Die Auswirkungen des ethischen Relativismus

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Angesichts der akutellen Debatte um den Bildungsplan in Baden-Württemberg kam mir immer wieder ein Buch in den Sinn, das vor 70 Jahren entstand. Ich setzte mich hin und schrieb eine Buchbesprechung.

Wer schafft es, in bloss 100 Seiten ein zentrales Thema beispielhaft und eindrücklich zugleich abzuhandeln? Nein, es liegt hier keine „In zwei Stunden hast du es geschafft“-Produktion vor. Es geht um ein kleines Buch, das 1943 – im selben Jahr, als Deutschland nach der Niederlage von Stalingrad dem Rest der Welt den totalen Krieg erklärte – aus drei Vorlesungen heraus entstanden ist. Als Autor zeichnet der britische Schriftsteller und Literaturwissenschaftler C. S. Lewis; der Mann also, der die Narnia-Chroniken geschrieben hat.

Für die Buchbeschreibung kann ich die Bewertung vorweg nehmen: Es ist das Buch von Lewis, das mich am meisten geprägt hat. Nicht umsonst zählt es der bekannte Philosoph Peter Kreeft zu den 100 wichtigsten philosophischen Büchern. Lewis gelingt es, von einem „harmlosen“ Lehrbuch ausgehend das apokalyptische Szenario zu schildern, wenn sich der Mensch der Manipulation seiner selbst ausliefert. Hans Urs von Balthasar schreibt im gelungenen Vorwort: „Zu Beginn meint man eine Fliege summen hören, zuletzt muss man sich, als wäre man inmitten der Schlacht von Stalingrad, die Ohren zuhalten.“ (10)

Um was geht es? Lewis entfaltet die „Frage der Objektivität der ersten Sittlichkeitsprinzipien“ (von Balthasar, 10). Es existieren, so lautet das Kernargument, „sittliche Grundsätze aller Kulturen“ (ebd.) Es geht Lewis dabei nicht in erster Linie um den „Versuch eines indirekten Beweises für den Theismus“ (53). Als zentralen Begriff für dieses Sittlichkeitsprinzip wird das „Tao“ eingeführt, „die Lehre von einem objektiven Wert, der Glaube, dass gewisse Haltungen bezogen auf das Wesen des Alls und auf das, was wir selber sind, wirklich wahr sind und andere wirklich falsch.“ (27)  Er folgt damit ebenso Plato und Aristoteles, wie er Konfuzius, die alten Juden und Augustinus mit berücksichtigt.

Gegenüber dieser alten Ordnung erfolgte in der Welt des 20. Jahrhunderts - das Schreckensregime der Nazis bleibt dem Leser stets präsent im Hinterkopf - ein totaler Bruch. Die Welt der Gefühle und die Welt der Tatsachen stehen sich ohne Möglichkeit der Annäherung gegenüber (29). Sie wurden nämlich voneinander losgekoppelt. Diese Grundüberzeugung ist längst Allgemeingut unserer säkularisierten Gesellschaft: Fakten und deren Bewertung sind säuberlich voneinander zu trennen. Es gibt keine wahren Emotionen, die mit der objektiven Realität korrespondieren. Damit werden "brustlose Menschen" hervorgebracht (33). Ein erster interner Spannungspunkt deutet Lewis schon an, wenn er einwirft, dass selbst bei den Konstrukteuren dieser Ethik bei Abweichung von den eigenen moralischen Urteilen Gefühle entstehen (31).

Wenn erst die Loskoppelung von Fakten und Gefühlen gemacht ist - ja, was geschieht dann? Es können, so Lewis, willkürlich (oder eben auch gezielt) neue Verbindungen zwischen Fakten und Gefühlen aufgebaut werden. Die Einführung von neuen, dem universalen Sittengesetz entgegen laufenden Bewertungen haben durchs Band manipulativen Charakter. Eine besonders günstige Phase zur Bildung neuer Paradigmen ist eben die formative Phase der Heranwachsenden. Der Rat an die Erzieher lautet darum so: „Die Aufgabe des modernen Erziehers besteht nicht darin, Dschungel auszuhauen, sondern Wüsten zu bewässern.“ (23)

