche gibt es bei Pädophilen, die mit sich nicht mehr zurecht kommen und - mangels verständnisvoller Hilfe - überfordert sind. Was aber der Hauptgrund ist, weshalb "Pädophilie" zu einem solchen Schreckenswort wurde, ist die absolut unbewiesene und längst wissenschaftlich widerlegte Behauptung, dass jeder sexuelle Kontakt zwischen einem Erwachsenen und einem Kind schädlich sei. (Mit "Kindern" notabene, die unter 16 oder 14 oder 12 Jahre alt sind, je nach Land und Gesetz!)
Wenn solcher Kontakt in jedem Fall so schädlich wäre, dann gäbe es auf dieser Welt unzählig viele "Opfer", die - gemäss Prognosen der Kinderschützer/innen lebenslang unter solchen Kontakten leiden.
Wo sind die entsprechenden Beweise? Warum sollte es nicht auch möglich sein, dass einfühlsame Erwachsene mit gewissenhaftem Umgang Kinder auch bei sexuellen Dingen nicht anders auf ihr späteres Leben vorbereiten, wenn sie es selbst wünschen, wie sie auf sehr viel anderen Gebieten dazu sogar gezwungen werden zu lernen, was sie als Erwachsene können sollten? Sexualität ist eben mehr als das, was Erwachsene dann untereinander treiben, wenn Liebe dabei nichts zu suchen hat!
Warum ist "Pädophilie" ein Tabu-Thema, wie es kaum ein anderes gibt? Gibt es ein anderes Thema, wo es nicht einmal erlaubt ist, öffentlich etwas anderes dazu zu sagen oder zu schreiben, als es gesetzlich „für alle Zeiten“ (?) bestimmt wurde, und weshalb ist es so gefährlich, dafür einzutreten, dass "Pädophile" endlich als das anerkannt werden, was sie in der Regel wirklich sind, nämlich Menschen die Kinder lieben und verstehen. Ausnahmen gibt es auf anderen Gebieten bestimmt mehr!
Sie unterscheiden sich von "normal" Empfindenden nur darin, dass auch sie ab und zu in Probleme kommen wegen ihren sexuellen Wünschen und sie damit kaum zu einem Berater gehen können, der sie nicht darüber belehrt, dass sie ihre Sexualität auf gar keinen Fall Kindern gegenüber ausüben können und dürfen. Muss er ja auch, solange die Gesetze so sind. Entsprechen diese aber auch den Menschenrechtsbestimmungen?
Mit freundlichen Grüssen, Martin Joos
(Wir haben diesen Beitrag unter Abwägung der freien Meinungsäußerung gegen den "guten Geschmack" freigeschaltet. An den Autor: bitte haben Sie Verständnis für diese Parteinahme. An die Leser: bitte entschuldigen Sie diese Zumutung. Die Redaktion)
Ja, die Sache mit den Mohammed-Karikaturen - das war wirklich ein Extremfall, da gebe ich Ihnen Recht. Von beiden Seiten, sozusagen.
Nun ja, der gute Woody Allen, schöne Filme hat er gedreht, aber nun ja leider ganz andere Probleme, wie man auf den Panorama-Seiten lesen muss.
Besten Gruß, danke ebenso.
Wollen wir hoffen, dass Sie recht haben und diese Sache nicht in die gleiche Richtung zeigt wie abgesagte Ausstellungen zu Mohammed-Karikaturen. Also eine auf alle und jede Empfindlichkeit mit Rückzug reagierende Kunstpolitik.
Zur Subjekt-Objekt-Sache nur noch ein Woody Allen-Zitat, um zu zeigen, dass manches eben doch über die Zeiten bis in unsere Moderne gleichbleibt: "Ich bin gerne ein Sexobjekt." Dass das für Kinder nicht gelten darf, darüber waren wir uns ja einig.
Beste Grüße, unserZwiegespräch hat mich sehr gefreut.
Danke, dass Sie sich so viel Zeit nehmen, mir zu antworten, Herr Kovács.
Richtig, damals in Renaissance und Mittelalter, als wir noch ein anderes Menschenbild hatten, da wurden viel mehr Subjekte als heute als Objekt betrachtet, Lang ist's her.
Vielleicht noch ein Wort zur Kunstzensur von heute: Ich kenne Ausstellungsmacher, die müssen sich gar nicht vor einer öffentlichen, gesellschaftlichen oder staatlichen (Vor-)Zensur in Acht nehmen. Denen ist eher der Volkszorn gewiss, wenn sie z.B. zu viel Abstraktes, Expressives ausstellen und nicht schöne Blümchenbilder.
Daher würde ich auch eher von Kunstkritik, denn von Kunstzensur sprechen wollen. Dort sehe ich auch die Balthus-Folkwang-Geschichte verortet: Man hätte einfach von Anfang an die Finger davon lassen sollen. Ich meine, das passt auch gar nicht in dieses Haus, angesichts dieser Tradition!
Vielen Dank! Auch von mir nur noch soviel: Die gemalten Bilder von Balthus zeigen m. W. nur pubertierende Mädchen, die Polaroids wurden wohl von einer gewissen Anna ab ihrem achten Lebensjahr offenbar über acht Jahre hinweg angefertigt (mit elterlichem Einverständnis, was die Sache nicht richtiger macht). Das ist die eine Seite, wo ich Ihnen absolut recht gebe, um die es mir aber nicht ging. Denn ich weiss nicht, welche Polaroids von Anna Folkwang zeigen wollte; hier hätte man auswählen können, sinnvoll wären Fotos von ihr im Alter der von Balthus gemalten Mädchen gewesen. Aber wir wissen es nicht. Nur: Wenn ich heute wieder schöne altmodische Worte wie „Lüsternheit“ als Grund für Ausstellungsabsagen höre, läuten bei mir die Alarmglocken. Die neue Prüderie wird nicht nur halbwegs diskutable Verbote wie hier, sondern auch lächerliche zeitigen. Aber wer weiss: Martin Mosebach hat ja schon das Loblied der Kunstzensur gesungen, da würde nämlich den Künstlern eine ganz neue Fantasie abverlangt, diese zu umgehen. Bei Caravaggio wiederum wollte ich auf Ihre Bemerkung eingehen, dass der oder die Dargestellte „als Objekt und nicht der künstlerische Wert die massgebliche Rolle bei der Beurteilung des Werkes war.“ Caravaggios Johannes hat klar nichts mit dem tradierten Täufer zu tun, sondern ist ein Lustknabe. Der Titel des Gemäldes war nur das Feigenblatt, um es überhaupt in Auftrag geben und malen zu können - vielleicht ein Beispiel für die gelungene Umgehung einer Kunstzensur. Nun ist Caravaggio zweifellos ein größerer Künstler als Balthus, aber darum geht es nicht: Der Johannes wurde damals eindeutig als „Objekt“ betrachtet.
Sehr geehrter Herr Kovács,
vielen Dank für Ihre prompte Replik. Wir haben unterschiedliche Ansichten. Daher vielleicht nur noch so viel: Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn sich ältere Menschen "platonisch am Anblick junger schöner Menschen" erfreuen. Jedoch sehe ich
erstens nicht, wie man Fotografien, die ein 80-Jähriger von "leicht bekleideten" 8-jährigen Mädchen anfertigt, in diese Kategorie einordnen soll (Was mag eigentlich die Achtjährige empfinden? Versteht Sie, was geschieht? - so viel zum "Schaden", den jemand erleidet);
zweitens halte ich auch den Vergleich mit Caravaggio für nicht stichhaltig, weil dieser junge (volljährige) Männer als Modell für künstlerische Darstellungen nahm, die nicht im entferntesten mit dem zweifelhaften, viele sagen pornographischen, Ruch der Bilder Balthus' behaftet sind.
Drittens spielt das Thema "Homosexualität" hier für mich hier gar keine Rolle.
Vielen herzlichen Dank für den ausführlichen Kommentar. Nach reiflicher Überlegung sehe ich das weiterhin anders. Warum ist "Alterslüsternheit" (ich benutze dieses Wort mal) als Antrieb zur Anfertigung und zum Genuss von Kunst unzulässig? Haben ältere Menschen kein Recht, sich platonisch am Anblick junger schöner Menschen zu erfreuen? Denken Sie bitte auch an die Bilder Caravaggios, an den hübschen, jungen und nackten Johannes den Täufer zum Beispiel, der von homosexuellen Kardinälen in Auftrag gegeben wurde, damit sie etwas Feines zu sehen bekommen. Warum auch nicht, solange niemand Schaden erleidet? Heute ist das große Kunst. (Übrigens: ob Homosexualität genetisch begründet ist, weiss m. W. niemand. Die Epigenetik hat mittlerweile den guten alten Lamarck wieder zu Ehren gebracht - Erworbenes KANN vererbt werden. Aber auch da weiss niemand genau, wie. Ich halte sowohl die russischen Vorschriften als auch die Sorge der Tugendwächter in und um Folkwang für unbegründet.)
Dass die Absage der Essener Ausstellung etwas mit der gebetsmühlenartig vorgetragenen Kritik an der Political Correctness zu tun haben könnte, sehe ich nicht so. Balthus' Werk ist schon zu seinen Lebzeiten ganz überwiegend mit dem Vorwurf eines künstlerisch zweifelhaften Oeuvres konfrontiert gewesen. Man kann schlicht die Frage stellen: Warum malt einer über Jahrzehnte, im Alter fotografiert er dann, minderjährige Mädchen in eindeutig-zweideutigen Posen?Natürlich, wir vertreten in Mitteleuropa einen weiten Kunstbegriff und das ist auch gut so. Der künstlerische Wert von Balthus' Werk ist nur leider nicht ohne die ihm immanente Lüsternheit zu beurteilen. Insofern hätte es das Folkwang-Museum besser gleich gelassen, Balthus ausstellen zu wollen. Allein das ist peinlich. Folkwang hat etwas Besseres verdient.
Es spricht doch Bände, dass Nabokov, wie Sie schreiben, an all den Picassos, Schieles und Miròs vorbeirennt, um als Endfünfziger raunend vor einem nackerten Mädel von Balthus innezuhalten. Sie haben im Grunde den besten Beweis dafür geliefert, dass hier ganz überwiegend ein abgebildetes Mädchen als Objekt und nicht der künstlerische Wert die maßgebliche Rolle bei der Beurteilung des Werkes war.
Im Übrigen halte ich den Vergleich mit dem großen Degas für abseitig. Degas ging es um die Darstellung jener Frauen, die zu seiner Zeit in dieser Form als nicht darstellbar galten. Degas schaffte einen wirklichen künstlerischen Durchbruch, den man bei Balthus vergeblich sucht. Degas hat auch nur ganz ausnahmsweise fotografiert und gar nichts selbst in Bronze gegossen. Das haben erst seine Erben getan, aus wohl nachvollziehbaren Gründen.
Der Vergleich aber mit den russischen Meinungsäußerungsgesetzen hinkt kolossal. Während man in Russland offenbar in der Tat weltfern davon ausgeht, dass die freie Rede genetische Veränderungen herbeirufen kann, geht es in Essen um das m.E. gut nachvollziehbare Werturteil, dass die fotografische Abbildung entblößter Minderjähriger in Mitteleuropa eher mit Alterslüsternheit, denn mit Kunst zu tun hat. Mit Prüderie hat das Ganze nichts zu tun.