Wie ich schon angetönt habe, denkt Lewis den Totalitarismus einer relativistischen Ethik konsequent zu Ende. Das tönt beispielsweise so: „Wenn nichts mehr um seiner selbst willen getan wird, gibt es nichts mehr, was getan werden muss." (46) Mit anderen Worten: Alles ist möglich. Dabei tut sich ein ungeheurer Abgrund auf: Einige Mächtige beginnen mit der ethischen Programmierung der übrigen Gesellschaft. Man denkt unwillkürlich an das Nazi-Regime und in meinem Fall auch an "neumödige" Initiativen des Staates, via Neuschreibung von Bildungsplänen entstandene ethische Lücken mit Inhalten zu füllen und diese dann per Gesetz allen Bürgern vorzuschreiben.  Wehe dem, der sich der neuen Toleranz nicht beugen will!  „Was wir die Macht des Menschen nennen, ist in Wirklichkeit Macht in den Händen von Einzelnen, die anderen gestatten oder nicht gestatten, davon zu profitieren.“ (58)

Gerne blicken wir auf Bösewichte des ach so fortschrittlichen 20. Jahrhunderts wie Stalin oder Mao. Lewis reisst uns aus dieser Fixierung heraus. „Der Prozess, der, falls man ihm nicht Einhalt gbietet, den Menschen zerstören wird, spielt sich unter Kommunisten und Demokraten ebenso augenfällig ab wie unter Faschisten. Die Methoden mögen sich zunächst in der Brutalität unterscheiden. Aber manch ein sanftäugiger Naturgelehrter mit Zwicker, manch ein erfolgreicher Dramatiker, manch ein Amateurphilosoph in unserer Mitte verfolgt auf die Länge genau dasselbe Ziel wie die herrschenden Nazis in Deutschland. Das traditionelle Wertsystem soll ‚abgetakelt‘ und die Menschheit in eine neue Form umgeprägt werden, nach dem Willen … einiger glücklicher Leute der einen glücklichen Generation, die gelernt hat, wie man es macht." (75)

Der wahre Grund für die Abkehr von universellen Sittengesetz ist die Abkehr vom Schöpfergott. Der Mensch ist nicht bereit, sich seinem Willen zu beugen. So muss „die Wirklichkeit den Wünschen der Menschen gefügig" gemacht werden (78). Das geht aber nur bedingt. Wenn man nämlich das Moralgesetz wegerklärt hat, „wird man plötzlich feststellen, dass man die Erklärung selbst wegerklärt hat“. (81) Und was bleibt dann noch übrig? Die Existenzialisten haben es uns vor einigen Jahrzehnten vorgemacht. Auf die Leere folgte im schlimmsten Fall die Todessehnsucht. Über dieses Bewusstsein verfügen jedoch nur die wenigsten Menschen. Der Leitspruch der Mehrheit lautet: "Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir."

Das Buch: C. S. Lewis. Die Abschaffung des Menschen. Johannes Verlag: Einsiedeln, 2007. 104 Seiten. Euro 7,50.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Buchbaer

Ich gebe zu bedenken, lieber Herr Strebel, dass dieses Sittlichkeitsprinzip seit seiner Existenz fortwährend in Frage gestellt wurde. Weder Daodejing noch Bibel führten zu deren Umsetzung in der Praxis. Mal simpel gesagt, ist für mich der Unterschied zum Heute der verfügbare Freiheitsgrad. Dies empfinde ich eher als Bereicherung, denn als Last.

In der Auseinandersetzung zum Bildungsplan vermisse ich bei der Mehrzahl der Beteiligten daher den Blick für die sich bietenden Chancen (ja, Diskussionskultur auch!). Ich halte den Blick zurück mit „damals hatten wir noch Werte“ nicht für zielführend. Die Chance ist doch hier, deutlich zu machen, dass es heute vielfältige Lebensentwürfe gibt. Die Freiheit, den seinen zu wählen, gibt es schon. „Wer sagt was er nicht möchte, sagt noch lange nicht, was er will".

Gravatar: Martha Kleininger

Zwei Dinge sind hier genial:

1. C.S.Lewis selbst. Neben den Büchern von Benedikt XVI habe ich bisher nichts gefunden, dass die christliche Religion so logisch erklärt, praktisch so logisch, dass die ganze Argumentation schon ein Beweis ist.
2. C.S.Lewis in diesem Zusammenhang zu zitieren. Genau das ist es! Das steht eigentlich alles drin was man in diesen Zusammenhang wissen muss.

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